Aktuell Iran 11. Januar 2023

Iran: Fortsetzung der staatlichen Hinrichtungswelle befürchtet

Das Bild zeigt eine Frau, die ein Plakat mit einer Foto-Collage in der Hand hält

Amnesty-Kundgebung vor dem Bundestag in Berlin in Solidarität mit den Protestierenden im Iran (23. November 2022)

Die iranischen Behörden müssen alle Hinrichtungen im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten sofort stoppen. Am 7. Januar wurden mit Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini zwei weitere Personen willkürlich hingerichtet. Anderen Inhaftierten, wie dem 22-jährigen Mohammad Ghobadlou, droht ebenfalls die Todesstrafe.

Mohammad Ghobadlou war im Zusammenhang mit den anhaltenden landesweiten Protesten im Iran festgenommen und inhaftiert worden. Am 2. Januar 2023 hatte der Oberste Gerichtshof den Schuldspruch und das Todesurteil gegen ihn bestätigt. Dadurch wurde sein Urteil rechtskräftig und ihm droht unmittelbar die Hinrichtung. In der vergangenen Woche gaben die Behörden fünf weitere Todesurteile bekannt, die von Revolutionsgerichten im Zusammenhang mit den Protesten verhängt worden waren.

"Es ist abscheulich, dass die iranischen Behörden ihre staatliche Mordserie fortsetzen. So versuchen sie verzweifelt, die Proteste zu beenden. Sie klammern sich an die Macht, indem sie der Öffentlichkeit Angst einflößen", sagte Diana Eltahawy, stellvertretende Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

"Die willkürlichen Hinrichtungen von Mohammad Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini – nur wenige Tage, nachdem ihre Todesurteile bestätigt wurden – zeigen, wie die iranischen Behörden die Todesstrafe weiterhin als Repressionsmittel einsetzen. Sie sind eine grausame Erinnerung daran, dass Dutzende anderer Menschen weiterhin von der Hinrichtung bedroht sind."

Das Bild zeigt das Porträtfoto eines Mannes

Wurde am 22. Januar 2024 im Iran hingerichtet: Mohammad Ghobadlou (Archivbild).

Während die iranischen Behörden das Recht auf Leben weiter mit Füßen treten, setzt sich die iranische Bevölkerung weiterhin für die Menschenrechte ein. Am 8. und 9. Januar protestierten Angehörige und Unterstützer*innen von Personen, denen die Hinrichtung droht, vor dem Raja’i-Shahr-Gefängnis. Dort sind Mohammad Ghobadlou und einige andere zum Tode Verurteilte inhaftiert. Selbst als Sicherheitskräfte versuchten, sie durch Schüsse in die Luft zu vertreiben, setzten sie ihren Protest fort. Für die Familien besonders schmerzhaft: Die Behörden halten geplante Vollstreckungen der Todesstrafe geheim und weigern sich, Angehörige und Rechtsbeistände im Voraus über anstehende Hinrichtungen zu informieren.

Akut drohende Hinrichtung

Mohammad Ghobadlou war in einem grob unfairen Schnellverfahren vor einem Teheraner Revolutionsgericht wegen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) zum Tode verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft stützte sich auf unter Folter erpresste "Geständnisse". Mohammad Ghobadlou soll mehrere Polizeikräfte mit einem Auto überfahren haben, wobei ein Mensch getötet und andere verletzt wurden.

Mohammad Ghobaldou wurde unter Verstoß gegen das Verbot von doppelter Strafverfolgung wegen derselben Vorwürfe auch vor einem Strafgericht in Teheran angeklagt. Bei einem Schuldspruch könnte er ein zweites Mal zum Tode verurteilt werden.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die internationale Gemeinschaft nicht nur an der Seite der Menschen im Iran steht, sondern auch sofortige Maßnahmen ergreift, um die iranischen Behörden zur Verantwortung zu ziehen.

Diana
Eltahawy
stellvertretende Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International

Der junge Mann hat eine psychische Erkrankung. Seine Mutter gab an, dass ihm im Gefängnis seine Medikamente verweigert werden. Außerdem wurde er von den Behörden nicht angemessen auf seine psychische Gesundheit untersucht. Am 29. Dezember 2022 veröffentlichte eine Gruppe von Psychiater*innen einen Offenen Brief an die Oberste Justizautorität, in dem sie eine genaue Untersuchung seiner psychischen Gesundheit und deren möglichen Auswirkungen auf seine Urteilsfähigkeit fordern. Der Rechtsbeistand von Mohammad Ghobadlou hat einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof eingereicht. Eine Antwort steht noch aus.

Nach unfairen Scheinprozessen hingerichtet

Am 5. Dezember 2022 verurteilte ein Revolutionsgericht in der Provinz Alborz Mohammad Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini in einem äußerst unfairen Scheinprozess zum Tode. Nachdem ein paramilitärischer Basidsch-Milizionär bei einem Protest am 3. November 2022 ums Leben kam, waren die beiden ebenfalls wegen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) angeklagt worden.

Das Todesurteil erging weniger als eine Woche nach Prozessbeginn am 30. November 2022. Vor dem Prozess wurden ihre erzwungenen "Geständnisse" in den Staatsmedien ausgestrahlt. Unter Verletzung ihres Rechts auf Unschuldsvermutung wurden sie als "Mörder" bezeichnet. Beiden Angeklagten wurde der Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert.

Tweet von Amnesty International:

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Seyed Mohammad Hosseini berichtete seinem Rechtsbeistand später, dass die Behörden ihn unter Folter und anderen Misshandlungen zu einem "Geständnis" gezwungen hatten. Er wurde so lange getreten, bis er das Bewusstsein verlor. Ihm wurde mit Eisenstangen auf die Fußsohlen geschlagen und er wurde am ganzen Körper mit Elektroschocks gefoltert.

Die Hinrichtungen von Mohammad Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini wurden jeweils im Geheimen und ohne vorherige Benachrichtigung ihrer Rechtsbeistände und Familien vollstreckt – nur zwei Monate nach ihrer Festnahme.

Dutzende Demonstrierende gefährdet

Amnesty International befürchtet, dass zahlreichen weiteren Personen im Zusammenhang mit den Protesten die Todesstrafe droht. Seit Ausbruch der Proteste wurden Tausende von Menschen willkürlich festgenommen und angeklagt. Zu ihnen gehört auch Mohammad Boroughani, der ebenfalls von einem Revolutionsgericht in Teheran in einem grob unfairen Scheinprozess wegen "Feindschaft zu Gott"(moharebeh) zum Tode verurteilt wurde. Er soll angeblich eine Machete geschwungen, das Gebäude des Gouverneurs in Brand gesetzt und einen Beamten verletzt haben. Der Oberste Gerichtshof bestätigte am 24. Dezember 2022 auch diesen Schuldspruch und das Todesurteil. Am 11. Januar gab der Direktor für Öffentlichkeitsarbeit des Obersten Gerichtshofs auf Twitter bekannt, dass das Todesurteil gegen Mohammad Boroughani bis zum Ergebnis einer gerichtlichen Überprüfung ausgesetzt worden sei.

Zu den gefährdeten Personen gehören außerdem Arshia Takdestan, Javad Roohi, Manouchehr Mehman Navaz, Saleh Mirhashemi, Saeed Yaghoubi und Majid Kazemi. Sie alle wurden seit November zum Tode verurteilt.

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit einem Plakat, auf dem steht "Shame"

"Schande": Amnesty-Aktion vor der iranischen Botschaft in Berlin in Solidarität mit den Demonstrierenden im Iran (6. Januar 2023).

Zahlreiche weitere Personen stehen derzeit entweder vor Gericht oder sind wegen Straftaten angeklagt, auf die die Todesstrafe steht, darunter Abolfazl Mehri Hossein Hajilou, Mohsen Rezazadeh Gharagholou, Saeed Shirazi, Akbar Ghafari, Toomaj Salehi, Ebrahim Rigi (Riki), Farzad (Farzin) Tahazadeh und Farhad Tahazadeh, Karwan Shahiparvaneh, Reza Eslamdoost, Hajar Hamidi und Shahram Marouf-Mola.

Im Jahr 2022 wurden zwei weitere Männer im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten hingerichtet: Am 8. Dezember richteten die iranischen Behörden den Protestteilnehmer Mohsen Shekari hin. Zuvor war er in einem grob unfairen Verfahren wegen "Feindschaft zu Gott" zum Tode verurteilt worden – nicht einmal drei Monate nach seiner Festnahme. Am 12. Dezember folgte die Hinrichtung des Protestteilnehmers Majidreza Rahanvard. Auch er war zuvor in einem grob unfairen Verfahren wegen "Feindschaft zu Gott" zum Tode verurteilt worden.

Amnesty International untersucht Berichte über weitere Personen, die im Zusammenhang mit den Protesten zum Tode verurteilt wurden und/oder denen die Todesstrafe droht.

"Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die internationale Gemeinschaft nicht nur an der Seite der Menschen im Iran steht, sondern auch sofortige Maßnahmen ergreift, um die iranischen Behörden zur Verantwortung zu ziehen. Die Staaten müssen die universelle Gerichtsbarkeit ausüben. Sie müssen gegen alle Personen strafrechtlich ermitteln, die im begründeten Verdacht stehen, an völkerrechtlichen Verbrechen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu sein. Wenn genügend Beweise vorliegen, müssen sie Haftbefehle erlassen", sagte Diana Eltahawy.

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