Amnesty Journal Mauretanien 15. April 2024

Sklaverei geduldet

Männer und Jungen in Mauretanien haben sich zum Protest versammelt, sie stehen auf einem kleinen Erdhügel, dahinter Straßenlaternen.

Seltener öffentlicher Protest: Tausende Haratin demonstrieren 2014 in der mauretanischenHauptstadt Nouakchott gegen die Sklaverei.  

Obwohl das Halten von Sklav*innen in Mauretanien strafbar ist, geht der Staat gegen all jene vor, die das menschenrechtswidrige System abschaffen wollen.

Von Nadja Ahmad

Ohne Lohn, Urlaub oder Zugang zu Bildung arbeiten sie von früh bis spät. Sie müssen kochen, putzen, Vieh hüten, auf den Feldern und im Haushalt arbeiten und die Kinder ihrer "Herren" und "Herrinnen" betreuen. Zwar hat Mauretanien die Sklaverei 1981 als letztes Land weltweit verboten und 2007 unter Strafe gestellt. Doch in der Realität wird Sklaverei weiterhin betrieben und nur selten strafrechtlich verfolgt. Dabei verbietet Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Sklaverei, der UN-Menschenrechtsrat stuft sie gar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. 

Die sogenannten Haratin sind Nachkommen ehemaliger Sklav*innen. Die ­Bezeichnung leitet sich vom arabischen Wort für Freiheit ab und bedeutet befreite Sklavin bzw. befreiter Sklave. Bis heute wird dieser abwertende Begriff in Mauretanien verwendet, um die "Haratin" von den als "weiß" gelesenen "Bidhan" zu unterscheiden. Diese sind Nachkommen von Berber*innen und arabischen Maur*in­nen, die die Region im 8. und im 11. Jahrhundert eroberten und ein Kastensystem etablierten, das die Grundlage für die Versklavung der einheimischen "Haratin" und anderer afromauretanischer Gruppen bildete.

Betroffene zu 90 Prozent Frauen und Kinder

Die Abstammung spielt bis heute eine entscheidende Rolle: Kinder von Sklav*innen bleiben als Sklav*innen den "Herren" ihrer Eltern zugeordnet. Etwa 90 Prozent der Betroffenen sind Frauen und Kinder. Das genaue Ausmaß der Sklaverei in Mauretanien ist unbekannt. Der Global Slavery Index ging 2021 von rund 149.000 versklavten Menschen aus, das entspricht gut drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Menschenrechtsorganisationen schätzen den Anteil der Sklav*innen auf bis zu 20 Prozent. 

Obwohl die "Bidhan" heute in der Minderheit sind, dominieren sie die kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Führungspositionen des Landes. Die "Haratin" dagegen sind tief verwurzelter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, das gilt für den Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Wohnraum, Land und natürlichen Ressourcen ebenso wie zu Gesundheitsversorgung und sozialen Diensten. Selbst befreite "Haratin" bleiben daher in vielen Fällen bei ihren ehemaligen "Herren". Sie sind ökonomisch, kulturell und psychologisch an sie gebunden und sehen keine andere Perspektive für ihr Leben.

Während die Bestrafung von Sklaverei selten ist, geht der Staat energisch gegen Anti-Sklaverei-Aktivist*innen vor. Sie werden willkürlich festgenommen und in abgelegenen Gefängnissen inhaftiert. Bekannt sind auch Fälle von Folter und Misshandlungen während der Untersuchungshaft, um Aktivist*innen einzuschüchtern und "Geständnisse" zu erpressen. Immer wieder kommt es zu erheblichen Bedrohungen durch staatliche Stellen wie Festnahmen und Razzien. Auch werden Versammlungen zu dieser Thematik systematisch verboten. Organisationen, die sich gegen Sklaverei einsetzen, wird immer wieder die Anerkennung verweigert. Trotz dieser gefährlichen Umstände engagieren sich Aktivist*innen und Organisationen weiter für ein Ende der Sklaverei in Mauretanien.

Die Autorin ist in der Amnesty-Koordinationsgruppe Westafrika aktiv.

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