Pressemitteilung Aktuell Russische Föderation 22. Februar 2024

Ukraine: Russland muss für alle seit 2014 begangenen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden

Das Bild zeigt zwei Menschen inmitten von Schutt, vor ihnen steht ein komplett zerstörtes Auto

Zwei Menschen verlassen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit wenigen Habseligkeiten ein Wohngebäude, das durch einen russischen Raketenangriff zerstört wurde (Archivaufnahme vom 2. Januar 2023).

Am Samstag jährt sich der Beginn der umfassenden russischen Invasion der Ukraine zum zweiten Mal. Doch Russland führt bereits seit 2014 Krieg gegen die Ukraine: Erst durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim-Halbinsel, anschließend durch das Entfachen der Kämpfe in der Ostukraine. Amnesty International fordert, dass Russland für alle Verbrechen, sie es seit 2014 in der Ukraine begangenen hat, zur Rechenschaft gezogen wird. Nur so kann es Gerechtigkeit geben für die Menschen in der Ukraine.

Seit der Besetzung der ukrainischen Krim-Halbinsel durch Russland im Jahr 2014 hat Amnesty International zahlreiche Gräueltaten dokumentiert, darunter gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und wichtige zivile Infrastruktur, Verschwindenlassen, außergerichtliche Hinrichtungen, Folter, rechtswidrige Freiheitsberaubung, Verschleppung von Zivilpersonen und die Misshandlung von Kriegsgefangenen. 

"Noch während der Krieg wütet, müssen die Beweise für jede einzelne Gräueltat so gut wie möglich gesichert werden. Die Verantwortlichen für Völkerrechtsverbrechen müssen vor Gericht kommen, egal wie lange das dauert. Solche Straftaten verjähren nicht", sagte Denis Krivosheev, stellvertretender Programmdirektor für Europa und Zentralasien bei Amnesty International.

Das Bild zeigt eine Person, die sich in Trauer über einen Sarg beugt

Eine Frau trauert in der ukrainischen Stadt Charkiw um eine Person, die bei einem russischen Drohnen-Angriff getötet wurde (12. Februar 2024).

Zehn Jahre bewaffneter Konflikt

Im Februar 2014 entsandte Russland seine Truppen auf die ukrainische Krim-Halbinsel, gab aber nie zu, dass die Streitkräfte im selben Jahr auch in der Ostukraine einmarschierten. Die von Amnesty International veröffentlichten Beweise aus dem Jahr 2014, einschließlich der Untersuchung von Satellitenbildern und Augenzeugenberichten, bestätigten jedoch, dass dies der Fall war. Damit dauert der  internationale bewaffnete Konflikt inzwischen zehn Jahre an. 

Überall in der Ukraine litten die Menschen unter den Folgen des Krieges und den begangenen Menschenrechtsverletzungen. Dies gilt insbesondere für die Menschen in den Regionen Donezk und Luhansk. Zwischen 2014 und 2021 wurden mehr als 10.000 ukrainische Zivilpersonen getötet oder verletzt, wobei im ersten Jahr der Kämpfe zahlreiche Verstöße gegen das Kriegsrecht gemeldet wurden. Hunderttausende wurden aus der Ostukraine vertrieben, nachdem von Russland unterstützte bewaffnete Gruppen in Donezk und Luhansk "Volksrepubliken" ausgerufen hatten. Aber viele Menschen sind auch geblieben.

"In Donezk hatte ich ein Dach über dem Kopf, einen Job, der mich ernährte, und meine Eltern, die mich und das Baby unterstützten. Es war sehr schwer mit anzusehen, was mit meiner Heimat geschah ... Aber 2022, als der Druck, sich einen russischen Pass ausstellen zu lassen, und die Einmischung in die Schule zu groß wurden, beschloss ich, dass es Zeit war zu gehen", sagte Olha* aus Donezk.

Von dem Moment an, als die von Russland unterstützten bewaffneten Gruppen die Kontrolle über Donezk und Luhansk übernahmen, waren in den Regionen Verschleppungen, Folter und in vielen Fällen die Tötung von Zivilpersonen an der Tagesordnung. Einwohner*innen von Slowjansk berichteten Amnesty International, dass 2014 eine bewaffnete Gruppe einen örtlichen Pastor, zwei seiner Söhne und zwei Kirchenbesucher*innen entführt und 50.000 US-Dollar Lösegeld gefordert hatte. Bis die Gemeinde das Geld gesammelt hatte, waren die fünf Gefangenen bereits getötet worden. Solche Gräueltaten wurden von der brutalen Unterdrückung abweichender Meinungen begleitet, die sich gegen Medienschaffende, Wissenschaftler*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Aktivist*innen richtete.

Das Bild zeigt mehrere Menschen, auchJugendliche, die Trümmer aus dem Weg räumen

Menschen räumen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach einem russischen Raketenangriff Trümmer beiseite (3. Januar 2024).

Die Menschenrechtskatastrophe weitet sich aus

Mit Russlands groß angelegter Invasion vor zwei Jahren – einem Akt der Aggression, der ein Verbrechen unter dem Völkerrecht darstellt – hat sich die Menschenrechtskatastrophe auf das ganze Land ausgeweitet.

"Diejenigen, die 2014 überlebt haben, sagten uns: 'Das ist Krieg, ihr müsst evakuieren.' Jetzt weiß ich, dass sie Recht hatten. Und erst jetzt weiß ich, wie sich das anfühlt: die Heimat zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen. Und sie mussten das zweimal erleben", sagte Nataliia* aus Chernihiv in der Nordukraine.

Russland hat in den ersten Tagen der umfassenden Invasion in der Region Kiew Kriegsverbrechen begangen. Sie zeigen eindeutig Muster von Folter und rechtswidrigen Tötungen von Zivilpersonen, bei denen es sich zumeist um außergerichtliche Hinrichtungen zu handeln scheint.

"Ich sah Oleh in einer Blutlache auf dem Boden liegen. [...] Ein Teil seines Kopfes fehlte und er blutete stark. Ich schrie und die Soldaten richteten ihre Gewehre auf mich. Daraufhin rief ich ihnen zu: 'Erschießt mich auch'. Die Soldaten zwangen uns, sofort zu gehen. Wir durften erst zurückkommen, nachdem sie sich aus Bucha zurückgezogen hatten. Olehs Leiche blieb dort auf der Straße liegen", erinnert sich Iryna* an die Tötung ihres Mannes durch russische Soldaten im März 2022.

"Wir müssen sicherstellen, dass die Verantwortlichen für völkerrechtliche Verbrechen in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden. Es ist von größter Wichtigkeit, dass die ukrainische Bevölkerung Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die verheerenden Auswirkungen erhält, die dieser Krieg in den letzten zehn Jahren auf die Menschen, das Land, die Infrastruktur und die Wirtschaft hatte und immer noch hat", sagte Denis Krivosheev. 

*Namen zum Schutz der Identität geändert 

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