Blog Russische Föderation 14. Dezember 2020

Immer mehr "Agenten": Wie Russland seine eigene Zivilgesellschaft schwächt

Eine Person sieht aus dem Fenster eines Gebäudes, auf das ein kyrillischer Schriftzug gesprüht wurde.

Gebäude der Nichtregierungsorganisation "Memorial" in Moskau mit einem Graffito, in dem die Mitarbeitenden als 'ausländische Agenten' bezeichnet werden (Archivbild)

Mitte November erreichte uns die Nachricht, dass eine ganze Reihe von alarmierenden Gesetzesvorschlägen in das russische Parlament eingebracht worden waren, die auf eine weitere Schwächung des zivilgesellschaftlichen Engagements zielen. Acht Jahre nach Inkrafttreten der sogenannten Agentengesetzgebung soll der Anwendungsbereich dieser Regelungen nicht nur erheblich ausgeweitet werden, sondern die Arbeitsmöglichkeiten derjenigen, die bereits als "ausländische Agenten" gelistet sind, sollen weiter eingeschränkt und verstärkter staatlicher Kontrolle unterworfen werden. 

Die neuen Gesetzesentwürfe bedrohen die unabhängige Zivilgesellschaft Russlands. Sollten diese verabschiedet werden, sind Beschäftigte von Organisationen, die als "ausländische Agenten" gelistet sind, aber zum Beispiel auch Journalist_innen zusätzlichen Risiken strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Einige der Neuregelungen hat die Staatsduma bereits in erster Lesung behandelt. Am 15. Dezember steht die zweite Lesung an.

Schikanen und Stigmatisierung

Schon aufgrund der 2012 in Kraft getretenen Regelungen wurden NGOs, die nach einem sehr weiten und vagen Verständnis "politisch" tätig waren und materielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten, in ein beim Justizministerium geführtes Register als "ausländische Agenten" eingetragen. Dieser von den betroffenen Organisationen bei Veröffentlichungen stets zu verwendende und jedenfalls nach den Zeiten des Stalinismus in Russland stigmatisierende Begriff führte nicht nur beim Abschluss und bei der Verlängerung von Mietverträgen zu Problemen. Auch Behörden stellten nach der "Listung" solcher Organisationen teilweise viele Jahre währende Kooperationen ein.

Neben diesen faktischen Beschränkungen der Arbeit wurde die Arbeit "ausländischer Agenten" nach Inkrafttreten der ersten "Agentengesetze" auch rechtlich eingeschränkt: Sie sind von der Wahlbeobachtung und der Beobachtung von Referenden ausgeschlossen, können keine Kandidat_innen für die Überwachungskommissionen des Strafvollzuges mehr benennen und dürfen Gesetzentwürfe nicht mehr auf ihre Korruptionsanfälligkeit hin überprüfen. Weiter dürfen sie keine "gesellschaftlich nützlichen" Dienste anbieten, was ihren Zugang zu öffentlichen Geldern erheblich einschränkt.

Neuregelung erlaubt inhaltliche Einmischung durch Behörden

Die jetzt beabsichtigten Neuregelungen erlauben darüber hinaus eine unmittelbare staatliche Einmischung in die inhaltliche Arbeit der als "Agenten" eingetragenen NGOs. Sie sollen unter anderem verpflichtet sein, das Justizministerium vorab über geplante Programme und ihre Aktivitäten zu unterrichten. Das Ministerium kann die gemeldeten Aktivitäten verbieten, ohne dass Voraussetzungen für ein solches Verbot festgelegt sind. Solche Verbote sollen gerichtlich nicht anfechtbar sein. Verstößt die betroffene Organisation dagegen, kann das Justizministerium ihre Schließung betreiben.

Ein weiterer Gesetzentwurf will den Kreis der zu registrierenden "ausländischen Agenten" auf physische Einzelpersonen und Vereinigungen ausweiten, die nicht registriert und nicht als juristische Person tätig sind. Bei physischen Personen soll das erfolgen, wenn sie sich – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft – an "politischen Aktivitäten" beteiligen oder Informationen über militärische Aktivitäten Russlands sammeln. Dass sie materiell aus dem Ausland unterstützt werden ist nicht einmal erforderlich. Es soll ausreichen, dass sie von dort "organisatorisch-methodische Hilfe" erhalten. Solche individuellen "Agenten" sollen keinen Zugang zum öffentlichen Dienst haben und verpflichtet sein, sich in von ihnen verfassten Briefen an Behörden selbst als "ausländische Agenten" zu bezeichnen. Medien, die ihre Stellungnahmen verbreiten, wären gehalten, auf die "Agenten-Eigenschaft" der Zitierten hinzuweisen.

Andere jetzt eingebrachte Vorschläge beabsichtigen weitere Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Unter anderem soll es "ausländischen Agenten" nicht mehr erlaubt sein, öffentliche Veranstaltungen zu finanzieren. Beabsichtigte Neuregelungen des Bildungsgesetzes zielen darauf, praktisch alle aufklärerischen Veranstaltungen der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.

Neuer Gesetzesvorschlag führte bereits zu Einschüchterungsversuchen

Allein die Einbringung der Gesetzesvorschläge hat offenbar schon zu Konsequenzen geführt: Es gibt Berichte aus mehreren Regionen Russlands, nach denen dort – "beflügelt" durch die Gesetzesvorhaben Vertreter_innen unterschiedlicher Behörden – unter ihnen auch der Inlandsgeheimdienst – auf Partnerorganisationen deutscher Stiftungen zugekommen sind und sie darauf hingewiesen haben, dass ihre Zusammenarbeit mit den deutschen Stiftungen verboten sei. Das trifft nicht zu. Das dadurch geschaffene Klima der Einschüchterung beschädigt die vertrauensvolle zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit beider Länder. Das Verhalten steht in scharfem Gegensatz zu dem in offiziellen Gesprächsforen wie etwa dem "Petersburger Dialog" immer wieder bekundeten Interesse der russischen Führung an einem zu entwickelnden fruchtbaren zivilgesellschaftlichen Dialog beider Länder.

Es ist zu hoffen, dass die Bundesregierung das erneute Vorgehen gegen die unabhängige russische Zivilgesellschaft deutlich benennt und dagegen protestiert. Auf der Ebene von EU und Europarat muss sie ihren Einfluss geltend machen, damit auch dort angemessen reagiert wird.

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