Aktuell Iran 26. Oktober 2023

Iran: Erneut brutale Angriffe auf belutschische Protestierende und Gläubige

Das Bild zeigt einen Wasserwerfer, der Wasser auf eine Menschenmenge sprüht.

Einsatz von Wasserwerfen gegen Demonstrierende im Iran. Die Behörden setzen unter anderem gefärbtes Wasser ein, um Demonstrierende später schneller identifizieren und festnehmen zu können (undatiertes Foto).

Im September 2022 löste der Tod von Jina Mahsa Amini im Iran eine landesweite Protestwelle aus. Seitdem kommt es auch in Provinzen, in denen Angehörige der belutschischen Minderheit leben, regelmäßig zu Demonstrationen gegen die iranische Regierung. Die Sicherheitskräfte gehen dabei mit großer Gewalt gegen die Minderheit vor. Am 20. Oktober wurden bei Protesten zahlreiche Menschen willkürlich verhaftet, Opfer des Verschwindenlassens, gefoltert oder anderweitig misshandelt. Darunter waren auch viele Kinder. Der UN-Untersuchungskommission muss ungehinderter Zugang zum Land gewährt werden, damit sie diese Menschenrechtsverletzungen untersuchen kann.

Seit einiger Zeit führen im Iran jeden Freitag Tausende Angehörige der unterdrückten belutschischen Minderheit in Zahedan in der Provinz Sistan und Belutschistan Proteste durch. Am 20. Oktober eskalierte das unerbittliche Vorgehen der iranischen Behörden gegen die friedlichen Proteste: Die Sicherheitskräfte gingen mit Schlägen gegen Demonstrierende vor und setzten rechtswidrig Tränengas und Wasserwerfer ein. Zahlreiche Menschen wurden willkürlich festgenommen, fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer und wurden gefoltert oder anderweitig misshandelt. Amnesty International hat die Behörden aufgefordert, bei den Protesten am kommenden Freitag keine rechtswidrige Gewalt anzuwenden und das Recht auf friedliche Versammlung zu wahren.

Die von Amnesty International gesammelten Beweise, darunter Interviews mit Augenzeug*innen und Videomaterial, zeichnen ein düsteres Bild der Brutalität gegen Tausende Gläubige und friedliche Protestierende. Darunter befinden sich auch Kinder im Alter von zehn Jahren. Hunderte Menschen, darunter zahlreiche Kinder, wurden gewaltsam festgenommen. Viele sind nach wie vor "verschwunden". Sowohl minderjährige als auch erwachsene Inhaftierte wurden gefoltert und anderweitig misshandelt. So wurden sie zum Beispiel verprügelt oder durch Paintball-Gewehre verletzt, die aus nächster Nähe abgefeuert wurden.

"Die Behörden gehen immer brutaler vor, um zu verhindern, dass sich belutschische Protestierende jede Woche in Zahedan versammeln. Die Staatengemeinschaft muss die iranischen Behörden dringend auffordern, den rechtswidrigen Einsatz von Gewalt und Schusswaffen gegen friedliche Demonstrierende einzustellen. Die Folter von Gefangenen muss aufhören und Kinder sowie alle anderen Personen, die nur wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte inhaftiert sind, müssen freigelassen werden", sagte Diana Eltahawy, stellvertretende Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

"Diese neue Folterwelle gegen Protestierende im Iran, von der auch Kinder betroffen sind, wurde durch die dort herrschende systemische Straflosigkeit begünstigt. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, dass Staaten weltweit unter dem Weltrechtsprinzip strafrechtliche Ermittlungen zu den völkerrechtlichen Verbrechen der iranischen Behörden einleiten."

Rechtswidriger Einsatz von Tränengas und Schusswaffen

Augenzeug*innen berichteten Amnesty International, dass die Sicherheitskräfte nach dem Ende des Freitagsgebets am 20. Oktober 2023 Tausende von Gläubigen, die friedlich die Große Mosalla von Zahedan (ein Gebetshaus nahe der Hauptmoschee) verließen, mit Steinen bewarfen. Nachdem etwa 1.000 Demonstrierende von der Gebetsstätte aus friedlich die Razi-Straße hinunter marschiert waren, kesselten die Sicherheitskräfte weitere Tausende Gläubige ein, die die Gebetsstätte verlassen wollten, und forderten sie auf, zu warten, bis sich die "Situation beruhigt" habe.

Amnesty-Posting auf Twitter:

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Wenige Minuten später feuerten die Sicherheitskräfte rechtswidrig Tränengas und gelegentlich auch Schrotflinten auf die friedlich demonstrierenden Menschen ab. Ein*e Augenzeug*in berichtete von mehreren Jugendlichen, denen Metallkugeln in Kopf und Brust steckten. Eine kleine Minderheit von Demonstrierenden begann daraufhin mit Steinen zu werfen.

Die Demonstration löste sich auf, nachdem die Sicherheitskräfte Schüsse abgegeben und mit Wasserwerfern gelbe Flüssigkeit versprüht hatten. Letzteres erleichterte die anschließende Identifizierung und Festnahme der entsprechend markierten Personen. Fliehende Protestierende wurden von Sicherheitskräften verfolgt, verprügelt und festgenommen, darunter auch Kinder.

Eine Person gab an: "Ich sah, wie die Sicherheitskräfte Kinder im Alter von zehn Jahren sowie junge und ältere Menschen mit Schlagstöcken schlugen... Sie schleiften Protestteilnehmer*innen unter Schlägen und Tritten am Boden entlang."

Augenzeug*innen berichteten auch, dass die Sicherheitskräfte Tränengas in der Großen Makki-Moschee von Zahedan abfeuerten, nachdem Hunderte friedliche Demonstrierende dort Zuflucht gesucht hatten, und dass sie das Personal, das den Eingang bewachte, gewaltsam festnahmen.

Berichten zufolge nahmen die Sicherheitskräfte auch nach der Auflösung der Proteste weiterhin Menschen fest, wobei sie sowohl Personen ins Visier nahmen, die der Teilnahme an den Protesten verdächtigt wurden, als auch solche, die die Geschehnisse von einem nahe gelegenen Wohnhaus aus gefilmt hatten.

Zu den beteiligten Sicherheitskräften gehörten Spezialeinheiten der iranischen Polizei (yegan-vijeh), Revolutionsgarden in Uniform sowie Kräfte in Zivil, von denen einige die traditionelle belutschische Kleidung und Gesichtsmasken trugen.

Das Crisis Evidence Lab von Amnesty International überprüfte 32 Videos und Bilder vom 20. Oktober 2023, die die Augenzeugenberichte bestätigten. Fünf Videos und Bilder zeigen kleine Kinder mit offenen Wunden oder Verletzungen am Kopf.

Massenfestnahmen und Folter

Die Sicherheitskräfte nahmen auch Hunderte Gläubige in der Nähe der Großen Mosalla, die große Gebetsstätte von Zahedan, fest. Andere wurden verprügelt und erhielten die Mahnung, in Zukunft nicht an den Freitagsgebeten dort teilzunehmen.

Die Festgenommenen wurden zum Emam-Ali-Sportkomplex gebracht und verprügelt, bevor sie an Haftanstalten der Revolutionsgarden, des Geheimdienstministeriums oder der Polizei überstellt wurden. Dort wurden sie nach eigenen Angaben weiter gefoltert und misshandelt. Einige wurden später freigelassen oder aber in das Zentralgefängnis von Zahedan – beziehungsweise im Falle einiger Kinder – in eine Jugendstrafanstalt verlegt.

Amnesty-Aktion in Berlin für die Freilassung der Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi:

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Eine Person, die zwei verwandte Kinder besuchen durfte, berichtete, dass diese angaben, mit Schlagstöcken geschlagen worden zu sein. Eine weitere Person sagte gegenüber Amnesty International, dass die Strafverfolgungsbehörden die 30-tägige Inhaftierung ihrer beiden Kinder angeordnet hatten, ohne jedoch deren Aufenthaltsort offenzulegen.

Amnesty International liegen Berichte über Folter und andere Misshandlungen gegen Inhaftierte, darunter auch Kinder, während der Verbringung in die Haftanstalten und innerhalb der Hafteinrichtungen vor.

Ein Angehöriger eines freigelassenen erwachsenen Gefangenen sagte, die Sicherheitskräfte hätten die Inhaftierten wiederholt ins Gesicht und am Körper geschlagen und getreten: "Viele Gefangene, darunter auch Kinder, erlitten Frakturen an Händen und Beinen... Ich sah ein Kind mit einer klaffenden Wunde an der Wange. Die Sicherheitskräfte setzten ihn irgendwo in der Stadt aus, ohne ihn in eine Klinik zu bringen."

Er beschrieb weiter, wie die Sicherheitskräfte den Häftlingen die Hemden auszogen und sie mit verbundenen Augen an die Wand stellten, bevor sie aus nächster Nähe mit Paintball-Gewehren auf ihren Rücken und ihre Hüften schossen.

Er stellte Amnesty International ein Bild zur Verfügung, das tiefe Verletzungen am Körper eines Betroffenen zeigt.

Mehr Gewalt wird erwartet

Augenzeug*innenberichten zufolge war das Aufgebot an Sicherheitskräften am Morgen des Vorfalls in ganz Zahedan merklich erhöht und es waren neue Kontrollpunkte an den Straßen zur Gebetsstätte errichtet worden, was auf ein gezieltes Vorgehen schließen lässt.

Amnesty International ist der Ansicht, dass die jüngste Eskalation mit den verstärkten Bemühungen zur Unterdrückung der wöchentlichen Proteste in Zahedan zusammenhängt. Haalvsh, eine belutschische Menschenrechtsorganisation außerhalb des Iran, hat berichtet, dass der iranische Polizeichef Ahmadreza Radan im September 2023 örtliche Stammes- und Religionsführer wegen der wöchentlichen Proteste bedroht hat. Diese wöchentlichen Proteste finden seit Ausbruch der landesweiten Protestbewegung "Frau, Leben, Freiheit" vor mehr als einem Jahr statt.

Die Menschen in Zahedan befürchten, dass die Behörden sich auf weiteres Blutvergießen vorbereiten. Eine Frau appellierte an Amnesty International, "dafür zu sorgen, dass die Stimmen der belutschischen Protestierenden gehört werden, da wir seit einem Jahr gewaltsam unterdrückt werden. Unsere Lage ist katastrophal, und jeden Freitag kann es zu weiteren furchtbaren Zwischenfällen kommen."

Amnesty International fordert die internationale Gemeinschaft erneut auf, die iranischen Behörden zu drängen, der UN-Untersuchungskommission ungehinderten Zugang zum Land einzuräumen, um Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten untersuchen zu können.

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