Wegen Beamtenbeleidigung in Haft

Die tunesische Filmregisseurin Ines Ben Othman wurde festgenommen und inhaftiert, als sie auf einer Polizeiwache Anzeige gegen einen Polizisten erstatten wollte. Ihr droht eine einjährige Haftstrafe wegen Beamtenbeleidigung.

Appell an

INNENMINISTER
Lotfi Ben Jeddou

Avenue Habib Bourguiba, 1000
Tunis
TUNESIEN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 216) 71 340 888
E-Mail: interieur.gov.tn@gmail.com

JUSTIZMINISTER
Hafedh Ben Salah

31, Boulevard Bab Benat
1006 La Kasbah
Tunis
TUNESIEN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 216) 71 568 106
E-Mail: mju@ministeres.tn

Sende eine Kopie an

MINISTERPRÄSIDENT
Habib Essid
Place du Gouvernement
1020 La Kasbah
Tunis
TUNESIEN
Fax: (00 216) 71 570 842
E-Mail: webmaster@pm.gov.tn

BOTSCHAFT DER TUNESISCHEN REPUBLIK
Frau Hayet Talbi ép. Bilel
Geschäftsträgerin a.i., Botschaftsrätin
Lindenallee 16
14050 Berlin
Fax: 030-3082 06 83
E-Mail: at.berlin@tunesien.tn

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 17. Februar 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte lassen Sie alle Anklagen gegen Ines Ben Othman fallen.

  • Lassen Sie Ines Ben Othman bitte umgehend frei.

  • Ich fordere Sie zudem höflich auf, alle Gesetze, die zur willkürlichen Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung herangezogen werden können, zu prüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Tunisian authorities to drop the criminal charges against Ines Ben Othman.

  • Calling on them to release Ines Ben Othman.

  • Calling on them to review and reform Tunisian laws that are used to arbitrarily restrict freedom of expression.

Sachlage

Am 19. Dezember 2014 wollte Ines Ben Othman auf der Polizeiwache von Ariana, einem Vorort der Hauptstadt Tunis, Anzeige gegen einen Polizisten erstatten. Ihren Angaben zufolge hat der stellvertretende Leiter der Polizeiwache in den vergangenen Monaten beleidigende Kommentare über sie auf Facebook hinterlassen. Auf der Polizeistation hatte Ines Ben Othman eine Auseinandersetzung mit dem stellvertretenden Leiter und wurde unter Paragraf 125 des Strafgesetzbuchs wegen "Beleidigung eines diensthabenden Beamten" angeklagt. Demgemäß könnten ihr eine einjährige Haftstrafe sowie eine Geldstrafe von 120 Tunesischen Dinar (etwa 50 Euro) drohen.

Ines Ben Othman ist Generalsekretärin der Gewerkschaft für Facharbeiter_innen im Bereich Kino und audiovisuelle Medien innerhalb des tunesischen Gewerkschaftsdachverbands Union Générale Tunisienne du Travail (UGTT). Sie wurde noch am Tag ihrer Festnahme in das Frauengefängnis von Manouba westlich von Tunis überstellt. Ein Antrag ihrer Rechtsbeistände auf Freilassung gegen Kaution wurde zunächst abgelehnt. Am 31. Dezember vertagte das erstinstanzliche Gericht von Ariana die Entscheidung über ihre mögliche Freilassung auf den 7. Januar. Die Rechtsbeistände von Ines Ben Othman machen geltend, dass ihre Mandantin erst gar nicht auf Grundlage dieser Anklage hätte inhaftiert werden dürfen und fordern ihre Freilassung gegen Kaution für die Dauer des Verfahrens.

Die Rechtsbeistände von Ines Ben Othman gehen davon aus, dass sie wegen ihres Engagements ins Visier genommen wurde. Sie sind der Ansicht, dass Ines Ben Othman auch deshalb zur Zielscheibe wurde, weil ihr Verlobter Walid Zarrouk, ein ehemaliger Polizist, Gründer der Organisation Mourakeb ist, welche die Einhaltung der Menschenrechte durch die Polizei überwacht. Walid Zarrouk hat in der Vergangenheit die Behörden und auch bestimmte Polizist_innen öffentlich kritisiert, weshalb er seinerseits bereits festgenommen und wegen Beamtenbeleidigung und Verleumdung angeklagt worden war.

Amnesty International wendet sich gegen gesetzliche Bestimmungen, die Beleidigung oder Verleumdung als Straftat definieren. Die Organisation ist der Ansicht, dass solche Vergehen zivilrechtlich behandelt werden sollten. Die Verhängung einer Haftstrafe gegen Ines Ben Othman wegen Beamtenbeleidigung wäre als unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit zu betrachten. Amnesty International hat bereits in der Vergangenheit kritisiert, dass die tunesischen Behörden seit den Unruhen 2010/2011 solche Anklagen vermehrt dazu verwenden, Journalist_innen, Aktivist_innen und Regierungskritiker_innen vor Gericht zu stellen. Die Revolution vor vier Jahren führte zum Sturz des damaligen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Amnesty International kritisiert seit einiger Zeit, dass die tunesischen Behörden sich auf Gesetze berufen, die Beleidigung und Verleumdung unter Strafe stellen, um Regierungskritiker_innen, Journalist_innen, Blogger_innen und Künstler_innen strafrechtlich zu verfolgen. Die Organisation hat die tunesische Regierung bereits in der Vergangenheit aufgefordert, Gesetze zu überprüfen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken. Hierzu zählen auch gewisse Bestimmungen des Strafgesetzbuchs.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in Artikel 31 der neuen tunesischen Verfassung sowie in Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) festgeschrieben. Tunesien ist Vertragsstaat des IPbpR. Das Recht auf freie Meinungsäußerung beinhaltet auch das Recht, öffentlich Kritik an Staatsbediensteten und staatlichen Einrichtungen zu üben. Laut dem UN-Menschenrechtsausschuss, der die Einhaltung des IPbpR überwacht, sollten öffentliche Funktionsträger_innen sowie öffentliche Einrichtungen bereit sein, ein höheres Maß an Kritik hinzunehmen als "Normalbürger_innen". Bestimmungen oder Gesetze, die Staatsbediensteten besonderen Schutz vor Kritik zusprechen, sind mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar.