Amnesty Report 10. Mai 2011

Kamerun 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Kamerun Staatsoberhaupt: Paul Biya Regierungschef: Philémon Yang Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft Einwohner: 20 Mio. Lebenserwartung: 51,7 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 151/136 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 75,9%

Die Regierung schränkte auch 2010 die Aktivitäten von Regierungsgegnern und Journalisten ein und unterdrückte nach wie vor das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ein Journalist starb in der Haft. Die Haftbedingungen waren weiterhin schlecht und häufig lebensbedrohlich. Personen, die gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen unterhielten, mussten Festnahmen und Gefängnisstrafen befürchten. Die Angehörigen der Sicherheitskräfte, die im Februar 2008 an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen waren, genossen weiterhin Straffreiheit. Mindestens 77 Gefangene befanden sich im Todestrakt.

Hintergrund

Im Vorfeld der für Ende 2011 vorgesehenen Wahlen stiegen die Befürchtungen, dass nach der 28-jährigen Regierungszeit von Präsident Paul Biya die Lage im Land instabil werden könnte. Oppositionsführer beschuldigten den Präsidenten, die Befugnisse der als Election Cameroon (ELECAM) bekannten Wahlkommission zu untergraben. Das Parlament, das von der Regierungspartei Demokratische Versammlung des Kamerunischen Volks (Rassemblement Démocratique du Peuple Camerounais – RDPC) dominiert wird, verabschiedete im März ein Gesetz, das der Regierung durch das Ministerium für Territoriale Verwaltung die Aufsicht über die Wahlvorbereitungen einräumt. Diese Aufgabe hatte vorher ELECAM übernommen.

Im September bildete Präsident Biya seine Regierung um und wechselte höhere Beamte des nationalen Sicherheitsdienstes aus.

In der Region von Bakassi kam es 2010 weiterhin zu bewaffneten Zusammenstößen. Nachdem bei Kampfhandlungen, die im Februar auf der Halbinsel Bakassi stattgefunden hatten, 24 Zivilpersonen verletzt worden waren, meldete die Regierung am 18. März, dass 19 Soldaten der militärischen Eliteeinheit Bataillon d’Intervention Rapide (BIR) Delta wegen "Akten der Brutalität gegenüber der Zivilbevölke- rung" schuldig gesprochen worden seien. Die Gewässer vor der Küste von Bakassi wurden unsicherer. So kaperte eine Gruppe, die sich African Marine Commando nannte, Boote, nahm Seeleute als Geiseln oder tötete sie sogar.

Im Mai begann eine kamerunisch-nigerianische Kommission mit der weiteren Demarkation einer umstrittenen Grenzlinie entsprechend der Entscheidung, die der Internationale Gerichtshof im Jahr 2002 getroffen hatte.

Berichten zufolge plante die Regierung, im Rahmen einer Reform des Strafgesetzbuchs die weibliche Genialverstümmelung unter Strafe zu stellen.

Korruptionsvorwürfe

Zahlreiche ehemalige Regierungsbeamte und Leiter von staatlichen Betrieben, von denen einige im Jahr 2010 festgenommen worden waren, blieben in Gewahrsam und warteten auf ihre Gerichtsverfahren unter der Anklage der Korruption. Viele von ihnen erklärten, dass der Anklage gegen sie politische Differenzen oder Neid zugrunde lägen.

  • Zum Jahresende standen die Häftlinge Titus Edzoa und Thierry Atangana aufgrund neuer gegen sie erhobener Korruptionsvorwürfe vor Gericht. Zu diesem Zeitpunkt mussten sie noch knapp zwei Jahre einer 15-jährigen Gefängnisstrafe verbüßen, zu der sie im Jahr 1997 verurteilt worden waren. Ihr Verfahren im Jahr 1997 war unfair gewesen. Es wurde in den frühen Morgenstunden ohne Beistand durch einen Anwalt beendet und war offensichtlich politisch motiviert. Titus Edzoa hatte sein Amt als höherer Regierungsbeamter niedergelegt, um für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, und Thierry Atangana beschuldigte man, sein Wahlkampfmanager gewesen zu sein.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Regierung versuchte, Kritiker ihrer Politik, darunter Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, zum Schweigen zu bringen.

  • Germain Cyrille Ngota, geschäftsführender Direktor des Cameroon Express, starb im April 2010 in der Haft. Er war einer von drei Journalisten, die im März festgenommen worden waren. Berichten zufolge erhielt er während seiner Haft keinerlei medizinische Versorgung. Familienangehörige erklärten, dass er gefoltert worden sei. Eine von der Regierung durchgeführte Untersuchung, deren Verfahren nicht öffentlich bekannt wurde, kam zu dem Schluss, dass sein Tod natürliche Ursachen gehabt habe. Die Untersuchungsergebnisse wurden jedoch von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern angezweifelt. Robert Mintya, Direktor des Magazins Le Devoir, und Serge Sabouang, Direktor der zweimonatlich erscheinenden Publikation La Nation, die zusammen mit Germain Cyrille Ngota festgenommen worden waren, gaben an, gefoltert worden zu sein. Sie standen weiterhin wegen Betrugs und der Benutzung gefälschter Dokumente unter Anklage. Robert Mintya war im August von einem Mithäftling angegriffen worden und musste deshalb für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Robert Mintya und Serge Sabouang wurden Berichten zufolge auf Anordnung des Präsidenten Paul Biya im November auf freien Fuß gesetzt, doch wurden die Anklagen gegen sie nicht fallengelassen.

  • Der Prozess gegen drei Journalisten und einen Hochschullehrer, die nach einer Fernsehdebatte im Jahr 2008 festgenommen worden waren, begann im Januar, wurde jedoch im Jahr 2010 mindestens sechs Mal verschoben. Alex Gustave Azebaze und Thierry Ngogang vom unabhängigen Fernsehkanal STV2, Anani Rabier Bindji vom Canal2 und der Universitätsdozent Aboya Manassé standen unter der Anklage, im Rahmen einer Diskussion über die Opération Epervier (Operation Sperber), einer Initiative der Regierung gegen Korruption, vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit gebracht zu haben.

  • Lewis Medjo, der Chefredakteur der Zeitung La Détente Libre, der im Januar 2009 zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt worden war, kam im Juni 2010 frei.

  • Der frühere Bürgermeister Paul Eric Kingué und der Musiker Pierre Roger Lambo Sandjo verbüßten Gefängnisstrafen, zu denen sie wegen Beteiligung an den Ausschreitungen im Februar 2008 verurteilt worden waren. Menschenrechtsverteidiger in Kamerun blieben bei ihrer Erklärung, dass Paul Eric Kingué festgenommen worden sei, weil er gegen die rechtswidrige Tötung von angeblichen Aufrührern protestiert habe, und dass die Festnahme von Pierre Roger Lambo Sandjo erfolgte, weil er ein Lied komponiert habe, das die Verfassungsänderung kritisierte, die es Präsident Biya ermöglichte, erneut für das Präsidentenamt zu kandidieren.

Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Die Regierung schränkte weiterhin die Aktivitäten des Nationalrats von Südkamerun (Southern Cameroons National Council – SCNC) ein, einer gewaltfreien sezessionistischen Gruppierung, deren Mitglieder Festnahmen und Inhaftierungen ausgesetzt waren. Gewaltlose Aktivitäten politischer Parteien und Gruppen der Zivilgesellschaft waren gleichermaßen von offiziellen Sanktionen betroffen.

  • Im November 2010 wurden sieben Gewerkschaftsmitglieder nach einer vom Gewerkschaftsbund des öffentlichen Dienstes (Centrale Syndicale du Secteur Public – CSP) organisierten öffentlichen Demonstration, die vor dem Amtssitz des Premierministers in Yaoundé stattfand, festgenommen. Unter ihnen befanden sich der Präsident der CSP, Jean-Marc Bikoko, und führende Mitglieder mehrerer Gewerkschaften des Bildungssektors. Sie wurden wegen Straftaten im Zusammenhang mit einer nicht genehmigten Demonstration angeklagt. Zum Jahresende war ihr Verfahren noch nicht abgeschlossen.

  • Journalisten, die wegen des in der Haft zu Tode gekommenen Zeitungsherausgebers Germain Cyrille Ngota protestierten, wurden von der Polizei daran gehindert, am Welttag der Pressefreiheit im Mai 2010 einen Sitzprotest durchzuführen. Einige gaben an, von der Polizei geschlagen worden zu sein.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen

Nach dem Strafgesetzbuch sind gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen ein strafbares Delikt, und sogar die Nationale Menschenrechtskommission lehnt es ab, die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender-Personen anzuerkennen und zu verteidigen. Im Jahr 2010 kam es weiterhin regelmäßig zu Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung von Schwulen und zu Gerichtsverfahren gegen sie. Die Inhaftierten waren gewaltlose politische Gefangene.

  • Fabien Mballa und Aboma Nkoa Emile wurden am 24. März von Polizisten in Camp Yeyap in Yaoundé, festgenommen. Sie wurden vom Strafgericht der ersten Instanz von Yaoundé zu einer Haftstrafe von fünf Monaten und Geldstrafen verurteilt und im Gefängnis Kondengui inhaftiert.

  • Roger Bruno Efaaba Efaaba und Marc Henri Bata, die im September unter dem Verdacht des Diebstahls festgenommen worden waren, danach aber gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen beschuldigt wurden, unterzog man im Oktober unter Zwang medizinischen Analuntersuchungen. Es handelte sich dabei um eine Form grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Zum Jahresende befanden sie sich weiter in Gewahrsam.

Haftbedingungen

Gefängnisse und andere Haftzentren waren im Jahr 2010 überfüllt und die Haftbedingungen oft lebensbedrohlich. Medizinische Versorgung und Nahrungsmittel wurden häufig nicht oder nur unzureichend zur Verfügung gestellt. Wiederholt kam es zu Unruhen und Fluchtversuchen; mehrere Gefangene wurden bei dem Versuch zu fliehen getötet. Die Gefängniswärter waren schlecht ausgebildet und unzureichend ausgerüstet, außerdem war ihre Anzahl im Verhältnis zu der großen Zahl von Gefängnisinsassen zu gering.

Im Gefängnis Kondengui, das für 700 Insassen gebaut worden war, saßen im August 3852 Häftlinge ein. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Artikeln der medizinischen Versorgung war nicht ausreichend. In einem unter dem Namen Kosovo bekannten Trakt des Gefängnisses gab es für die Gefangenen nicht genug Platz, um im Liegen zu schlafen. In einem anderen Trakt waren psychisch kranke Gefangene untergebracht, die keinerlei psychiatrische Versorgung erhielten.

Das New-Bell-Gefängnis in Douala, dessen Unterbringungskapazität bei 700 Personen liegt, war im August mit 2453 Insassen belegt. Viele der dortigen Insassen befanden sich in Untersuchungshaft und waren zusammen mit verurteilten Strafgefangenen untergebracht. Einige Gefangene wurden in Fußeisen gehalten.

Laut Berichten starben im Gefängnis Maroua Gefangene an den Folgen der sengenden Hitze und im Gefängnis Ngaoundere an der Cholera.

Straflosigkeit

Regierungsbeamte bestätigten, dass keine Maßnahmen gegen Angehörige der Sicherheitskräfte ergriffen wurden, die beschuldigt worden waren, im Jahr 2008 Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben, als während der Proteste gegen Preiserhöhungen und eine Verfassungsänderung, welche die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten aufhob, mehr als 100 Personen getötet wurden.

Todesstrafe

Mindestens 77 Gefangene befanden sich 2010 in Todeszellen; seit 1997 gab es aber keine Berichte über Hinrichtungen. Es herrschte Besorgnis darüber, dass ein im Mai erlassenes Präsidialdekret zur Umwandlung von Todesstrafen in lebenslange Haft nicht vollständig umgesetzt wurde. Die Gefangenen im Todestrakt erhielten keine Informationen darüber, warum ihre Urteile nicht umgewandelt wurden.

Amnesty International: Mission

Vertreter von Amnesty International besuchten Kamerun im August. Sie trafen dabei zum ersten Mal Regierungsbeamte und führten Recherchen durch.

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