Amnesty Journal Belarus 15. März 2024

Katastrophale Haftbedingungen

Das Bild zeigt mehrere junge Menschen, die protestieren. Sie tragen rot-weiße Flaggen oder haben diese ungehängt.

Hunderte Menschen aus Belarus protestieren in der polnischen Hauptstadt Warschau gegen die Unterdrückung der Opposition in ihrem Heimatland (9. August 2023).

Isolation, Folter, verweigerte medizinische Versorgung – die Haftbedingungen von politischen Gefangenen in Belarus sind alarmierend. Mehrfach kam es zu Todesfällen von Inhaftierten, die von den Behörden nicht aufgearbeitet werden.

von Julia Eymer

Belarusische Bürger*innen, die von ihren grundlegenden Rechten Gebrauch machen, indem sie an friedlichen Versammlungen teilnehmen, öffentlich ihre Meinung äußern oder politisch aktiv sind, werden weiterhin regelmäßig inhaftiert. Das betrifft neben Journalist*innen, Blogger*innen, oppositionellen Politiker*innen oder Menschenrechtsaktivist*innen auch friedlich Protestierende. Viele der aktuell inhaftierten Personen wurden im Zusammenhang mit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im August 2020 in Belarus und den folgenden Protesten aus politischen Motiven strafrechtlich verfolgt und auf Grundlage konstruierter Anschuldigungen verurteilt.

Dem Menschenrechtszentrum Viasna zufolge gab es Mitte Januar mindestens 1.417 (Stand: 6.3.2024) politische Gefangene in Belarus. Personen, die aufgrund ihres politischen oder menschenrechtlichen Engagements inhaftiert sind, müssen besonders schwere Haftbedingungen erdulden. Sie werden selektiv mit Disziplinarstrafen wie Isolationshaft belegt. In einigen Fällen werden Haftstrafen willkürlich und wiederholt verlängert.

Lukaschenko räumt Gewaltanwendung ein

In einem BBC-Interview im November 2021 hatte Machthaber Alexander Lukaschenko erstmalig eingeräumt, dass im August 2020 im Okrestina-Gefängnis in Minsk Gewalt gegen Inhaftierte ausgeübt wurde. Bis dahin hatte die Staatsführung entsprechende Anschuldigungen trotz Beweisen stets abgestritten. Jedoch unternahm die Regierung keinerlei Versuche, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Amnesty International liegen auch Berichte über verweigerte medizinische Versorgung in den Gefängnissen vor: So wird die Koordinatorin des Freiwilligendienstes von Viasna, Marfa Rabkova, trotz besorgniserregender Symptome und einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nicht angemessen medizinisch versorgt. Die inhaftierte Menschenrechtsaktivistin Nasta Loika berichtete von verweigerter medizinischer Hilfe und Folter. Auch die Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa wurde misshandelt. Ihr Gesundheitszustand hat sich erheblich verschlechtert, seit sie in Haft ist. Gefangenen wird zudem der Kontakt zu ihren Familien und häufig auch zu Rechtsbeiständen verwehrt. Sie dürfen keine Anrufe, Briefe, Pakete oder Besuche von Angehörigen empfangen.

Video: Menschenrechtsverteidigerin Nasta Loika

Video-Datei

Nasta Loika berichtete, dass sie während ihrer Inhaftierung im Jahr 2022 mit Elektroschocks gefoltert wurde und acht Stunden lang ohne Oberbekleidung im Innenhof verbringen musste.

Verweigerte medizinische Versorgung

Die Haftbedingungen haben teils dramatische Folgen: So kam es mehrfach zu Todesfällen von Inhaftierten, die vermutlich auf Misshandlung, Folter oder mangelnde medizinische Versorgung zurückzuführen sind und von den Behörden nicht aufgearbeitet werden. Im Mai 2021 starb plötzlich der 50-jährige gewaltlose oppositionelle Aktivist Vitold Ashurak im Gefängnis in Schklou, wo er eine fünfjährige Haftstrafe verbüßte.

Nach Berichten von Viasna starb im Mai 2023 der 61-jährige oppositionelle Blogger Mikalai Klimovich in der Justizvollzugsanstalt in Witebsk. Er war wegen einer Herzerkrankung auf Medikamente angewiesen und starb nach nur zwei Monaten in Haft. Im Juli 2023 starb der aus politischen Motiven inhaftierte 57-jährige Künstler Ales Pushkin aufgrund einer verspäteten medizinischen Behandlung an einem durchgebrochenen Geschwür. Im Januar 2024 starb Vadzim Khrasko mit 50 Jahren an einer Lungenentzündung ebenfalls in Witebsk. Auch er war aus politischen Gründen inhaftiert. Zudem wurde kürzlich über Viasna bekannt, dass im Februar 2024 der 63-jährige oppositionelle Aktivist Ihar Lednik im Regionalkrankenhaus von Minsk verstarb. Er wurde zuvor aus der Strafkolonie Babruijsk dorthin gebracht, wo er wegen angeblicher Verleumdung Lukaschenkos inhaftiert war.

Julia Eymer ist ehrenamtliches Mitglied der Koordinationsgruppe Belarus und Ukraine, Amnesty International Deutschland. Kontakt zur Ko-Gruppe über https://amnesty-belarus-ukraine.de/belarus oder direkt per Mail an info@amnesty-belarus-ukraine.de.

HINTERGRUND BELARUS

Amnesty International fordert:
  • eine angemessene medizinische Versorgung aller Inhaftierten sowie Zugang zu allen wichtigen Leistungen, wie Medikamenten, im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards, insbesondere den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen
     
  • die unverzügliche Untersuchung der Vorwürfe von Folter und anderer Misshandlung sowie der Fälle willkürlicher Festnahme und strafrechtlicher Verfolgung
     
  • die umgehende Freilassung aller Personen, die nur wegen der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte inhaftiert wurden.

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