Amnesty Report Ukraine 24. April 2024

Ukraine 2023

Ein Haus in Rauch eingehüllt, aus einigen Fenstern schlagen Flammen heraus.

Löscharbeiten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach einem russischen Raketenangriff auf ein Wohngebäude (7. Februar 2024)

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Russische Streitkräfte verübten 2023 weiterhin wahllose Angriffe, die zu Tausenden Opfern unter der ukrainischen Zivilbevölkerung und zur Zerstörung ziviler Infrastruktur führten. Auch für weitere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht traten Beweise zutage. Unter dem Kriegsrecht waren die Rechte auf Meinungs- und Religionsfreiheit nach wie vor eingeschränkt. Die Zahl der angezeigten Fälle häuslicher Gewalt stieg stark an. Ein Gesetzentwurf zu eingetragenen Lebenspartnerschaften umfasste auch gleichgeschlechtliche Beziehungen. Der Krieg wirkte sich nach wie vor verheerend auf die Umwelt sowie auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte insbesondere von Kindern und älteren Menschen aus. In den russisch besetzten Gebieten kam es weiterhin zu schweren Menschenrechtsverletzungen.

Hintergrund

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ging 2023 weiter und führte zu Todesfällen in der Zivilbevölkerung, zur Zerstörung von Infrastruktur und einer anhaltend hohen Zahl von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen. Die Vereinten Nationen registrierten vom Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 bis November 2023 insgesamt 28.711 zivile Opfer, darunter 10.058 Tote. Eine ukrainische Gegenoffensive führte zu minimalen Gebietsgewinnen, was befürchten ließ, dass ein langer Zermürbungskrieg bevorstand und die militärische Unterstützung der Ukraine durch deren Verbündete nachlassen könnte. Die Wirtschaft schrumpfte weiter erheblich und war zunehmend stärker auf ausländische Subventionen und Darlehen angewiesen. Im Juli 2023 kündigte Russland das internationale Abkommen zum Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer auf. Es sollte in einkommensschwachen Ländern stabile Lebensmittelpreise gewährleisten und drohende Hungersnöte verhindern. 

Am 14. Dezember 2023 beschloss der Europäische Rat, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. 

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht

Wahllose Angriffe 

Die russischen Streitkräfte setzten ihre wahllosen Angriffe auf bewohnte Gebiete in der Ukraine fort, was zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung führte. In einigen Fällen deuteten Kommentare von offizieller russischer Seite darauf hin, dass diese Angriffe mit Absicht erfolgten. Bei einem Raketenangriff auf ein Café im Dorf Hrosa in der Region Charkiw wurden am 5. Oktober 2023 mindestens 59 Personen getötet, die eine Gedenkfeier für einen ukrainischen Soldaten besucht hatten. Ein Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen bezeichnete die Opfer als "Nazi-Kollaborateure" des Soldaten und bezog sich damit auf die offizielle russische Rechtfertigung des Angriffskriegs. 

Die zivile Infrastruktur der Ukraine wurde offensichtlich systematisch angegriffen. Während der Wintermonate versuchten die russischen Streitkräfte, das Stromnetz weiter zu zerstören, um die Lage für die Zivilbevölkerung noch weiter zu verschlimmern. Russlands Rückzug aus dem internationalen Getreideabkommen war begleitet von Angriffen auf weitere kritische Infrastruktur wie Getreidespeicher und Hafenanlagen in Odessa und andernorts. 

Streumunition und Minen

Sowohl die russischen als auch die ukrainischen Streitkräfte setzten Streumunition ein und zeigten keinerlei Absicht, diese Praxis zu beenden, trotz der unterschiedslosen Wirkung der Waffen und ihrer lang anhaltenden Risiken für die Zivilbevölkerung. Nachdem die USA der Ukraine Streumunition geliefert hatten, sollen sich die ukrainischen Behörden verpflichtet haben, diese nicht in bebauten Gebieten einzusetzen und die Standorte der Minen zu dokumentieren, um sie später räumen zu können. Auch Antipersonen- und Panzerabwehrminen wurden in großem Umfang eingesetzt. Schätzungen zufolge war die Ukraine das am stärksten verminte Land der Welt.

Kriegsgefangene

Russland verweigerte Hilfsorganisationen konsequent den Zugang zu ukrainischen Kriegsgefangenen in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine. Kriegsgefangene wurden regelmäßig Opfer von Folter und anderen Misshandlungen wie Scheinhinrichtungen, Schlägen und Elektroschocks. Auch summarische Hinrichtungen wurden vollzogen. Einige Kriegsgefangene wurden wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt, doch gab es Befürchtungen, dass sie lediglich deshalb strafrechtlich verfolgt wurden, weil sie an Kampfhandlungen beteiligt waren. Der Kriegsgefangene Maksym Butkevych, ein bekannter ukrainischer Menschenrechtsverteidiger, wurde in der russisch besetzten Region Luhansk ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, bevor man ihn zu 13 Jahren Haft verurteilte. Das Urteil erging wegen angeblicher Kriegsverbrechen, die er nicht begangen haben konnte, die er aber unter Zwang vor einer Kamera "gestehen" musste. Nach einer Berufungsverhandlung vor einem Moskauer Gericht, zu der er per Video zugeschaltet war, wurde er Opfer des Verschwindenlassens. Anfang Dezember 2023 hieß es, er befinde sich in der Region Luhansk, um dort seine Strafe zu verbüßen.

Zu Hafteinrichtungen der Ukraine hatten internationale Menschenrechtsbeobachter*innen Zugang und konnten dort vertrauliche Gespräche mit russischen Kriegsgefangenen führen. Die Zahl der Berichte über Misshandlungen dieser Gefangenen ging deutlich zurück. Den Vereinten Nationen zufolge hatten sich zwölf in der Ukraine inhaftierte russische Kriegsgefangene darüber beschwert, dass sie während der Verhöre und der Evakuierung vor ihrer Ankunft in den offiziellen Hafteinrichtungen gefoltert worden seien.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Unter dem Kriegsrecht waren das Recht auf freie Meinungsäußerung und weitere Rechte weiterhin eingeschränkt.

Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte wurden bis Juli 2023 in mehr als 2.000 Fällen Strafverfahren nach Paragraf 436-2 des ukrainischen Strafgesetzbuchs eingeleitet. Der Paragraf stellt "Rechtfertigung, Billigung oder Leugnung der bewaffneten Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine und Verherrlichung der daran Beteiligten" unter Strafe. So war es z. B. verboten, den Krieg als "Bürgerkrieg" zu bezeichnen. Ukrainischen Medien zufolge führte die unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit im Zeitraum März 2022 bis November 2023 zu 443 Schuldsprüchen, in der Regel aber nicht zu Haftstrafen.

Im August 2023 wurde gegen Yurii Sheliazhenko, einen Mitbegründer und Sprecher der Friedensinitiative Ukrainian Pacifist Movement, ein Strafverfahren nach Paragraf 436-2 eingeleitet. Er war für das Recht auf Militärdienstverweigerung eingetreten und wurde deshalb beschuldigt, den "russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen". Man durchsuchte seine Wohnung und belegte ihn bis zum Beginn seines Prozesses mit einem nächtlichen Ausgehverbot. 

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Die ukrainischen Behörden warfen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) weiterhin vor, den russischen Angriffskrieg mit subversiven Aktivitäten zu unterstützen. Die UOK, die im Gegensatz zur Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) ursprünglich der Russisch-Orthodoxen Kirche unterstand, hatte im Mai 2022 ihr Kirchenstatut geändert und sich offiziell für unabhängig und selbstständig erklärt. Allerdings blieb ihr Verhältnis zum Moskauer Patriarchat unklar. Im März 2023 mussten einige Geistliche und nichtordinierte Mitglieder das Kiewer Höhlenkloster verlassen, das dem ukrainischen Staat gehört. Im April 2023 wurde der Abt des Klosters, Metropolit Pawlo Lebid, unter Hausarrest gestellt und nach Paragraf 436-2 und Paragraf 161 des Strafgesetzbuchs wegen "Verletzung der Gleichheit der Bürger aus rassistischen, ethnischen, religiösen und anderen Gründen" angeklagt. Den Mönchen des Klosters drohte die Zwangsräumung, sollten sie sich nicht der OKU anschließen, die religiösen Autoritäten in der Ukraine unterstand.

Im Oktober 2023 billigte das Parlament in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der religiöse Organisationen verbietet, die "Vereinigungen angehören, deren Einflusszentrum sich in dem Staat befindet, der einen bewaffneten Angriff auf die Ukraine verübt hat".

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Menschenrechtsorganisationen und offiziellen Polizeiangaben zufolge erreichte die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt 2023 einen neuen Höchststand, nachdem sie in den ersten Monaten des russischen Angriffskriegs angeblich zurückgegangen war. Von Januar bis Mai 2023 registrierte die Polizei 349.355 Fälle häuslicher Gewalt. Im gleichen Zeitraum 2022 wurden 231.244 Fälle gezählt und 2021 nur 190.277. Der vorherige Höchststand war 2020 während der Lockdownmaßnahmen infolge der Coronapandemie registriert worden.

Rechte älterer Menschen

Ältere Menschen waren besonders stark vom Krieg betroffen. Ihr Anteil an den Zivilpersonen, die verletzt oder getötet wurden, war unverhältnismäßig hoch. Ältere Menschen, die vertrieben wurden, hatten Schwierigkeiten, sich auf dem privaten Wohnungsmarkt eine neue Bleibe zu suchen. Notunterkünfte waren für ältere Menschen, insbesondere für Personen mit Behinderungen, meist ungeeignet, weil sie nicht barrierefrei waren. Viele ältere Menschen wurden in Pflegeheimen oder medizinischen Einrichtungen untergebracht, in denen sie sich einsam und von ihrem Umfeld abgeschnitten fühlten. Die Kampfhandlungen waren jedoch nicht der einzige Grund für die Vertreibung. Viele ältere Menschen mussten ihre Wohnung verlassen, weil ihre Pflege vor Ort nicht mehr gewährleistet war. Oft waren Familienangehörige weggezogen, und die sozialen Dienste hatten nicht genug Personal, um den gestiegenen Bedarf zu decken.

Kinderrechte

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden seit Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar 2022 bis November 2023 insgesamt 569 Kinder getötet und mindestens 1.229 verletzt. Es gab keine zuverlässigen Daten, wie viele ukrainische Kinder von den russischen Besatzungsbehörden in andere russisch besetzte Gebiete oder nach Russland verschleppt bzw. an der Rückkehr in ihre Heimatorte gehindert wurden. Schätzungen zufolge waren es Hunderte, wenn nicht sogar Tausende. Dazu zählten Waisen und Kinder, die den Kontakt zu ihren Familien verloren hatten, Kinder aus Kinderheimen und Kinder, die mit Erlaubnis ihrer Eltern zu Erholungszwecken verreist waren, dann aber aufgrund der sich verändernden Frontlinie nicht mehr zu ihren Familien zurückkehren konnten. Am 17. März 2023 erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Kinderrechtsbeauftragte Marija Lwowa-Belowa wegen des mutmaßlichen Kriegsverbrechens der Deportation und rechtswidrigen Verbringung von Kindern aus den besetzten Gebieten nach Russland. 

Der anhaltende Krieg beeinträchtigte nach wie vor den Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Bildung, insbesondere den Präsenzunterricht in Gebieten unter ukrainischer Kontrolle. Schüler*innen, die Schulen ohne Luftschutzkeller oder in Frontnähe besuchten, wurden ausschließlich online unterrichtet. Andere Schulen boten eine Kombination aus Online- und Präsenzunterricht an. Beim Online-Unterricht waren die Schüler*innen auf eine Internetverbindung angewiesen, die angesichts von Stromausfällen jedoch häufig unzuverlässig war, und benötigten eine IT-Ausstattung, die nicht immer verfügbar war. Dies führte zu einer höheren Arbeitsbelastung für Lehrkräfte, die darüber hinaus mit ihren eigenen Kriegstraumata und denen der Kinder zurechtkommen mussten. 

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Im März 2023 wurde ein Gesetzentwurf veröffentlicht, der eingetragene Lebenspartnerschaften für heterosexuelle und homosexuelle Paare vorsah. Wichtige Ministerien unterstützten den Entwurf trotz des Widerstands zahlreicher religiöser Organisationen. Menschen in eingetragenen Lebenspartnerschaften, auch gleichgeschlechtliche Paare, würden demnach die gleichen Eigentums- und Erbrechte und den gleichen sozialen Schutz genießen wie verheiratete Paare. Das für gleichgeschlechtliche Paare geltende Adoptionsverbot würde aber beibehalten. 

Recht auf eine gesunde Umwelt

Der andauernde russische Angriffskrieg verursachte enorme Umweltschäden. Er zerstörte die Natur und verseuchte die Luft, das Wasser und den Boden der Ukraine. Außerdem untergrub er die Aussichten auf nationale und multilaterale Klimaschutzmaßnahmen. Die Abfallwirtschaft war mit der Entsorgung der Massen an Trümmern und gefährlichem Sondermüll überfordert. Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es von Februar 2022 bis März 2023 mehr als 1.800 Kriegsschadensfälle, die Umweltschäden verursacht haben könnten.

Am 6. Juni 2023 wurde der Kachowka-Damm in der Region Cherson durch eine offenbar gezielte militärische Aktion zerstört, die nach allgemeiner Auffassung von den russischen Streitkräften verübt wurde. Infolge des Dammbruchs wurden Hunderte Quadratkilometer überflutet, während der Stausee und Tausende Quadratkilometer Feuchtgebiete austrockneten. In Gebieten unter ukrainischer Kontrolle mussten Tausende Menschen ihre Häuser verlassen, Dutzende wurden als tot oder vermisst gemeldet. Zu den Opfern auf der von Russland kontrollierten linken Uferseite gab es keine Angaben. Die Zahl der Toten könnte also insgesamt wesentlich höher sein. Die russischen Besatzungsbehörden lehnten humanitäre Hilfsleistungen der Vereinten Nationen und anderer Organisationen ab. Sie sorgten weder für Evakuierungen noch für dringend benötigte humanitäre Hilfe für die betroffenen Zivilpersonen, sondern behinderten vielmehr die Arbeit freiwilliger Helfer*innen. Außerdem setzten die russischen Streitkräfte ihre wahllosen Angriffe auf das von der Ukraine kontrollierte rechte Ufer fort, während dort Zivilpersonen evakuiert wurden. Der Dammbruch hat die ökologische Vielfalt der Region stark beeinträchtigt und hat zu Verunreinigungen durch Chemikalien und Abfälle geführt, u. a. durch die Freisetzung Hunderter Tonnen Maschinenöl. Es war absehbar, dass die langfristigen ökologischen Folgen weit über die ukrainischen Grenzen hinaus reichen würden. Auch die Wasserversorgung für mehr als 1 Mio. Menschen war betroffen. 

Russisch besetzte Gebiete

In den russisch besetzten Gebieten der Ukraine wurden Rechte und Freiheiten 2023 noch stärker eingeschränkt. Ab September konnten Personen ohne russischen Pass nur noch über den Moskauer Flughafen Scheremetjewo in die besetzten Gebiete einreisen. Reisende mussten bis zu 24 Stunden lang ohne Zugang zu Nahrung und Hygieneeinrichtungen ausharren, bis die Überprüfungsprozeduren abgeschlossen waren. Sie wurden übergriffigen Kontrollen unterzogen und gefragt, ob sie Russlands "militärischen Sondereinsatz" gegen die Ukraine unterstützen würden.

Willkürlicher Entzug der Staatsbürgerschaft

Die Besatzungsbehörden zwangen Bewohner*innen der besetzten Gebiete, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, andernfalls würden sie den Zugang zu Gesundheitsversorgung, humanitärer und sozialer Unterstützung, Bildung und Beschäftigung sowie ihr Recht auf Freizügigkeit verlieren. 

Recht auf freie Meinungsäußerung 

Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde 2023 noch stärker unterdrückt. Die Besatzungsbehörden kontrollierten die Loyalität gegenüber Russland und bestraften jedes Anzeichen mangelnder Loyalität u. a mit Verschwindenlassen, willkürlicher Inhaftierung, Verhören, Misshandlungen und Abschiebedrohungen. Als mangelnde Loyalität galten bereits Inhalte mit Ukrainebezug auf persönlichen elektronischen Geräten, wie z. B. der Austausch von Nachrichten mit Familienmitgliedern, die in Gebieten unter Kontrolle der ukrainischen Regierung lebten. Vertreter*innen der lokalen ukrainischen Behörden wurden mit Gewalt und Drohungen gegen ihre Familienangehörigen eingeschüchtert und gezwungen, an öffentlichen Versammlungen zur Unterstützung der Besatzung teilzunehmen. 

Willkürliche Inhaftierung und Verschwindenlassen

Bei den ukrainischen Behörden waren mehr als 20.000 Personen registriert, die infolge des Kriegs und damit verbundener "besonderer Umstände" als vermisst galten. Bei vielen Zivilpersonen, die zunächst als vermisst gemeldet wurden, stellte sich später heraus, dass russische Streitkräfte sie in den besetzten Gebieten willkürlich inhaftiert hatten, weil sie mutmaßlich mit ukrainischen Behörden oder Streitkräften in Verbindung standen oder sich geweigert hatten, mit den Besatzungsbehörden zusammenzuarbeiten. Viele von ihnen wurden in den besetzten Gebieten oder in Russland ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, oft in unbestätigter Haft, was dem Verschwindenlassen gleichkam. 

Folter und andere Misshandlungen

Zu den häufigsten Formen von Folter und anderen Misshandlungen, denen Gefangene in den russisch besetzten Gebieten Berichten zufolge ausgesetzt waren, gehörten Schläge, Schlafenzug, langes Verharren in schmerzhaften Positionen und die unzureichende Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln. Außerdem verweigerte man den Inhaftierten Möglichkeiten zur Körperpflege und eine angemessene medizinische Versorgung.

Recht auf Bildung

In den russisch besetzten Gebieten waren alle örtlichen Schulen gezwungen, nach russischen Lehrplänen zu unterrichten. Dies führte zu Konflikten. Wenn Eltern ihre Kinder nicht auf diese Schulen schickten, oder wenn die Behörden entdeckten, dass die Kinder Online-Plattformen nutzten, um am ukrainischen Schulunterricht teilzunehmen, drohten sie den Eltern, ihnen ihre Kinder wegzunehmen. Ein im September 2023 eingeführtes Geschichtsbuch versuchte ganz offensichtlich, Schulkinder rechtswidrig zu indoktrinieren und verstieß damit gegen das Recht von Kindern auf eine angemessene und hochwertige Bildung. Eltern und Kinder wurden gezwungen, an Propagandaveranstaltungen in Schulen teilzunehmen und Unterstützungsbriefe an Angehörige der russischen Streitkräfte zu schicken.

Unfaire Gerichtsverfahren

Personen, die in russisch besetzten Gebieten inhaftiert waren, wurden vor nicht anerkannte Gerichte gestellt. Darüber hinaus gab es weitere Verstöße gegen ihre Rechte auf ein faires Gerichtsverfahren. Meist verweigerte man ihnen den Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl, vor allem in politisch motivierten Fällen. Die Angehörigen erhielten keine Informationen über die Inhaftierten und mussten sich an örtliche Rechtsbeistände wenden, die hohe Gebühren dafür verlangten, dass sie die Hafteinrichtungen besuchten, um Informationen über die Inhaftierten zu erhalten. Üblicherweise kamen gerichtlich bestellte Rechtsbeistände zum Einsatz, die nicht im besten Interesse ihrer Mandant*innen handelten. 

In Prozessen gegen Personen, deren Anklagen politisch motiviert waren, urteilten Richter*innen auf Grundlage erzwungener "Geständnisse" und anderer unzulässiger Beweise.

Zahlreiche verurteilte Personen wurden zur Verbüßung ihrer Strafe rechtswidrig nach Russland überstellt. Ihr Haftort war oft weit entfernt, und während sie dorthin gebracht wurden, gab es monatelang keine Informationen über ihren Verbleib.

Krim 

Die Ukraine griff auf der besetzten Halbinsel Krim regelmäßig Ziele an, die sie als militärisch betrachtete. Im Juli 2023 wurde die Brücke, die die Krim mit Russland verbindet, durch eine Explosion beschädigt. Dabei sollen zwei Personen getötet und ein Kind verletzt worden sein.

Die russischen Besatzungsbehörden schränkten die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit weiterhin drastisch ein. Krimtatarische Vertreter*innen, Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die sich gegen den Krieg aussprachen, verloren ihre Arbeit oder wurden mit Geldstrafen belegt sowie immer häufigeren, aggressiven und absichtlich zerstörerischen Hausdurchsuchungen unterzogen, willkürlich festgenommen und inhaftiert.

Menschenrechtsanwält*innen wurden nach wie vor verfolgt. Im April 2023 wurde der Rechtsanwältin Lilia Hemedzhy  erneut die Zulassung entzogen, als Vergeltung dafür, dass sie Krimtatar*innen vertreten hatte.

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