Marokko: Hoffnung für inhaftierten Menschenrechtsanwalt

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Der marokkanische Menschenrechtsanwalt Mohamed Ziane

Am 10. Mai wird der Fall des bekannten marokkanischen Menschenrechtsanwalts und ehemaligen Ministers für Menschenrechte, Mohamed Ziane, vor dem Kassationsgericht in Rabat verhandelt. Sollte das Kassationsgericht zu der Feststellung gelangen, dass Mohamed Ziane rechtswidrig festgehalten wird, wäre das Berufungsgericht dazu verpflichtet, seine dreijährige Haftstrafe neu zu prüfen. Mohamed Ziane wurde im November 2022 auf der Grundlage konstruierter Anklagen im Zusammenhang mit seiner Verteidigung von Aktivist*innen, Journalist*innen und Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Mindestens sechs der elf Anklagen verstoßen gegen sein Recht auf freie Meinungsäußerung.

Appell an

Prime Minister

Aziz Akhannouch

Palais Royal Touarga

Rabat 10070

MAROKKO

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Marokko

I.E. Frau Zohour Alaoui

Niederwallstraße 39

10117 Berlin


Fax: 030 - 20 612 420

E-Mail: kontakt@botschaft-marokko.de

Amnesty fordert:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Schuldspruch und Verurteilung von Mohamed Ziane aufgehoben werden und er im Zusammenhang mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung ein Verfahren erhält, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht. Sorgen Sie außerdem dafür, dass Mohamed Ziane unverzüglich die Möglichkeit erhält, seine fortdauernde Inhaftierung von einem Gericht überprüfen zu lassen, mit Blick auf eine Freilassung bis zum Abschluss seines Verfahrens.
  • Ich fordere Sie auch auf, alle Gesetze zu ändern oder aufzuheben, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken, darunter die Paragrafen 263, 265 und 266 sowie Paragraf 491, der einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellt.

Sachlage

Der Fall des Menschenrechtsanwalts Mohamed Ziane wird am 10. Mai vor dem Kassationsgericht in Rabat verhandelt. Das Kassationsgericht in Rabat hat die Befugnis, das Urteil des Berufungsgerichts, das Mohamed Ziane am 21. November 2022 in Abwesenheit wegen Anklagen im Zusammenhang mit seiner Menschenrechtsarbeit verurteilt hat, zu bestätigen oder aufzuheben. Sollte das Kassationsgericht das Urteil aufheben, entbehrt die Inhaftierung von Mohamed Ziane einer rechtlichen Grundlage und das Berufungsgericht muss seine Entscheidung unter Berücksichtigung der Auslegung des Kassationsgerichts neu prüfen.

Bei Anhörungen vor dem Kassationsgericht äußern sich die Angeklagten nicht. Die Rechtsbeistände von Mohamed Ziane haben dem Gericht jedoch ihre Verteidigungsschrift vorgelegt, in der sie argumentieren, dass das frühere Urteil gegen ihren Mandanten in mindestens 19 Punkten gegen das Gesetz verstößt. Sie führen beispielsweise an, dass die Anklage wegen "Ehebruchs" nach Paragraf 491 des marokkanischen Strafgesetzbuchs in diesem Fall unbegründet sei, da das marokkanische Gesetz erfordert, dass mindestens eine*r der beiden "betrogenen" Ehepartner*innen Anzeige erstatten muss. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Dieser Vorwurf ist ebenso wie der Vorwurf nach Paragraf 482, "ein schlechtes Beispiel für Kinder abzugeben", exemplarisch für überholte Gesetze, die die persönlichen Freiheiten in einer Weise einschränken, die gegen das Völkerrecht verstößt.

Nach einem unfairen Gerichtsverfahren, über das weder er noch seine Rechtsbeistände im Vorfeld informiert wurden, wird Mohamed Ziane seit dem 21. November 2022 allein in einer Zelle des Gefängnisses Arjat 1 in Salé, einer Stadt nahe Rabat, festgehalten. Er darf zwar Besuch von seinem Rechtsbeistand empfangen, aber nicht mit anderen Inhaftierten kommunizieren und den Gefängnishof nur allein nutzen. Die Gefängniswärter*innen erlauben es ihm nicht, seinem Rechtsbeistand zu schreiben, und verweigern ihm den Zugang zu Zeitungen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der 79-jährige Mohamed Ziane ist ehemaliger Minister für Menschenrechte von Marokko. 1996 war er von seinem Regierungsposten zurückgetreten, weil er nicht mehr mit der marokkanischen Politik einverstanden war. Seit seinem Ausscheiden aus der Regierung hat er zahlreiche Aktivist*innen, Journalist*innen und Betroffene von Menschenrechtsverletzungen verteidigt.

Das Innenministerium erhob 2021 elf Anklagen gegen Mohamed Ziane. Im Februar 2022 befand ihn das erstinstanzliche Gericht von Rabat in allen elf Anklagepunkten für schuldig und verurteilte ihn zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 5.000 MAD (rund 450 Euro). Sein Rechtsbeistand legte Rechtsmittel gegen das Urteil ein, wurde jedoch nicht über den Zeitpunkt informiert, an dem das Berufungsverfahren stattfinden sollte. Am 21. November 2022 bestätigte das Berufungsgericht das Urteil und ordnete auf Antrag der Staatsanwaltschaft seine sofortige Inhaftierung gemäß Paragraf 392 und 414 der Strafverfahrensordnung an. Im Gefängnis wird Mohamed Ziane der Zugang zu Schreib- und Lesematerial verwehrt. Er leidet unter anhaltenden gesundheitlichen Problemen, die im Gefängnis nicht behandelt werden können. Am 2. Dezember 2022 stellte sein Rechtsbeistand beim Berufungsgericht von Rabat einen Antrag auf Freilassung. Dieser wurde vom Gericht am 5. Dezember 2022 ohne Erklärung abgelehnt.

Am 30. März 2023 schloss die Strafkammer ihre Ermittlungen zu den Vorwürfen ab und teilte Mohamed Ziane mit, dass sein Fall am 19. April vor dem Kassationsgericht, dem höchsten Gericht Marokkos, verhandelt werden würde. Am 19. April wurde die Anhörung auf den 10. Mai vertagt.

Im November 2021 wurde gegen Mohamed Ziane Anzeige wegen sexueller Belästigung, Erpressung, unmoralischer Aussagen und Drohungen erstattet. Alle Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung müssen individuell überprüft werden. Amnesty International ist nicht in der Lage, ihren Wahrheitsgehalt zu beurteilen. Amnesty stellt fest, dass in jüngster Zeit vermehrt Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Regierungskritiker*innen erhoben werden, die im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert sind oder strafrechtlich verfolgt werden.

Im Fall des inhaftierten Zeitungsverlegers Omar Radi stellte die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen fest, dass seine Inhaftierung wegen Vergewaltigungsvorwürfen einer "juristischen Schikane gleichkam, die auf nichts anderes als seinen investigativen Journalismus zurückzuführen war." Im Fall des Journalisten Suleiman Raissouni, der seit dem 22. Juni 2020 wegen sexueller Belästigung inhaftiert ist, kam die Arbeitsgruppe zu dem Schluss, dass die Verstöße gegen sein Recht auf ein faires Verfahren so schwerwiegend sind, dass seine Inhaftierung als willkürlich einzustufen ist.

In einer im Januar 2023 angenommenen Resolution des Europäischen Parlaments verurteilten die Abgeordneten den "Missbrauch von Vorwürfen sexualisierter Gewalt, um Journalisten von der Ausübung ihrer Pflichten abzuhalten", und erklärten, dies "gefährde die Rechte von Frauen". Die marokkanischen Abgeordneten lehnten die Resolution ab.