Amnesty Journal 19. April 2024

Planlos in die Zukunft

Das Bild zeigt viele Menschen mit Protestschildern in der Hand

Demonstration in Niamey, der Hauptstadt des Nigers, im August 2023.

Nach dem Putsch in Niger liegt die deutsche Sahelpolitik in Trümmern.

Ein Kommentar von Franziska Ulm-Düsterhöft

Die Idee war gut. Nach jahrelangen unkoordinierten Initiativen im Sahel glaubte die Bundesregierung im Mai 2023 endlich die Lösung gefunden zu haben, um effektiver zu sein: Erstmals sollten die Aktivitäten der Bundesministerien für Verteidigung, Auswärtiges und Entwicklungszusammenarbeit verzahnt werden und einer gemeinsamen Strategie folgen. Alle Hoffnungen ruhten auf Niger, wohin Bundeswehrsoldaten aus Mali verlagert werden sollten, nachdem dort das Militär erneut geputscht hatte.

So sinnvoll die Neuausrichtung der Sahelpolitik auch gewesen sein mochte, sie kam zu spät. Denn nach Mali und Burkina Faso kam es im Juli 2023 auch in Niger zu einem Militärputsch. Die neuen Militärregierungen kündigten an, sich von postkolonialen Gebärden insbesondere Frankreichs, aber auch anderer EU-Staaten lösen zu wollen. Sie brachen inzwischen weitgehend mit Frankreich und wollen nun auch aus der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) austreten. 

An der Misere hat die unkoordinierte und zwiespältige deutsche Sahelpolitik der vergangenen Jahre ihren Anteil. Ihr Scheitern verdeutlicht, dass es nicht immer realistisch ist, eine interessengeleitete Außenpolitik mit einer menschenrechtsbasierten zu verbinden. Im Zweifelsfall muss sich die Bundesregierung entscheiden, ob Menschenrechte und ­völkerrechtliche Verpflichtungen oder ­eigene Interessen Vorrang genießen. 

Im Zweifelsfall muss sich die Bundesregierung entscheiden, ob Menschenrechte und ­völkerrechtliche Verpflichtungen oder ­eigene Interessen Vorrang genießen. 

Bei den Militärmissionen im Sahel etwa haben Bundesregierung und EU ­zuletzt den Schwerpunkt immer mehr verlagert – weg vom Schutz der Zivil­bevölkerung vor terroristischen Angriffen und hin zur Eindämmung irregulärer Migration, die über Niger nach Europa führt. Damit verlor sie an Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung vor Ort, zudem gingen Kapazitäten für den Kampf gegen den Terrorismus verloren. Dieser Ansatz ist krachend gescheitert, denn die islamistischen Angriffe haben sich inzwischen auf weitere Gebiete ausgeweitet, und die Bevölkerung war aus nachvollziehbaren Gründen unzufrieden.

Echte Präsenz und echtes Interesse

Unglaubwürdig war die deutsche Sahelpolitik auch im Sinne der sogenannten ­feministischen Außenpolitik, die lokale NGOs und Betroffene politisch einbinden und die Beziehungen zu den Sahelstaaten dekolonial gestalten wollte. Gleichzeitig übernahm die ehemalige ­Kolonialmacht Frankreich vor Ort die Federführung für die EU. Selbst nachdem mehrere Sahelstaaten erklärten, dass sie eine Einmischung Frankreichs ablehnten, versteckte sich die Bundesregierung hinter der formalen EU-Zuständigkeitsverteilung, wonach Frankreich haupt­verantwortlich war für die europäische Sahel­politik. 

Nach dem Putsch in Niger scheint die Bundesregierung keinen Plan für den weiteren Umgang mit der Sahelregion zu haben. Unabhängig von den Entwicklungen in den einzelnen Staaten ist jedoch ein Umdenken erforderlich, wenn die Bundesregierung dort als Partnerin ­ernstgenommen werden möchte. Dazu gehören echte Präsenz und echtes Interesse, die über Gipfeltreffen hinausgehen.

Grundsätze, auf die sich Staaten in der Region verständigt haben, sollten nicht infrage gestellt werden. Das betrifft auch das Freizügigkeitsprinzip, dass in der EU genauso gilt wie im Raum der ECOWAS. Die EU wollte das Prinzip der Freizügigkeit in der Vergangenheit gesetzlich einschränken, um Migration zu unterbinden, und setzte deswegen jahrelang die nigrische Regierung unter Druck. 

Von Bedeutung ist auch ein respektvoller Umgang mit Menschen aus den Sahelländern in Deutschland und in der EU. Die aktuellen rassistischen Töne, Menschen aus diesen Ländern zur größten Gefahr Europas zu erklären, und die Absicht, sie an den EU-Außengrenzen zu inhaftieren oder massenhaft in Drittländer abzuschieben und dort ihrem Schicksal zu überlassen, helfen der Glaubwürdigkeit Deutschlands kaum.

Franziska Ulm-Düsterhöft ist Amnesty-Fachreferentin für Afrika.

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