Argentinien: Anwalt weiter im Visier der Behörden

Eine Menschenmenge zieht mit Fahnen durch eine Straße. Die Personen an der Spitez der Demonstration halten ein sehr großes Banner vor sich.

Protest in in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gegen die Einschränkung des Demonstrationsrecht in der Region Jujuy (20. Juni 2023)

Nach mehr als einem Monat unter Hausarrest wurde Alberto Nallar am 18. August freigelassen. Doch die Anklage gegen ihn besteht weiterhin: Der prominente Menschenrechtsanwalt spielte bei den Protesten in der nordargentinischen Provinz Jujuy eine aktive Rolle – nun wird ihm Aufwiegelung vorgeworfen.

Appell an

Botschaft der Republik Argentinien

S.E. Herrn Fernando Brun

Kleiststraße 23-26

10787 Berlin

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Argentinien

Fax: 030-229 14 00

E-Mail: ealem@mrecic.gov.ar

Amnesty fordert:

  • In Anbetracht der internationalen Verpflichtungen Argentiniens, die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Protest für alle zu achten, zu schützen und zu garantieren, fordere ich Sie auf, die Anklage gegen Alberto Nallar – die zu einer massiven Einschränkung des Rechts auf sozialen Protest führen könnte – fallen zu lassen.

Sachlage

Die anhaltende Kriminalisierung von Alberto Nallar gibt Anlass zu großer Sorge. Obwohl der Menschenrechtsanwalt Mitte August aus dem Hausarrest freigelassen wurde, gehen die Ermittlungen gegen ihn weiter. Er muss nach wie vor damit rechnen, wegen seiner friedlichen Teilnahme an Protesten bestraft zu werden.

Zwischen dem 11. und 13. Juli wurden in den Städten Humahuaca und San Salvador in der Provinz Jujuy mindestens 40 Hausdurchsuchungen durchgeführt. Zahlreiche Personen wurden festgenommen, unter ihnen Lehrer*innen, Studierende der örtlichen Universität und Menschenrechtsverteidiger*innen. Alle hatten zuvor an den Protesten teilgenommen, die am 15. Juni ausgebrochen waren und die sich gegen die jüngste Verfassungsreform in Jujuy richten.

Am 13. Juli wurde auch Alberto Nallar festgenommen. Bis zu seiner Freilassung am 18. August stand er 37 Tage lang unter Hausarrest. Zuvor hatte er sowohl selbst an den Protesten in Jujuy teilgenommen als auch andere beraten und unterstützt. Deswegen wird ihm "Aufwiegelung" vorgeworfen. Auch nach seiner Freilassung wird weiter gegen ihn ermittelt. Amnesty International liegen Berichte über Haftbefehle gegen mindestens sieben weitere Anwält*innen vor, die die Demonstrierenden unterstützt haben sollen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 15. Juni 2023 verabschiedete der Verfassungskonvent der nordargentinischen Provinz Jujuy den größten Teil einer Verfassungsreform, die nach Ansicht vieler überstürzt und ohne öffentliche Beteiligung durchgeführt worden war. Die Reform ignoriert die Perspektive der indigenen Bevölkerung und hat das Potential, deren kollektiven Rechte zu gefährden. Die Protestierenden werfen der örtlichen Regierung unter anderem vor, sich die Rechte über Rohstoffe in der an Bodenschätzen reichen Region mit ihren Lithium-Vorkommen aneignen zu wollen. Dieser Punkt in dem Gesetzestext wurde angesichts der Proteste zunächst ausgeklammert, doch die übrigen Teile der von Gouverneur Gerardo Morales vorangetriebenen Reform der Provinzverfassung wurden verabschiedet.

Auf die Verabschiedung des größten Teils der Reform folgten Proteste, die Berichten zufolge von der Polizei gewaltsam unterdrückt wurden. Dabei kam es zu schweren Fällen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte der Provinz Jujuy. Dies stellt eine schwerwiegende Verletzung der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit dar, die sowohl durch örtliche Vorschriften als auch das Völkerrecht anerkannt und geschützt sind.

Da der Verfassungskonvent die Reform nicht zurückgenommen hat, gehen die Proteste der indigenen Gemeinschaften, der Zivilgesellschaft und von Menschenrechtsorganisationen in der Provinz Jujuy weiter. Seit Beginn der Proteste wurden mindestens 130 Personen festgenommen, darunter auch einige Menschenrechtsverteidiger*innen.

Der Rechtsanwalt und Menschenrechtsverteidiger Alberto Nallar hatte die Mobilisierungen gegen die Verfassungsreform unermüdlich unterstützt und sowohl Inhaftierten als auch deren Familien Rechtsbeistand geleistet. Der Straftatbestand der Aufwiegelung wird in Argentinien häufig angewandt, um Personen zu kriminalisieren, die ihr Recht auf sozialen Protest wahrnehmen. Ähnliches gilt für Vorwürfe wie das Blockieren öffentlicher Straßen, die Anstiftung zu Straftaten oder der Widerstand gegen die Staatsgewalt.