Thailand: Aktivist*innen freilassen und Anklagen fallen lassen

Das Bild zeigt eine Frau in einem Krankenbett mit geschlossenen Augen, jemand hält ihre Hand

Die thailändische Aktivistin Nutthanit "Baipor" Duangmusitseit erlitt nach einer gerichtlichen Anhörung am 18. Juli 2022 in Bangkok einen Schwächeanfall. Seit Anfang Juni 2022 befindet sie sich im Hungerstreik.

*** Update: Am 7. Februar konnten Tantawan "Tawan" Tuatulanon und Orawan "Bam" Phuphong mit ihrem Hungerstreik ihre bedingte Freilassung erwirken. Ihr Zustand ist inzwischen lebensbedrohlich. Dennoch setzen die beiden den Hungerstreik für diejenigen fort, denen die Freilassung auf Kaution bislang verwehrt wird. Bitte setzt euch weiter für sie ein. ***

In Thailand gehen die Behörden weiterhin hart gegen friedliche Proteste vor. Hunderte von Menschen stehen in Zusammenhang mit den Protesten bereits unter Anklage. Im Januar 2023 wurde die Freilassung gegen Kaution von zwei jungen Aktivist*innen widerrufen, die lediglich Gebrauch von ihren Rechten gemacht hatten. Darüber hinaus besteht Sorge um Leben und Gesundheit von zwei weiteren inhaftierten Aktivistinnen, die sich seit Mitte Januar 2023 im Hungerstreik befinden und keine Flüssigkeit mehr zu sich nehmen. Sie und viele weitere Personen werden von den Behörden willkürlich festgehalten und strafrechtliche verfolgt, weil sie friedlich ihre Rechte wahrnehmen.

Appell an

Premierminister

Prayut Chan-O-Cha

Office of the Prime Minister


Government House, Pitsanulok Road

Bangkok 10300

THAILAND

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Thailand

S.E. Herrn Nadhavathna Krishnamra

Lepsiusstraße 64/66

12163 Berlin


Fax: 030-79 48 15 11

E-Mail: general@thaiembassy.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie alle genannten Personen umgehend und bedingungslos frei und/oder lassen Sie die Anklagen gegen sie fallen und nehmen Sie die überzogenen Auflagen ihrer Freilassung gegen Kaution zurück. Stellen Sie auch alle Strafverfahren gegen Menschen ein, die lediglich ihre Menschenrechte ausgeübt haben.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass die Aktivist*innen, die sich im Hungerstreik befinden, vor Folter und anderweitiger Misshandlung geschützt werden und Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten, die den Grundsätzen der Vertraulichkeit, der Patient*innenautonomie und der Zustimmung nach Inkenntnissetzung entspricht.
  • Weisen Sie die zuständigen Beamt*innen an, Thailands internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten und die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit zu wahren, sowie willkürliche Inhaftierungen zu verhindern.

Sachlage

Die thailändische Regierung inhaftiert willkürlich Personen, die an friedlichen Protesten teilnehmen. Unter den Inhaftierten sind die Studentin Nutthanit "Bai Por" Duangmusit, die Jurastudentin Tantawan "Tawan" Tuatulanon, der Radiologietechniker Sopon "Get" Surariddhidhamrong und Orawan "Bam" Phuphong. Orawan Phuphongs und Tantawan Tuatulanons Leben und Gesundheit sind nun durch einen Hungerstreik in Gefahr, den sie am 18. Januar 2023 angetreten haben. Sie nehmen auch keine Flüssigkeiten zu sich.

Die Regierung ließ strafrechtliche Verfahren gegen die vier Aktivist*innen sowie hunderte weitere Personen einleiten, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wahrgenommen haben. Die Freilassung gegen Kaution von Nutthanit Duangmusit und Sopon Surariddhidhamrong wurde nun von den Behörden rückgängig gemacht, weil sie im November 2022 friedlich an einem Protest im Rahmen des APEC-Gipfels teilgenommen hatten. Sie standen zuvor unter strengen Kautionsauflagen, die ihr Recht auf Bewegungsfreiheit, friedliche Versammlung und Meinungsäußerung stark eingeschränkt hatten. Nutthanit Duangmusit, Orawan Phuphong und Tantawan Tuatulanon werden angeklagt, weil sie in Straßenumfragen die Meinung der Bevölkerung eingeholt hatten. Sopon Surariddhidhamrong steht wegen Reden, die er bei Protesten im Jahr 2022 gehalten hatte, unter Anklage. Ihm werden unter anderem Aufwiegelung und Majestätsbeleidigung vorgeworfen, was jahrzehntelange Haftstrafen nach sich ziehen kann.

Internationale Menschenrechtsnormen verpflichten die thailändische Regierung dazu, die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung zu respektieren, wirksam zu schützen und zu gewährleisten. Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen hat ebenfalls festgestellt, dass die Praxis der Regierung, Menschen wegen des Verdachts auf Majestätsbeleidigung strafrechtlich zu verfolgen und willkürlich inhaftieren zu lassen, gegen internationale Menschenrechtsverpflichtungen verstößt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die thailändische Regierung geht seit dem Beginn der Reformbewegung 2020 mit Menschenrechtsverletzungen gegen die größtenteils friedlichen und von jungen Menschen angeführten Proteste im Land vor. Sie lässt Menschen, die bei Protesten oder im Internet abweichende Meinungen äußern, schikanieren, überwachen und belästigen. Manchen Personen wird ihr Recht auf Freilassung gegen Kaution verwehrt, sie werden willkürlich inhaftiert und sie unterstehen strengen Kautionsauflagen. Letztere kommen teilweise einem Hausarrest gleich, bei dem Aktivist*innen eine gerichtliche Genehmigung benötigen, um ihren Wohnsitz überhaupt verlassen zu dürfen. Die friedliche Wahrnehmung ihrer Rechte ist weitreichend eingeschränkt.

Seit das Strafgericht von Bangkok am 9. Januar 2023 die Freilassung gegen Kaution der Studentin Nutthanit Duangmusit und des Radiologietechnikers Sopon Surariddhidhamrong zurückgenommen hatte, werden die beiden  im Untersuchungsgefängnis bzw. in der Zentralen Frauenstrafvollzugsanstalt von Bangkok festgehalten. Die Behörden werfen ihnen vor, dass sie am 17. November 2022 im Rahmen eines friedlichen Protestes während des Gipfeltreffens der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) gegen ihre Kautionsauflagen verstoßen hatten. Ihnen wird Majestätsbeleidigung vorgeworfen. Die Jurastudentin Tantawan Tuatulanon und Orawan Phuphong sitzen beide seit dem 16. Januar 2023 in Haft. Sie hatten gegen die Aufhebung der Freilassung gegen Kaution von Nutthanit Duangmusit und Sopon Surariddhidhamrong protestiert und sich für das Recht auf Kaution von anderen inhaftierten Aktivist*innen eingesetzt. Sie hatten außerdem einen Antrag bei den Behörden gegen die Aufhebung ihrer eigenen Freilassung gegen Kaution eingereicht. In der Nacht des 18. Januars 2023 traten Tantawan Tuatulanon und Orawan Phuphong den Hungerstreik an. Beide weigern sich auch, Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Sie fordern von den Behörden eine Rechtsreform und dass die Anklagen gegen Personen, die wegen der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung strafrechtlich verfolgt werden, fallen gelassen werden. Sie fordern außerdem die politischen Parteien dazu auf, sich für eine Änderung der Sicherheitsgesetze einzusetzen, die zur Inhaftierung von Aktivist*innen missbraucht werden. Tantawan Tuatulanon und Orawan Phuphong befinden sich aktuell nach einem Zusammenbruch im Krankenhaus, und weigern sich intravenös ernährt zu werden.

Nutthanit Duangmusit, Tantawan Tuatulanon, Sopon Surariddhidhamrong und Orawan Phuphong gehören zu den Reformaktivist*innen, gegen die die Behörden strafrechtlich vorgehen, obwohl sie lediglich Gebrauch von ihren Menschenrechten machen. Den Aktivist*innen drohen Strafverfahren, die bis zu lebenslange Haftstrafen nach sich ziehen können. Im Jahr 2022 hatten die Behörden ein Strafverfahren wegen Majestätsbeleidigung gemäß Paragraf 112 des Strafgesetzbuchs gegen Sopon Surariddhidhamrong eingeleitet, nachdem er in seinen Reden auf Protesten im Jahr 2022 die Monarchie erwähnt hatte. Nutthanit Duangmusit, Tantawan Tuatulanon und Orawan Phuphong werfen sie das Abfragen von öffentlichen Meinungen vor. Ihnen allen drohen außerdem weitere Anklagen, weil sie auf Facebook ihre Meinungen verbreitet hatten. Die Behörden nutzen vage formulierte gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der nationalen Sicherheit, die es ihnen erlauben, die friedliche Ausübung von Rechten als Straftaten zu interpretieren. UN-Menschenrechtsexpert*innen haben die Behörden bereits aufgefordert, diese gesetzlichen Bestimmungen, einschließlich Paragraf 116 über Aufwiegelung und Paragraf 112 über Beleidigungen der Monarchie, zu ändern oder aufzuheben, und damit ihren Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen. Das Widerrufen der Freilassung gegen Kautionen ist auf der Grundlage des Paragrafen 112 des Strafgesetzbuchs möglich.

Sopon Surariddhidhamrong und Tantawan Tuatulanon waren an den von jungen Menschen angeführten Protesten im Jahr 2020 beteiligt und hatten beide freiwillig für die Sicherheit der Protestierenden gesorgt. Sopon Surariddhidhamrong hat 2020 eine Studierendengruppe gegründet, die sich für die Rechte von Studierenden, gegen das Verschwindenlassen und für eine Reform der Monarchie einsetzt. Die Behörden verweigern nun schon zum zweiten Mal Sopon Surariddhidhamrong, Nutthanit Duangmusit und Tantawan Tuatulanon ihr Recht auf Freilassung gegen Kaution oder widerrufen es. Im späten April und Anfang Mai 2022 hatten die Behörden Sopon Surariddhidhamrong, der zu der Zeit das letzte Jahr seines Radiologiestudiums absolvierte, schon einmal festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis von Bangkok gebracht. Nutthanit Duangmusit und Tantawan Tuatulanon waren ebenfalls in der zentralen Frauenstrafvollzugsanstalt inhaftiert. Alle drei protestierten mit anhaltenden Hungerstreiks für ihr Recht auf Freilassung gegen Kaution, was Folgen für ihre Gesundheit hatte.  Tantawan Tuatulanon befand sich 37 Tage lang im Hungerstreik, Nutthanit Duangmusit während 64 ihrer 94 Tage Haft und Sopon Surariddhidhamrong während 25 seiner 30 Tage Haft. 2022 gewährten die Behörden Sopon Surariddhidhamrong, Nutthanit Duangmusit und Tantawan Tuatulanon die vorübergehende Freilassung unter der Bedingung, dass sie ihre "Straftaten" nicht wiederholen würden und sich nicht an Aktivitäten beteiligen, die zu Störung der öffentlichen Ordnung führen oder der Monarchie schaden könnten. Tantawan Tuatulanon und Sopon Surariddhidhamrong mussten, abgesehen von Arbeit, Studium oder aus medizinischen Gründen, stets in ihren Wohnungen bleiben. Sie mussten außerdem eine gerichtliche Genehmigung einholen, wenn sie ihre Wohnungen verlassen wollten. Tantawan Tuatulanon musste außerdem ein elektronisches Überwachungsgerät tragen, während Nutthanit Duangmusit dazu verpflichtet war, täglich 11 Stunden zuhause zu bleiben.