Pressemitteilung Aktuell Iran 04. April 2024

Iran: 853 Menschen allein im Jahr 2023 hingerichtet

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit Protestplakaten, eines mit dem Schriftzug "Shame"

Amnesty-Protestaktion gegen Hinrichtungen im Iran vor der iranischen Botschaft in Berlin am 23. Januar 2024

Die iranischen Gefängnisse sind 2023 Schauplätze von Massentötungen geworden: Amnesty International dokumentiert in einem neuen Bericht 853 Hinrichtungen für das Jahr 2023. Mindestens 481 Hinrichtungen wurden im Zusammenhang mit Drogendelikten vollstreckt. 2024 sind bereits 95 Menschen hingerichtet worden. Amnesty International fordert die iranischen Behörden auf, die Todesstrafe abzuschaffen und die Praxis der Scheinprozesse zu beenden. Es braucht außerdem dringend ein entschlossenes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft, um die erschreckende Zunahme von Hinrichtungen zu stoppen.

Der Bericht ""Don’t Let Them Kill Us": Iran’s Relentless Execution Crisis Since The 2022 Uprising" zeigt, dass die iranischen Behörden nach den Massenprotesten der "Frau Leben Freiheit"-Bewegung von 2022 verstärkt die Todesstrafe einsetzen, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und ihre Macht zu festigen. 

Die Zahl der Hinrichtungen 2023 ist mit 853 die höchste seit 2015 und um 48 Prozent höher als 2022. Und die Tötungsserie im Iran findet auch 2024 eine Fortsetzung: Bis zum 20. März wurden mindestens 95 Hinrichtungen dokumentiert. Amnesty International geht jedoch davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen in beiden Jahren noch höher liegen.

Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, sagt: "Die massenhaften Hinrichtungen im Iran müssen spürbare diplomatische Konsequenzen haben – ansonsten werden sich die iranischen Behörden ermutigt fühlen, in den kommenden Jahren weitere Tausende von Menschen ungestraft hinzurichten. Die internationale Gemeinschaft sowie die Bundesregierung müssen sich für ein Hinrichtungsmoratorium mit dem Ziel der endgültigen Abschaffung der Todesstrafe einsetzen. 

Die Familien der vielen Toten verdienen Gerechtigkeit. Die Bundesregierung sollte die Möglichkeit universeller Gerichtsbarkeit nutzen, um die iranischen Verantwortlichen auch in Deutschland zur Rechenschaft zu ziehen. Wir begrüßen, dass sich die Bundesregierung für eine Mandatsverlängerung der UN-Untersuchungskommission und des Sonderberichterstatters zum Iran einsetzt. Darüber stimmt der UN-Menschenrechtsrat in dieser Woche ab. Es müssen weiter Beweise über die Menschenrechtsverletzungen gesammelt werden."

Tödliche Antidrogenpolitik

Der Iran kehrt zu einer tödlichen Antidrogenpolitik zurück. Mehr als die Hälfte aller Hinrichtungen (481) wurden im Zusammenhang mit Drogendelikten vollstreckt, eine Steigerung von 89 Prozent gegenüber 2022 und 264 Prozent gegenüber 2021. Die Todesstrafe ist unter allen Umständen abzulehnen, doch ihre massenhafte Anwendung bei Drogendelikten nach grob unfairen Verfahren ist ein besonders eklatanter Machtmissbrauch. 

Auf die belutschische Minderheit im Iran entfielen insgesamt 29 Prozent (138) dieser Hinrichtungen, obwohl sie nur etwa 5 Prozent der iranischen Bevölkerung ausmacht. Dies zeigt die diskriminierende Wirkung der Antidrogenstrategie auf die am stärksten marginalisierten und verarmten Bevölkerungsgruppen. Hinrichtungen wegen Drogendelikten erfolgten häufig im Geheimen, ohne dass die Familien und Rechtsbeistände der betroffenen Personen benachrichtigt wurden. Nach internationalem Recht darf für Drogendelikte niemals die Todesstrafe verhängt werden.

Hinrichtungen von Protestierenden

Im vergangenen Jahr kam es außerdem zu einer Welle von Hinrichtungen von Demonstrierenden, Nutzer*innen Sozialer Medien und anderen tatsächlichen oder vermeintlichen Dissident*innen. Die iranischen Behörden richteten 2023 sechs Männer im Zusammenhang mit dem Massenprotesten von 2022 und einen Mann im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten vom November 2019 hin. Mindestens sieben weitere Personen wurden im Zusammenhang mit Protesten zum Tode verurteilt und sind in unmittelbarer Gefahr, hingerichtet zu werden. Seit Januar 2018 haben die iranischen Behörden 13 Personen im Zusammenhang mit Protesten hingerichtet, zuletzt Mohammad Ghobadlou im Januar.

Hintergrund

Die Revolutionsgerichte waren für 61 Prozent (520) der 2023 vollstreckten Todesurteile verantwortlich. Diese Gerichte sind für ein breites Spektrum von Straftaten zuständig, auch für Drogendelikte, die von den Behörden als Bedrohung der "nationalen Sicherheit" betrachtet werden. Den Gerichten fehlt es an Unabhängigkeit, sie stehen unter dem Einfluss von Sicherheits- und Geheimdiensten und verwenden routinemäßig durch Folter erzwungene "Geständnisse" in grob unfairen Schnellverfahren, um Schuldsprüche zu fällen. 

Die Justiz, die Legislative und die Exekutive im Iran versuchen derzeit, ein neues Antidrogengesetz zu verabschieden, das im Falle seiner Umsetzung die Bandbreite der Drogendelikte, die die Todesstrafe nach sich ziehen, erweitern würde. 

Die iranischen Behörden weigern sich, öffentliche Statistiken zu Todesurteilen und Hinrichtungen vorzulegen. Bei der Erfassung der 2023 vollstreckten Hinrichtungen hat Amnesty International eng mit der Menschenrechtsorganisation Abdorrahman Boroumand Center zusammengearbeitet und auf öffentliche Quellen zurückgegriffen, darunter Berichte von staatlichen und unabhängigen Medien sowie von Menschenrechtsorganisationen. Außerdem hat die Organisation die Hinrichtungsprotokolle der Menschenrechtsorganisationen Iran Human Rights und Kurdistan Human Rights Network eingesehen. 

Die Todesstrafe ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld oder anderer Eigenschaften der Person oder der Hinrichtungsmethode.

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