Belgien: Asylsuchenden wird die Unterkunft verweigert

Das Bild zeigt Absperrgitter, mehrere Menschen stellen sich in einer Reihe an und warten

Asylsuchende in der belgischen Hauptstadt Brüssel im Dezember 2023

+++ Update vom 31. Januar 2024: Inzwischen sind mindestens 3.000 Menschen ohne Unterbringung. +++ In Belgien sind mindestens 2.600 Asylsuchende ohne jede Versorgung, weil die belgische Regierung ihnen weder eine Unterkunft noch andere wichtige Güter und Dienstleistungen bereitstellt. Viele haben keine andere Wahl, als auf der Straße oder in behelfsmäßigen Zeltkonstruktionen zu schlafen. Angesichts des nahenden Winters und der Minusgrade sollte die belgische Regierung unverzüglich den vorhandenen "Verteilungsplan" aktivieren, um den Schutzsuchenden eine angemessene Unterkunft zu bieten und die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen des Landes zu erfüllen.

Appell an

Premierminister 
Alexander De Croo
Wetstraat 16
B-1000 Brussels
BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Belgien
S.E. Herr Geert Leo G. Muylle
Jägerstrasse 52-53
10117 Berlin
Fax: 030-2064 2200
E-Mail: Berlin@diplobel.fed.be

Twitter Premierminister: @alexanderdecroo

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Aufnahmekrise und die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen an Asylsuchenden in Belgien zu beenden. Dies kann durch die Aktivierung des Verteilungsplans geschehen, der mit dem Königlichen Erlass 2016000341 vom 17. Mai 2016 eingeführt wurde. Dies würde zu einer Bereitstellung zusätzlicher Aufnahmekapazitäten in den Gemeinden führen. 
  • Sollte der Verteilungsplan aktiviert werden, ist es wichtig, dass die föderale Regierung den lokalen Behörden, die zusätzliche Aufnahmeplätze schaffen, die notwendige Unterstützung gewährt.

Sachlage

Mindestens 2.600 Asylsuchenden fehlt zurzeit in Belgien jede Versorgung, da die belgische Regierung ihnen unter Verstoß ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen weder eine Unterkunft noch andere wichtige Güter und Dienstleistungen bereitstellt.

Viele haben keine andere Wahl, als auf der Straße oder in behelfsmäßigen Zeltkonstruktionen zu schlafen. Es sind mehrere informelle Siedlungen entstanden, in denen die Menschen in Unterkünften aus Pappe und anderen Materialien leben. Die Polizei räumt diese Behelfssiedlungen und reißt sie ab, in manchen Fällen ohne eine alternative Unterkunft bereitzustellen. Winter und Minusgrade geben Anlass zur Sorge um die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohlergehen der Menschen, denen die Unterkunft verweigert wird. 

Die belgische Regierung stellt seit mehr als zwei Jahren nicht genügend Unterkünfte für Asylsuchende bereit, inzwischen herrscht eine Unterbringungskrise. In dieser Zeit wurde die Regierung mehr als 8.000 Mal von Gerichten, einschließlich des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dazu verurteilt, Asylsuchen eine angemessene Unterkunft zu Verfügung zu stellen. Die belgische Regierung hat sich jedoch jedes Mal geweigert, den Urteilen Folge zu leisten. Diese Missachtung der Rechtsstaatlichkeit ist besorgniserregend.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die belgische Regierung hat wiederholt Asylsuchende nicht angemessen untergebracht und sich geweigert, die Zahl der Aufnahmeplätze zu erhöhen, um die erforderliche Kapazität zu erreichen. Damit haben die Behörden eine selbstverschuldete Krise heraufbeschworen, die dazu geführt hat, dass Tausende von Asylsuchenden unter Verletzung ihrer Menschenrechte draußen in der Kälte schlafen müssen.

Am 19. Oktober 2021 wurde 50 Personen, die im Brüsseler Registrierungszentrum für Asylsuchende einen Asylantrag stellten, die Aufnahme in eine Unterkunft verweigert. Sie kampierten daraufhin vor dem Zentrum. Seither wurden Tausende von Menschen schlicht auf die Straße zurückgeschickt, nachdem sie einen Asylantrag gestellt hatten. Sie erhielten erst eine Unterkunft, nachdem sie mehrere Monate auf der Straße, in behelfsmäßigen Lagern oder besetzten Häusern gewartet hatten oder in von zivilgesellschaftlichen Organisationen angebotenen Unterkünften gelebt hatten. Die Behörden führen Zwangsräumungen gegen Asylsuchende durch, die auf der Straße oder in besetzten Häusern kampieren, ohne dass ihnen eine alternative Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. In mindestens einem Fall zerstörte die Polizei behelfsmäßige Zelte aus Pappe und anderen Materialien, die in der Nähe des Registrierungszentrums aufgestellt worden waren, so dass die Menschen keinerlei Unterkunft mehr hatten. In Brüssel entstanden mehrere informelle Siedlungen, insbesondere eine in der Rue des Palais, die bis zu ihrer Räumung etwa 1.000 Menschen als Unterkunft diente. Belgische Medien und Nichtregierungsorganisationen berichteten, dass die Lebensbedingungen in dieser Siedlung katastrophal seien, da der Zugang zu Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen eingeschränkt war. Belgische NGOs für medizinische Nothilfe berichteten über das Auftreten von Infektionskrankheiten wie Krätze und Diphtherie. Im Februar 2023 räumte die Polizei die Siedlung "Palais des droits" (Palast der Rechte), wie sie ironischerweise genannt wurde. In den darauffolgenden Monaten entstanden weitere besetzte Häuser und informelle Siedlungen, die von den Behörden geräumt wurden. Manchmal stand dabei für niemand oder nur für einen Teil der Asylsuchenden eine alternative Unterkunft zur Verfügung.

Im August 2023 beschloss die belgische Staatssekretärin für Asyl und Migration einen vorübergehenden Aufnahmestopp in Unterkünften für alle alleinstehenden Männer, die einen Asylantrag stellen, angeblich um Platz für Familien mit Kindern zu schaffen. Die Maßnahme wurde vom höchsten belgischen Verwaltungsgericht ausgesetzt, das feststellte, dass das Gesetz "es der [Regierung] nicht erlaubt, einer Kategorie von Asylsuchenden [...] das Recht auf Aufnahme zu entziehen, um die Schwierigkeiten zu lösen, mit denen sie eigenen Angaben zufolge konfrontiert ist". Als Reaktion auf das Urteil kündigte die Staatssekretärin an, dass sie die Entscheidung ignorieren und die Aussetzung für alleinstehende Männer weiterhin durchführen werde. 

Derzeit wird die Not der mittellosen Asylsuchenden nur dank der unschätzbaren Arbeit der belgischen NGOs, Aktivist*innen und anderer Organisationen gelindert. Die Kapazitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen sind jedoch begrenzt. Obwohl die belgische Regierung die Aufnahmekapazitäten erhöht hat, waren die getroffenen Maßnahmen zu langsam und unzureichend, um die selbst verschuldete Aufnahmekrise zu lösen. Bereits im Jahr 2021 warnten zivilgesellschaftliche Organisation, dass Maßnahmen zur Erhöhung der Aufnahmekapazitäten erforderlich seien, um zu verhindern, dass Menschen ohne Obdach bleiben. Trotz dieser Warnungen ergriff die Regierung keine geeigneten Maßnahmen, um die Situation zu bewältigen.

In Tausenden von Gerichtsurteilen, unter anderem vom belgischen Staatsrat und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wurde festgestellt, dass die belgischen Institutionen ihre Verpflichtungen zur angemessenen Unterstützung von Asylsuchenden verletzt haben. Durch die Nichtbeachtung der Urteile zeigt die Regierung eine schockierende Missachtung nicht nur der Rechte von Asylsuchenden, sondern auch der Rechtsstaatlichkeit.

Vor 2021 verfügten die belgischen Aufnahmestrukturen über rund 28.000 Betten. Derzeit sind es etwa 34.000 Betten. Als im Jahr 2015 eine größere Zahl von Personen als erwartet in Belgien internationalen Schutz suchte, wurde mit dem Königlichen Erlass 2016000341 vom 17. Mai 2016 ein sogenannter "Verteilungsplan" eingeführt. Das belgische Recht sieht nun ausdrücklich vor, dass die Regierung die Kriterien festlegen kann, "um eine ausgewogene Verteilung der Aufnahmeplätze auf die Gemeinden zu gewährleisten". Zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich seit 2022 für die Aktivierung des Verteilungsplans ein. Durch die Aktivierung des Verteilungsplans würden in allen Gemeinden zusätzliche Aufnahmekapazitäten zur Verfügung gestellt werden, wodurch die derzeitige Aufnahmekrise beendet werden könnte.