Venezuela: Menschenrechtlerin muss freigelassen werden

Das Bild zeigt das Porträtbild einer Frau

Die venezolanische Menschenrechtsverteidigerin Rocío San Miguel (Archivbild)

Am 9. Februar wurde die bekannte Menschenrechtsverteidigerin Rocío San Miguel am Flughafen von Caracas willkürlich festgenommen, als sie das Land verlassen wollte. Sie war mehrere Tage "verschwunden". Auch ihre Tochter und andere Familienmitglieder wurden vorübergehend festgesetzt. Rocío San Miguel und ihr ehemaliger Lebensgefährte sind weiterhin willkürlich inhaftiert. Ihnen werden mehrere mutmaßliche Straftaten vorgeworfen. Der Zugang zu Rechtsbeiständen ihres Vertrauens wird ihnen verwehrt. Dieses Vorgehen scheint Teil eines koordinierten Plans der Regierung zu sein, um Kritiker*innen und vermeintliche Gegner*innen zum Schweigen zu bringen.

Appell an

Nicolás Maduro
Presidente de la República Bolivariana de Venezuela
Edificio Palacio de Miraflores
Avenida Urdaneta
Caracas
VENEZUELA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela
S.E. Herrn Ramon Orlando Maniglia Ferreira
Schillstraße 10
10785 Berlin
Fax: 030 – 83 22 40 20
E-Mail: embavenez.berlin@botschaft-venezuela.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere die sofortige und bedingungslose Freilassung von Rocío San Miguel. 
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die Sicherheit von Rocío San Miguel gewährleistet ist, solange sie willkürlich inhaftiert ist. Außerdem müssen ihr die Behörden umgehend den Zugang zu ihrer Familie und den von ihr gewählten Rechtsbeiständen ermöglichen.

Sachlage

Rocío San Miguel wurde am 9. Februar gegen 5:00 Uhr morgens auf dem internationalen Flughafen Simón Bolívar in Caracas festgenommen. Bis 15. Februar war nichts über ihren Verbleib bekannt, was einem kurzfristigen Verschwindenlassen gleichkommt. Auch ihre Tochter und andere Familienmitglieder wurden am 9. Februar willkürlich festgenommen; am 15. Februar kamen die meisten von ihnen unter Auflagen wieder frei. 

Die anhaltende willkürliche Inhaftierung von Rocío San Miguel gibt Anlass zu großer Sorge. Nachdem sie fünf Tage lang "verschwunden" war, wird sie weiterhin zu Unrecht in El Helicoide. einem Haftzentrum des venezolanischen Geheimdienstes (SEBIN), in Caracas festgehalten. Seit ihrer Festnahme wurde ihr wiederholt der Zugang zu ihrem Rechtsbeistand verweigert, und die Behörden ließen außerdem auch keine Familienbesuche zu. Erst am 18. Februar durfte sie ihre Tochter besuchen.

Amnesty International begrüßt zwar die Freilassung ihrer Tochter und anderer Familienmitglieder unter Auflagen, doch hätten sie gar nicht erst festgenommen werden dürfen. Die Anklagen gegen sie müssen sofort fallen gelassen werden. Dasselbe gilt für Rocío San Miguel, ihren ehemaligen Lebensgefährten und alle weiteren aus politischen Gründen willkürlich Inhaftierten, einschließlich des Menschenrechtsverteidigers und gewaltlosen politischen Gefangenen Javier Tarazona – alle müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Rocío San Miguel, die sowohl die venezolanische als auch die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, ist eine sowohl national als auch international bekannte Anwältin, Professorin und Menschenrechtsverteidigerin aus Venezuela. Sie ist die derzeitige Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation Control Ciudadano (Bürgerliche Kontrolle), die Menschenrechtsverletzungen durch Polizei, Militär und Geheimdienst dokumentiert. Im Zusammenhang mit der willkürlichen Festnahme und dem Verschwindenlassen von Rocío San Miguel wurden auch mehrere Personen aus ihrem familiären Umfeld festgenommen; darunter ihre Tochter Miranda Díaz San Miguel, ihre zwei Brüder, Miguel Ángel San Miguel Sosa und Alberto San Miguel Quigosos, Mirandas Vater, Víctor Díaz Paruta, und ihr ehemaliger Lebensgefährte, Alejandro González Canales. Alle außer Rocío San Miguel und Alejandro González Canales wurden am 15. Februar wieder freigelassen.

Nach fünf Tagen des Verschwindenlassens gaben die Behörden den Aufenthaltsort von Rocío San Miguel bekannt. Sie bestätigten, dass sich die Anwältin im Gewahrsam des venezolanischen Geheimdienstes (SEBIN) befindet und in der Haftanstalt El Helicoide in Caracas festgehalten wird. Der Rechtsbeistand von Rocío San Miguel bestätigte, dass ihre Tochter Miranda sie am 18. Februar besuchen durfte. Bei diesem Besuch beteuerte Rocío San Miguel ihre Unschuld in Bezug auf die ihr vorgeworfenen Verbrechen. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft wurde Rocío San Miguel vor dem Zweiten Sondergericht angeklagt, das für terrorismusbezogene Straftaten zuständig ist. Ihr werden Landesverrat, Verschwörung, Terrorismus und die Vereinigung [zur Begehung von Verbrechen] vorgeworfen.

Am 15. Februar kündigte die venezolanische Regierung an, dass das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte seine Aktivitäten in Venezuela einstellen müsse. Dies signalisiert eine besorgniserregende Eskalation der Versuche des Landes, sich internationaler Kontrolle und damit einhergehender Rechenschaftspflichten zu entziehen. Diese Entscheidung kam kurz nachdem das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte seine Besorgnis über die Festnahme von Rocío San Miguel geäußert hatte, indem es feststellte, dass "ihr Aufenthaltsort unbekannt bleibt, was ihre Inhaftierung möglicherweise als Verschwindenlassen qualifiziert". Die Erklärung zur Einstellung der Arbeit des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte erfolgte außerdem einen Tag nach der Veröffentlichung des Berichts des UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Nahrung über dessen jüngsten Besuch in Venezuela.

Amnesty International prangert seit Jahren den Einsatz von politisch motivierten willkürlichen Festnahmen als Teil der Repressionspolitik der Regierung von Nicolás Maduro gegen Personen an, die als regierungskritisch gelten. Diese willkürlichen Festnahmen sind Teil eines weit verbreiteten und systematischen Angriffs gegen die Bevölkerung Venezuelas und könnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Außerdem ist auch das kurz- und langfristige Verschwindenlassen Teil der Repressionspolitik der venezolanischen Regierung. Diese Praxis wurde von der UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen sowie von der UN-Ermittlungsmission für die Bolivarische Republik Venezuela dokumentiert und angeprangert.

Menschenrechtsverteidiger*innen sind einem ständigen Risiko ausgesetzt, schikaniert, angegriffen oder willkürlich festgenommen zu werden. So befindet sich der Menschenrechtsverteidiger, gewaltlose politische Gefangene und Direktor der lokalen NGO Fundaredes, Javier Tarazona, seit Juli 2021 in Haft. Auch er wird zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil er sich für die Menschenrechte in Venezuela einsetzt. Amnesty International fordert auch seine sofortige und bedingungslose Freilassung. 

Die Regierung unter Nicolás Maduro fährt eine repressive und auf Schikane, Strafverfolgung und Zensur beruhende Linie gegen Aktivist*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Rechte der Venezolaner*innen einsetzen. In Venezuela herrscht derweil eine komplexe humanitäre und menschenrechtliche Krise, die dazu geführt hat, dass so viele Menschen wie nie zuvor das Land verlassen haben, um im Ausland Schutz zu suchen. Bis November 2023 sind mehr als 7,72 Millionen Menschen vor den massiven Menschenrechtsverletzungen in Venezuela geflohen, das sind über 25 % der Gesamtbevölkerung. 

Seit 2020 konnte die unabhängige internationale Ermittlungsmission für die Bolivarische Republik Venezuela in drei Berichten zahlreiche seit 2014 begangene Menschenrechtsverletzungen ausführlich dokumentieren, darunter außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierungen sowie Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafen. Die Berichte kommen zu dem Schluss, dass die Regierung das Rechtssystem als Instrument der Unterdrückung missbraucht habe und dass die dadurch begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen könnten.