Iran: Jungen Belutschen droht die Hinrichtung

Das Bild zeigt eine Collage mit Porträtbildern von Männern

Angehörige der belutschischen Minderheit im Iran (v.l.): Mansour Dahmardeh, Ebrahim Narouie, Shoeib Mir Baluchzehi Rigi, Nezamoddin Hout, Kambiz Kharout, Mansour Hout (Archivbilder).

Die vier jungen Belutschen Ebrahim Narouie, Kambiz Kharout, Mansour Dahmardeh und Shoeib Mir Baluchzehi Rigi sind im Zusammenhang mit Protesten in der Provinz Sistan und Belutschistan unmittelbar von der Hinrichtung bedroht. Sie wurden auf der Grundlage von unter Folter erzwungenen "Geständnissen" in grob unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Zwei weitere Angehörige der im Iran unterdrückten belutschischen Minderheit, Mansour Hout und Nezamoddin Hout, stehen ebenfalls im Zusammenhang mit den Protesten vor einer Neuverhandlung ihres Verfahrens. Auch sie könnten zum Tode verurteilt werden.

Bitte beachten: Allen Personen mit persönlichen Beziehungen in den Iran raten wir, eine Teilnahme zu prüfen. Das Appellschreiben wird mit Vor- und Nachnamen sowie Mail-Adresse an die iranischen Behörden versandt.

Appell an

Oberste Justizautorität

Head of Judiciary

Gholamhossein Mohseni Ejei

c/o Embassy of Iran to the European Union

Avenue Franklin Roosevelt No. 15

1050 Brüssel, BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh

Podbielskiallee 67

14195 Berlin


Fax: 030 83 222 9133

E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Bitte heben Sie die Schuldsprüche und Todesurteile gegen Shoeib Mir Baluchzehi Rigi, Nezamoddin Hout, Kambiz Kharout, Ebrahim Narouie, Mansour Dahmardeh und Mansour Hout auf und lassen sie alle Anklagen im Zusammenhang mit ihrer friedlichen Teilnahme an Protesten fallen. Sollten sie einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden, müssen sie in einem Verfahren vor Gericht gestellt werden, das den internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren entspricht, unter Ausschluss erzwungener "Geständnisse" und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe.
  • Ich fordere Sie auf, den Männer Zugang zu ihren Familien und einem Rechtsbeistand ihrer Wahl sowie einer angemessenen medizinischen Versorgung zu gewähren. Sorgen Sie dafür, dass sie zukünftig vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt sind. Stellen Sie auch sicher, dass alle Foltervorwürfe untersucht und alle Verantwortlichen in fairen Gerichtsverfahren zur Rechenschaft gezogen werden.
  • Außerdem fordere ich Sie nachdrücklich auf, unabhängigen Beobachter*innen Zugang zu Verfahren zu Kapitalverbrechen im Zusammenhang mit Protesten zu gewähren und bis zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe unverzüglich ein offizielles Hinrichtungsmoratorium zu erlassen.

Sachlage

Vier junge Männer aus der unterdrückten belutschischen Minderheit im Iran sind unmittelbar von der Hinrichtung bedroht. Shoeib Mir Baluchzehi Rigi (19), Kambiz Kharout (21), Ebrahim Narouie (25) und Mansour Dahmardeh (21), der eine körperliche Behinderung hat, wurden im Dezember 2022 im Zusammenhang mit Protesten in Zahedan, der Hauptstadt der Provinz Sistan und Belutschistan, in separaten Verfahren vor Gericht gestellt. Nezamoddin Hout (20) und Mansour Hout (27) standen im Dezember 2022 im Zusammenhang mit Protesten in Chabahar, einer kleinen Stadt im Süden der Provinz, gemeinsam vor dem Strafgericht 2 in Zahedan. Sie alle wurden im Dezember 2022 bzw. Januar 2023 unter den Vorwürfen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) und/oder "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) wegen Brandstiftung, Steinewerfen und anderer Vergehen zum Tode verurteilt. Da diese Vergehen nicht den Tatbestand "schwerster Verbrechen" erfüllen, also keine Verbrechen sind, bei denen eine vorsätzliche Tötung vorliegt, ist ihre Strafe ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Die Verfahren gegen die Männer entsprachen bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Die Behörden verweigerten ihnen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, und in den Gerichtsverhandlungen wurden unter Folter erzwungene "Geständnisse" als Beweismittel gegen sie verwendet. Im Februar 2023 hob der Oberste Gerichtshof Irans die Schuldsprüche und Todesurteile von Nezamoddin Hout und Mansour Hout im Rechtsmittelverfahren mit der Begründung auf, das Strafgericht 2 sei nicht für Kapitalverbrechen und Verbrechen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit zuständig. Ihre Fälle wurden zur Neuverhandlung an ein Revolutionsgericht verwiesen, was Anlass zu der Sorge gibt, dass sie erneut zum Tode verurteilt werden könnten. Die Rechtsmittel der vier anderen Männer sind noch beim Obersten Gerichtshof anhängig.

Die vier Männer wurden zwischen dem 30. September und 5. Oktober 2022 unabhängig voneinander festgenommen. Dies geschah im Rahmen einer Welle von Festnahmen in der Provinz Sistan und Belutschistan an und nach dem Tag des Volksaufstands im Iran am 30. September 2022, als Sicherheitskräfte in Zahedan zahlreiche Demonstrierende und Umstehende rechtswidrig töteten. Informierten Quellen zufolge waren die Männer bei der Vernehmung Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt, auch sexualisierter Gewalt, um sie zu "Geständnissen" zu zwingen. So schlugen die Vernehmungsbeamten Mansour Dahmardeh so heftig, dass sie ihm Zähne ausschlugen und die Nase brachen. Ebrahim Narouie stachen sie Nadeln in die Genitalien

Hintergrundinformation

Hintergrund

Ebrahim Narouie wurde am 3. Oktober 2022 von Sicherheitskräften in Zivil festgenommen. Er war Opfer des Verschwindenlassens, da die Behörden sich trotz wiederholter Anfragen über mehrere Wochen weigerten, seine Familie über sein Schicksal und seinen Verbleib zu informieren. Erst etwa drei Wochen nach seiner Festnahme konnte er seiner Familie telefonisch mitteilen, dass er von einem unbekannten Ort in das Gefängnis von Zahedan gebracht worden war. Während seines "Verschwindens" wurde er von seinen Vernehmern beschuldigt, die Proteste "angeführt" zu haben und an der Inbrandsetzung einer Bank beteiligt gewesen zu sein. Verlässlichen Quellen zufolge wurde er von den Vernehmungsbeamten gefoltert und anderweitig misshandelt. So stach man u. a. Nadeln in seine Genitalien, um ihn zu "Geständnissen" zu zwingen und dazu zu bringen, ihre Vorwürfe einzugestehen. Er musste bereits vorbereitete Dokumente unterzeichnen und mit seinem Fingerabdruck versehen sowie vorbereitete Erklärungen vor einer Videokamera verlesen. Nach einem grob unfairen Verfahren vor Abteilung 2 des Revolutionsgerichts in Zahedan, bei dem ihm das Recht auf einen Rechtsbeistand ebenso verweigert wurde wie das Recht, sich selbst vor Gericht zu verteidigen, wurde er der "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Ebrahim Narouie wurde am 30. Dezember 2022 über sein Urteil informiert.

Mansour Dahmardeh wurde am 30. September 2022 in Zahedan von den Revolutionsgarden festgenommen, nachdem er einige Stunden zuvor am Freitagsgebet in der Großen Mosalla von Zahedan (einem großen Gebetshaus nahe der Hauptmoschee) und an einem Protest vor einer Polizeiwache teilgenommen hatte, der von Sicherheitskräften gewaltsam niedergeschlagen wurde. Verlässlichen Quellen zufolge wurde er in einer Hafteinrichtung der Revolutionsgarden unter Umständen, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen, gefoltert und anderweitig misshandelt, u. a. durch sexualisierte Gewalt und Schläge. Dabei wurden ihm Zähne ausgeschlagen und er erlitt einen Nasenbruch, sodass er mehrere Tage ins Krankenhaus musste. Wie Amnesty International aus gut unterrichteten Quellen erfuhr, wurde er möglicherweise zwei Mal zum Tode verurteilt – einmal durch ein Revolutionsgericht wegen "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) und ein weiteres Mal durch ein Strafgericht wegen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz). In beiden Fällen basieren die Verurteilungen allein auf den durch Folter erzwungenen "Geständnissen" seinerseits, bei den Protesten drei Steine geworfen und einen Fahrzeugreifen in Brand gesteckt zu haben. Weiter erfuhr Amnesty International, dass er im Gefängnis zwei Mal versucht hat, sich mit einer Gabel das Leben zu nehmen. Dies gibt Anlass zur Sorge um seinen psychischen Zustand und wegen der Gefahr weiterer Selbstverletzungen.

Shoeib Mir Baluchzehi Rigi wurde am 5. Oktober 2022 von Angehörigen des Geheimdienstes in Zahedan festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht. In den acht Tagen, die er "verschwunden" war, wurde er Berichten zufolge gefoltert und anderweitig misshandelt. Er wurde geschlagen, erhielt Elektroschocks an den Füßen, man stieß ihm den Lauf einer Waffe in die Brust und verdrehte seine Handgelenke, bis diese kurz davor waren, zu brechen. Erst acht Tage nach seiner Festnahme hatte er ersten Kontakt zu seiner Familie und durfte diese kurz anrufen. 14 Tage nach seiner Festnahme wurde er in das Gefängnis von Zahedan verlegt. Wie Amnesty International von gut unterrichteter Stelle erfuhr, hat ein Zeuge einige Wochen nach seiner Festnahme Verletzungen an seinem Gesicht und seinem Körper bemerkt. Sein Verfahren, das bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprach, fand im Dezember 2022 vor einem Gericht in Zahedan statt. Am 19. Dezember 2022 befand ihn das Gericht der "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) für schuldig und verurteilte ihn zum Tode. Am 24. Dezember 2022 wurde er von Sicherheitskräften gezwungen, in der Kälte vor einem Kühlhaus zu stehen, um ihn dafür zu bestrafen, dass im Internet Nachrichten über sein Todesurteil und seine Folter verbreitet wurden.

Kambiz Kharout wurde am 1. Oktober 2022 in Zahedan von Sicherheitskräften festgenommen. Drei Wochen später wurde er gegen Kaution freigelassen, am 12. November 2022 aber erneut festgenommen. Belutschischen Menschenrechtsaktivist*innen zufolge wurde er in der Haft gefoltert und anderweitig misshandelt. Erhat alle Vorwürfe gegen sich abgestritten. Nach einem grob unfairen Verfahren vor dem Strafgericht 2 in Zahedan, bei dem ihm der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert wurde, teilten ihm die Behörden am 3. Januar 2023 mit, dass er der "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) und "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden war.

Mansour Hout und Nezamoddin Hout wurden am 30. September 2022 in Chabahar im Zusammenhang mit Protesten am gleichen Tag von den Revolutionsgarden festgenommen. Wie Amnesty International erfuhr, wurden beide Männer von den Vernehmungsbeamten gefoltert und misshandelt, um sie zu zwingen, ihre Beteiligung an der Brandstiftung öffentlicher Gebäude während der Proteste zu "gestehen". Informierten Quellen zufolge war Mansour Hout nicht an den Protesten beteiligt. Bis einen Monat vor ihrem Verfahren im Dezember 2022 wurde den beiden Männern der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert. Berichten zufolge wurden sie im Januar 2023 vom Strafgericht 2 in Zahedan der "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) und "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Im Februar hob der Oberste Gerichtshof Irans ihre Verurteilung und ihre Strafe aus verfahrenstechnischen Gründen auf und verwies ihren Fall zur Neuverhandlung wegen des Vorwurfs von Kapitalverbrechen an ein Revolutionsgericht.