26. Oktober 2018

Samy Deluxe über Asylrecht (Artikel 14)

Porträtfoto eines Mannes mit Brille in Jeansweste, grauem Hemd und graugrüner Hose

Samy Deluxe, Musiker

Mit dem Thema Asyl bin ich erstmals als Jugendlicher in Berührung gekommen. Meine Mutter arbeitete in einer Stiftung, die sich um politisch aktive Frauen aus Afrika, Asien und Südamerika kümmerte. Für ein junges Mädchen aus Liberia übernahm sie eine Vormundschaft. Das Mädchen hatte auf ihrer Flucht nach Deutschland alle möglichen Horrorszenarien durchgemacht. Meine Mutter begleitete sie in Deutschland unter anderem zu Gerichtsverhandlungen. Dort ging es um das Bleiberecht und die Frage, aus welchem Land sie nachweislich stammte – das war eine nervenaufreibende Zeit.

Es macht einen Unterschied, ob man die persönlichen Schicksale der Menschen kennt oder eben nur Nachrichten über Flüchtlinge im Fernsehen sieht. Man sollte immer daran denken: Was wäre, wenn mir das passieren würde? Wenn ich eine Familie habe, Krieg ausbricht, ich sterbe und sie fliehen müssen? Dann gibt es vielleicht Länder, die finanziell in der Lage wären, zu helfen. Aber aus irgendeinem Grund machen sie das nicht. Das ist unmenschlich.

Es ist wichtig, diese Einzelschicksale kennenzulernen, sich zu informieren, Dokumentationen anzuschauen und Bücher darüber zu lesen. Bei Katastrophen mit Flüchtlingen im Mittelmeer und anderen Schreckensnachrichten sind wir schon taub geworden. Es ist extrem verstörend, wenn man Statistiken liest und merkt, dass immer mehr Menschen, die auf der Flucht sind, minderjährig sind. Und so etwas wie minderjährige Wirtschaftsflüchtlinge gibt es nicht. Kinder und Jugendliche verlassen ihre Heimat nur, wenn die Umstände so mies sind, dass sie keine mehr Zukunft sehen. Einen Fußmarsch durch zehn Länder unter den schlimmsten Umständen durchzuziehen, macht niemand freiwillig. 

In diesem Video spricht Samy Deluxe über das Recht auf Asyl

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Viele von ihnen würden bestimmt lieber in ihrer Heimat leben, in ihrer Kultur. Diese Leute kommen nach Deutschland, weil ihnen Kriege, Diktaturen, politische Verfolgung und Genozid keine andere Wahl lassen. Ich denke, dass wir in der westlichen Welt einen Teil der Verantwortung tragen. Man sollte sich darüber klar sein, dass fast alle europäischen Länder am Kolonialismus beteiligt waren. Sie haben andere Länder besetzt, deren Reichtümer geklaut, ihnen eine komplett neue Struktur aufgedrängt und sie irgendwann, als die meisten Staaten in die Unabhängigkeit wollten, dem Chaos überlassen

Wenn heutzutage Menschen nach Deutschland kommen, weil sie um ihr Überleben kämpfen, kann man sich als Westeuropäer deshalb nicht in eine Opferrolle packen. Es gibt zwar immer Leute – und damit auch Flüchtlinge – die sich nicht gut benehmen, Gesetze brechen und so weiter. Aber folgendes Grundverständnis ist wichtig: Wir, als Westeuropäer, haben auf globaler Ebene eine Menge Scheiß gebaut, vor allem was die sogenannte Dritte Welt angeht. Dass sie überhaupt "Dritte Welt" heißt, ist zu einem großen Teil unsere Schuld. Das sollten wir uns bewusst machen. 

Samy
Deluxe
Musiker

Menschenrechte sind für mich ein kontroverses Thema. Auf der einen Seite freue ich mich, dass es sie gibt, dass sie in Gesetzen festgehalten wurden. Auf der anderen Seite bin ich mit viel Rassismus aufgewachsen und Intoleranz. Ich musste mich ständig damit beschäftigen, wieso ich angeblich anders bin und nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft. Wenn ich dann höre, "jeder Mensch ist gleich vor dem Gesetz" und dies und jenes, dann ist das alles in Theorie richtig und sollte auch so sein, aber die Realität sieht eben anders aus. 

Es gibt etliche solcher Regeln, die wir aber die ganze Zeit brechen. Unsere Grundwerte dürfen nicht nur Worte auf Papier bleiben, sondern müssen von den entsprechenden Instanzen in unserer Gesellschaft geschützt und in die Tat umgesetzt werden. Aber stattdessen wächst man auf und merkt, die handeln gar nicht so, wie sie eigentlich sollten. Man wird von Polizisten ständig rangezogen, weil man eine andere Hautfarbe hat, man wird abends deswegen nicht in den Club gelassen und so weiter.

Bei mir hat sich daraus ein gewisser Zynismus entwickelt, den man meiner Musik auch manchmal anmerkt. Dort versuche ich das zu verarbeiten, aber eben nicht allzu pathetisch, nicht mit erhobenem Zeigefinger. Denn wie gesagt: Worte auf Papier sind cool, aber was am Ende zählt, sind Taten.

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