Roma-Siedlung zwangsgeräumt

Am 17. Dezember führten die Behörden der im Nordwesten Rumäniens gelegenen Stadt Cluj die Zwangsräumung einer Roma-Siedlung durch. Einige Familien wurden in Wohneinheiten umgesiedelt, die nicht den Kriterien für angemessenen Wohnraum entsprechen, andere Familien sind obdachlos. Laut Angaben lokaler Nichtregierungsorganisationen und ortsansässiger Roma sind noch weitere Roma-Gemeinschaften in Cluj von Zwangsräumung bedroht.

Appell an

BÜRGERMEISTER VON CLUJ-NAPOCA
Sorin Apostu
Str. Motilor 5, Cluj-Napoca 400001, RUMÄNIEN
Fax: (0040) 264 599 329
E-Mail: sorinapostu@primariaclujnapoca.ro

Sende eine Kopie an

MINISTERPRÄSIDENT
Emil Boc
Guvernul Romaniei, Piata Victoriei nr. 1
Sector 1, Bucuresti, RUMÄNIEN
Fax: (0040) 21 313 98 46
E-Mail: drp@gov.ro

STAATSPRÄSIDENT
Traian Băsescu
Palatul Cotroceni, Bulevardul Geniului nr. 1-3
Cod postal 060116, Sector 6 – Bucuresti
RUMÄNIEN
Fax: (0040) 21 410 38 58
E-Mail: procetatean@presidency.ro

BOTSCHAFT VON RUMÄNIEN
S.E. Herrn Lazăr Comănescu
Dorotheenstraße 62 - 66, 10117 Berlin
Fax: 030-2123 9399
E-Mail: office@rumaenische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Rumänisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 2. Februar 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

Ich fordere Sie auf, dringend angemessene alternative Unterbringung für die betroffenen Familien bereitzustellen, besonders für die Familien, die nun obdachlos sind.

  • Ich möchte Sie daran erinnern, dass Unterkünfte zur Umsiedlung den Kriterien für angemessenen Wohnraum gemäß internationalen Menschenrechtsnormen entsprechen müssen.

  • Stellen Sie sicher, dass Zwangsräumungen nur als letztes Mittel und in voller Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen durchgeführt werden und dass die betroffenen Gemeinschaften umfassend zu allen möglichen Alternativen zu einer Räumung und allen Umsiedlungsmöglichkeiten konsultiert werden.

  • Ich bitte Sie, in Übereinstimmung mit den geltenden Menschenrechtsnormen sicherzustellen, dass keine Personen an ihren ursprünglichen Wohnsitz umgesiedelt oder von der Rückkehr nach Cluj abgehalten werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the city authorities to provide adequate alternative housing for the families affected, in particular to the people rendered homeless as a matter of urgency;

  • Reminding the city authorities that relocation sites must fulfil the criteria for adequacy of housing under international human rights law;

  • Urging the city authorities to ensure that any evictions are carried out only as a last resort and in full compliance with international human rights standards, with genuine consultation with the affected community to identify all feasible alternatives to evictions and resettlement options;

  • Urging them to comply with requirements under human rights law that people are not forcibly moved to their original places of residence and prevented from returning to Cluj.

Sachlage

Am 15. Dezember wurden einige Familien in der Coastei-Straße mündlich darüber informiert, dass sie bis zum 17. Dezember ihr Hab und Gut aus ihren Wohnungen bringen sollten, da an diesem Tag alle Behelfsunterkünfte und Hütten abgerissen werden sollten. Die Behörden hatten die betroffene Gemeinschaft vorher nicht vollständig und in partizipatorischer Weise zu den Räumungsplänen konsultiert, und es waren keine möglichen Alternativen zur Zwangsräumung vorgestellt worden. Die Gemeinschaft hatte keine Möglichkeit, die Räumungsentscheidung anzufechten oder am Entscheidungsprozess teilzuhaben. Die Betroffenen waren nicht mit einem angemessenen zeitlichen Vorlauf schriftlich und detailliert über die Räumung in Kenntnis gesetzt worden.

Am 17. Dezember um ca. 6.00 Uhr kamen Polizei und Gendarmerie mit Angehörigen der Stadtverwaltung in die Coastei-Straße und forderten die BewohnerInnen auf, bis zum Ende des Tages ihre Habseligkeiten aus den Wohnungen zu räumen. 40 Familien wurden in neue Wohneinheiten am Stadtrand in der Gegend Pata Rat umgesiedelt, in der Nähe einer Müllkippe. Den restlichen 16 Familien wurde keine alternative Unterbringung angeboten. Dem Vernehmen nach soll man ihnen erlaubt haben, neben den neuen Gebäuden provisorische Hütten zu errichten. Denjenigen, die sich weigerten umzuziehen, wurden überhaupt keine Alternativen angeboten.
Angaben der örtlichen Gemeinde und Informationen von NGO zufolge sind durch die Zwangsräumung mehrere Familien obdachlos geworden, da sie weder ein Zimmer in einer Wohneinheit noch eine alternative Unterbringung erhielten. Erwachsene und Kinder sollen demnach im Freien übernachten, manchmal bei nächtlichen Temperaturen von bis zu minus 10°C. Da die nächste Bushaltestelle vier Kilometer entfernt liegt, ist der Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und öffentlichen Dienstleistungen schwierig. Auch der Schulbesuch für Kinder ist problematisch.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die neuen Wohneinheiten für 40 der 56 Familien entsprechen nicht den Kriterien für angemessenen Wohnraum. Jede Wohneinheit besteht aus vier Zimmern und einem geteilten Badezimmer und beherbergt vier Familien (pro Familie steht jeweils ein 16-18 qm großer Raum zur Verfügung, ungeachtet der Zahl der Familienmitglieder). Einer der Roma sagte: "Das Zimmer ist sehr klein; von außen kommt Wasser durch die Wand. Dies ist kein geeigneter Ort für eine Familie… Neben mir lebt eine 13-köpfige Familie, 11 davon Kinder, in einem Raum… Es ist wirklich schlimm". Die Wohneinheiten verfügen über keine Kochmöglichkeiten und keine Küche. Die Wohnungen haben zwar Wasser- und Stromanschluss sowie sanitäre Anlagen, jedoch kein warmes Wasser und keinen Gasanschluss. "Küche gibt es keine, wir haben im Zimmer einen improvisierten Herd gebaut, aber der Rauch ist so schlimm, dass wir nicht atmen können". Mit der Zwangsräumung ging für viele Familien auch ein großer materieller Verlust einher, da sie aufgrund der Umsiedlung in die kleinen Zimmer viele Habseligkeiten nicht mitnehmen konnten. "Wir haben gerade mal Platz für zwei Betten, der Rest von uns schläft auf dem Boden. Sonst hat nichts in das Zimmer gepasst".

Amnesty International besuchte Anfang Dezember 2010 die Stadt Cluj und die Roma-Familien, die in der Coastei- und der Cantonului-Straße leben. Die Roma-Gemeinschaften waren besorgt über eine mögliche drohende Zwangsräumung. Sie teilten Amnesty International mit, dass die städtischen Behörden in den vorangegangenen Monaten die Räumung angekündigt hatten. Die Gemeinschaft in der Coastei-Straße ist etwa fünf Minuten zu Fuß vom Stadtzentrum entfernt. Die Haushalte erhalten Post an ihre Adressen, und zumindest einige von ihnen sind an das Stromnetz angeschlossen.

Bei einem Treffen mit Amnesty International am 8. Dezember bestätigten die Behörden ihre Pläne, die Familien aus der Coastei-Straße in neue Wohneinheiten in der Gegend Pata Rat umzusiedeln. Sie sagten, dass die zukünftigen MieterInnen befristete Mietverträge erhalten sollten, die unter Umständen verlängert werden könnten. Als Gründe für die Räumung nannte die Stadtverwaltung verschiedene Beschwerden von Angestellten der nahe gelegenen öffentlichen Bibliothek und aus dem Büro eines internationalen Unternehmens in der Nähe der Coastei-Straße.

Das Völkerrecht sieht vor, dass Zwangsräumungen nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfen, und nur dann, wenn zuvor in angemessener Konsultation mit den betroffenen Gemeinden alle möglichen Alternativen ausgeschöpft wurden. In diesem Fall müssen die Behörden die Betroffenen mit einem angemessenen zeitlichen Vorlauf über die Räumung in Kenntnis setzen und angemessene Rechtsbehelfe, alternative Unterbringung und Entschädigung gewährleisten. Sie müssen zudem sicherstellen, dass niemand durch eine Zwangsräumung obdachlos wird oder in deren Folge anderweitige Menschenrechtsverletzungen erleiden könnte. Nach internationalen Standards sollten bei besonders schlechtem Wetter und auch nachts keine Räumungen durchgeführt werden.

Rumänien ist Vertragsstaat verschiedener internationaler und regionaler Menschenrechtsverträge, die das Verbot von, den Verzicht auf sowie das Vermeiden von rechtswidrigen Zwangsräumungen strengstens erfordern. Dazu gehören der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die UN-Kinderrechtskonvention, das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und die Revidierte Fassung der Europäischen Sozialcharta. Der UN-Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte betonte in seinem "Allgemeinen Kommentar Nr. 7", dass Zwangsräumungen nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfen, wenn zuvor alle möglichen Alternativen ausgeschöpft wurden. Selbst wenn eine Räumung als gerechtfertigt angesehen wird, kann sie nur dann durchgeführt werden, wenn angemessene verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen bestehen und eine Entschädigung für etwaige Verluste sowie angemessene Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt werden.

Als Vertragsstaat des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist Rumänien verpflichtet, die Rechte auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnorts für jede Person zu gewährleisten, die rechtmäßig auf rumänischem Boden lebt. Deshalb ist Amnesty International besorgt über die Behauptungen, dass Personen, die nicht aus Cluj stammen, an ihren früheren Wohnsitz zurückgeschickt werden sollen. Dies würde ihre Rechte auf Freizügigkeit und auf die freie Wahl des Wohnorts verletzen.