Aktuell Russische Föderation Ukraine 28. Januar 2022

Russland/Ukraine: Ein weiterer bewaffneter Konflikt hätte schwere Folgen für Millionen Menschen

Das Bild zeigt einen Panzer, der gerade einen Schuss abfeuert

Russland hat in den vergangenen Wochen an der Grenze zur Ukraine massiv Truppen zusammengezogen. Dieses Foto entstand während eines Manövers am 27. Januar 2022 in der Region Rostow im Süden Russlands nahe der Ukraine.

Angesichts eines drohenden Militäreinsatzes durch Russland in der Ukraine warnt Amnesty International davor, dass eine weitere Eskalation des bewaffneten Konflikts verheerende Folgen für die Menschenrechte in der Region hätte.

Zerstörte Infrastruktur, akute Nahrungsmittelknappheit und möglicherweise Massenvertreibungen: Bei einem Militäreinsatz Russlands in der Ukraine wären die Menschenrechte von Millionen von Menschen bedroht. 

Die wirtschaftlichen und sozialen Rechte sind bereits jetzt in Gefahr. Steigende Preise für Grundnahrungsmittel und Waren, einschließlich medizinischer Produkte, beeinträchtigen das Recht der Menschen in der Ukraine auf Gesundheitsversorgung und einen angemessenen Lebensstandard. Dies gilt insbesondere für sehr alte und sehr junge Menschen sowie für Menschen mit geringem Einkommen. Auch das Recht auf Bildung ist nicht gewährleistet, da die Schulen in den letzten zwei Wochen aufgrund von Sicherheitsbedenken zeitweise geschlossen waren. In Russland selbst hat der Rubel an Wert verloren und die Preise sind gestiegen.

"Die Androhung militärischer Gewalt durch Russland beeinträchtigt schon jetzt die Menschenrechte von Millionen von Menschen in der Ukraine und anderswo", sagte Agnès Callamard, Internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

"Die Folgen eines tatsächlichen militärischen Eingreifens wären wahrscheinlich verheerend. Die jüngste Geschichte der Ukraine ist geprägt von Konflikten mit russischen Truppen im Donbass und der rechtswidrigen Annexion der Krim. Diese Vorfälle haben Gemeinschaften und Leben auseinandergerissen, da militärische Kräfte die Rechte der Zivilbevölkerung ungestraft mit Füßen getreten haben; es ist an der Zeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen."

Beitrag von Amnesty auf Instragram:

Instagram freischalten

Wir respektieren deine Privatsphäre und stellen deshalb ohne dein Einverständnis keine Verbindung zu Instagram her. Hier kannst du deine Einstellungen verwalten, um eine Verbindung zu den Social-Media-Kanälen herzustellen.
Datenschutzeinstellungen verwalten

In militärischen Konflikten muss die Zivilbevölkerung geschützt werden und alle, die Menschenrechtsverletzungen begehen, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Amnesty International wird die Situation genau beobachten, um Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht (Kriegsrecht) und die internationalen Menschenrechtsnormen durch alle Parteien aufzudecken.

Auf dem Höhepunkt des bewaffneten Konflikts im Donbass in der Ostukraine in den Jahren 2014 und 2015 haben alle Seiten gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, was zur Vertreibung von mehr als eine Million Menschen führte. Mehr als 13.000 Menschen starben, und die Zahl der Opfer steigt weiter.

Russlands Militär begeht fortwährend Menschenrechtsverstöße

Angesichts der Missachtung des Völkerrechts durch russische Truppen an anderen Schauplätzen in den letzten Jahren, die allesamt straffrei blieben, ist Amnesty International äußerst besorgt, dass sich die Geschichte wiederholen könnte.

In Syrien zum Beispiel wurden 2015 bei einer Reihe russischer Luftangriffe auf Wohngebiete in Homs, Idlib und Aleppo zwischen September und November mindestens 200 Zivilpersonen getötet. Im Jahr 2020 berichtete Amnesty International, dass russische Flugzeuge sowohl Schulen als auch Krankenhäuser in Syrien angriffen. Einen Teil dieser Einrichtungen hatte die UN zuvor zu Orten erklärt, die vor Angriffen zu schützen seien.

Im andauernden Konflikt in der Ostukraine haben die von Russland unterstützten Separatist_innen gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, indem sie ebenso wie die ukrainischen Streitkräfte unpräzise explosive Waffen in dichtbesiedelten zivilen Gebieten einsetzten. Dabei stationierten sie diese Waffen auch in Häusern und ziviler Infrastruktur und feuerten sie von dort aus ab.

"Die Geschichte der militärischen Interventionen Russlands – sei es in der Ukraine, in Syrien oder im eigenen Land in Tschetschenien – ist von einer eklatanten Missachtung des humanitären Völkerrechts geprägt. Das russische Militär hat wiederholt gegen Kriegsrecht verstoßen, indem es Zivilpersonen nicht schützte und sie sogar direkt angriff. Die russischen Streitkräfte haben wahllose Angriffe durchgeführt, verbotene Waffen eingesetzt und manchmal offenbar absichtlich Zivilpersonen und zivile Objekte angegriffen – ein Kriegsverbrechen", so Agnès Callamard. 

Amnesty International ist zudem besonders besorgt über die potenzielle Herausbildung neuer Milizen auf ukrainischem Gebiet. Derartige von Russland unterstützte bewaffnete Gruppen im Donbass sind – ebenso wie es die regierungsfreundlichen ukrainischen paramilitärischen Gruppen waren – berüchtigt für ihre Missachtung der Regeln des humanitären Völkerrechts und ihre mangelnde Rechenschaftspflicht.

Es ist beängstigend, sich vorzustellen, welches Ausmaß das Leid durch Flucht und Vertreibung im Falle einer Eskalation der Feindseligkeiten in der Ukraine annehmen könnte. Das würde zu einer humanitären Katastrophe auf dem ganzen Kontinent führen mit Millionen von Flüchtlingen, die in den europäischen Nachbarländern Schutz suchen müssten.

Agnès
Callamard
Internationale Generalsekretärin von Amnesty International

Mögliche Flucht- und Vertreibungskrise 

Der Konflikt in der Ostukraine löste 2014-2015 eine große Menschenrechtskrise aus, deren Folgen bis heute akut zu spüren sind. Millionen von Menschen waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, und diejenigen, die zurückgekehrt sind oder in der Konfliktzone blieben, leben von der Hand in den Mund, da die Wirtschaft der Region am Boden liegt. Hunderte wurden Opfer von außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen rechtswidrigen Tötungen sowie Folter, Entführungen, willkürlichen Inhaftierungen und dem Verschwindenlassen. Diese Menschenrechtsverletzungen wurden sowohl von separatistischen Truppen als auch von Regierungsstreitkräften begangen.

Nach Angaben des ukrainischen Ministeriums für Sozialpolitik leben nach der Flucht vor dem Konflikt im Donbass und auf der besetzten Krim immer noch rund 1,45 Millionen Menschen als Binnenflüchtlinge.

"Es ist beängstigend, sich vorzustellen, welches Ausmaß das Leid durch Flucht und Vertreibung im Falle einer Eskalation der Feindseligkeiten in der Ukraine annehmen könnte. Das würde zu einer humanitären Katastrophe auf dem ganzen Kontinent führen mit Millionen von Flüchtlingen, die in den europäischen Nachbarländern Schutz suchen müssten", sagt Agnès Callamard.

"Die Ukraine ist derzeit das Ziel für Schutzsuchende, die aus Russland, Belarus und zentralasiatischen Ländern fliehen. Sollte Russland militärische Gewalt gegen die Ukraine anwenden, wird dies nicht mehr der Fall sein und diese Menschen werden in anderen Ländern Zuflucht suchen müssen."

Auswirkungen auf die Region und darüber hinaus

Der Konflikt würde die Menschenrechte in der Region weiter aushöhlen, da die Gefahr besteht, dass sich der guerillaartige Krieg in der Ukraine in die Länge zieht. Dies würde wahrscheinlich begleitet von illegalen Waffenlieferungen, einem Zustrom von nicht rechenschaftspflichtigen privaten Militärfirmen und einer allgemeinen Zunahme von Gewalt und Straflosigkeit. Der wirtschaftliche Schaden und die Auswirkungen auf die Region, einschließlich des Großraums Europa, der auf russisches Gas angewiesen ist, das durch ukrainisches Gebiet geleitet wird, könnten enorm sein.

"Ein weiterer bewaffneter Konflikt im Zentrum Europas, in den eine Atommacht verwickelt ist und der möglicherweise auch weitere Länder involvieren wird, droht an dem gesamten System der wechselseitigen geopolitischen Kontrolle zu rütteln, mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Menschenrechte weltweit", befürchtet Agnès Callamard.

"Wenn der Westen und Russland eine schärfere Konfrontation eingehen, könnte dies zu einem aktiveren Eingreifen der Parteien in regionale Konflikte weltweit führen sowie zu einer Bewaffnung der Energiepolitik und zu mehr Ländern, die bereit sind, im Rahmen ihrer Außenpolitik Gewalt anzuwenden."

Weitere Artikel