Amnesty Report Mazedonien 07. Juni 2016

Mazedonien 2016

 

Durch die Veröffentlichung von Mitschnitten abgehörter Telefongespräche wurde 2015 nicht nur Regierungskorruption aufgedeckt, sondern auch das hohe Ausmaß der Überwachung von Bürgern bekannt. Die Behörden verletzten die Rechte von Flüchtlingen und Migranten u. a. durch rechtswidrige Inhaftierungen und den Einsatz exzessiver Gewalt.

Hintergrund

Das Land erlebte 2015 eine politische Krise, nachdem Mitschnitte von Telefonaten zwischen Ministern, Mitgliedern der Regierungspartei VMRO-DPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für die Nationale Einheit Mazedoniens) und hochrangigen Staatsfunktionären veröffentlicht worden waren.

Die Telefonmitschnitte, die der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokratischen Union Mazedoniens (SDSM), Zoran Zaev, veröffentlichte, enthüllten korruptes Verhalten der Regierung, Amtsmissbrauch, Wahlbetrug und fehlende Respektierung der Menschenrechte und des Rechtsstaatsprinzips, u. a. durch Einmischung in die Unabhängigkeit der Justiz.

Zoran Zaev wurde zusammen mit anderen Personen wegen Spionage und anderer Straftaten angeklagt. Die Regierung behauptete, die Tonaufnahmen seien eine Produkt ausländischer Geheimdienste. Im Mai 2015 forderten Tausende Demonstrierende den Rücktritt des Ministerpräsidenten, dem sie vorwarfen, an der Verschleierung der Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit der Tötung eines jungen Mannes bei einer Demonstration im Jahr 2011 beteiligt zu sein. Die Innenministerin und der Chef der Sicherheitsbehörde traten daraufhin im Mai 2015 zurück.

Nachdem im Juni 2015 unter Vermittlung der EU ein Abkommen erzielt wurde, beendete die Opposition im September 2015 ihren Boykott des Parlaments. Nach einem weiteren Eingreifen der EU übernahm die SDSM nach einer Kabinettsumbildung im November Ministerposten. Es wurde eine Sonderstaatsanwaltschaft eingerichtet zur Aufklärung der mutmaßlichen Straftaten, die durch die Telefonmitschnitte enthüllt worden waren. Umfassende Reformen des Wahlrechts, die vor den Parlamentswahlen im April 2016 abgeschlossen sein sollten, waren Ende 2015 noch nicht umgesetzt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Schätzungen zufolge wurden mehr als 2000 Journalisten von den Behörden abgehört. Den veröffentlichten Telefonmitschnitten war zu entnehmen, dass die Regierung Medien, die ihr nahestanden, indirekt finanzierte und auf die Personalpolitik und die Berichterstattung der Medien politisch Einfluss nahm.

Unabhängige Journalisten wurden weiterhin angegriffen: Der kritische Journalist Borjan Jovanovski erhielt im April 2015 Morddrohungen; im Juli 2015 griff der Vize-Regierungschef den Journalisten Sashe Ivanovski mit Faustschlägen an. Nach der Entscheidung eines Berufungsgerichts wurde der investigative Journalist Tomislav Kezarovski im Januar 2015 aus dem Hausarrest entlassen. Seine Verurteilung im Jahr 2013 wegen Verleumdung hatte zu internationalen Protesten geführt.

Exzessive Gewaltanwendung

Am 9. Mai 2015 sollte ein bewaffneter Einsatz von Spezialeinheiten der Polizei in Kumanovo offiziellen Angaben zufolge Angriffe auf staatliche Einrichtungen und zivile Ziele verhindern. Bei dem heftigen Feuergefecht wurden 14 ethnische Albaner und acht Polizisten getötet. 30 ethnische Albaner wurden festgenommen, darunter ehemalige Mitglieder der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK). Einige von ihnen gaben an, in Gewahrsam geschlagen worden zu sein. Das Innenministerium ging nicht auf Forde-rungen ein, den Einsatz unabhängig untersuchen zu lassen.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Mindestens 600 000 Migranten und Flüchtlinge durchquerten 2015 Mazedonien mit dem Ziel, in der EU Asyl zu beantragen. Die meisten von ihnen stammten aus Syrien.

Bis Juni 2015 wurden die Flüchtlinge und Migranten routinemäßig direkt an der Grenze oder aus dem Landesinneren völkerrechtswidrig nach Griechenland zurückgewiesen. Dabei wurden sie von der Grenzpolizei misshandelt und willkürlich inhaftiert und liefen Gefahr, von Schleusern ausgebeutet oder von bewaffneten Banden angegriffen zu werden. Im August 2015 erklärte das Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR), das Asylsystem des Landes sei nicht in der Lage, wirksamen Schutz zu gewährleisten.

Nach einer Reform des Asylgesetzes erklärten seit dem 19. Juni insgesamt 388 233 Flüchtlinge an der Grenze, Asyl beantragen zu wollen. Doch fuhren die meisten mit dem Zug zur serbischen Grenze, um ihre Reise Richtung Norden fortzusetzen. Nach Angaben des mazedonischen Innenministeriums wurden nach dem 19. Juni 2015 nur 86 Asylanträge gestellt.

Eine Zeit lang kamen täglich bis zu 7000 Personen von Griechenland nach Mazedonien. Am 19. August 2015 verhängte die Regierung den Ausnahmezustand an der Grenze und entsandte Soldaten und Sondereinheiten der Polizei, die Blendgranaten und Plastikgeschosse einsetzten, um Flüchtlinge zurückzudrängen und an der Einreise zu hindern. Ende August 2015 ging die Polizei erneut mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Flüchtlinge vor, im September 2015 schlug sie willkürlich auf Flüchtlinge ein. Vom 19. November an wurde nur noch afghanischen, irakischen und syrischen Staatsangehörigen die Einreise nach Mazedonien erlaubt. Um Personen von der Einreise abzuhalten, die eine andere Staatsangehörigkeit hatten und die willkürlich als Wirtschaftsmigranten eingestuft wurden, setzte die Polizei zu Beginn exzessive Gewalt ein.

Mehr als 1000 überwiegend aus Syrien stammende Flüchtlinge und Migranten, unter ihnen auch Kinder, waren unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen in der Aufnahmeeinrichtung Gazi Baba in der Hauptstadt Skopje rechtswidrig inhaftiert. Viele gaben an, sie seien vom Wachpersonal des Innenministeriums misshandelt worden. Nach Druck von internationaler Seite, u. a. durch den UN-Ausschuss gegen Folter, schlossen die Behörden die Einrichtung im Juli 2015. Nach der Grenzschließung für bestimmte Nationalitäten im November wurde die rechtswidrige Inhaftierung von Flüchtlingen und Migranten jedoch wieder aufgenommen. Im Dezember 2015 wurden etwa 55 Personen inhaftiert, in der Mehrzahl iranische und marokkanische Staatsbürger.

Ungefähr 10 210 mazedonische Staatsangehörige, in der Mehrheit Roma, flohen vor Benachteiligung und Armut in EU-Staaten und beantragten dort Asyl, was ihnen jedoch nur in seltenen Fällen gewährt wurde.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen

Während der Gay-Pride-Woche im Juni 2015 protestierten Aktivisten dagegen, dass die Behörden zu lebensbedrohlichen Angriffen auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche und Intersexuelle und zu Überfällen auf die Räumlichkeiten ihrer Organisationen keine Ermittlungen anstellten. Im Januar 2015 stimmte das Parlament für eine Verfassungsänderung, die die Ehe ausschließlich als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im Februar 2015 legte die Regierung dem Europarat endlich den Aktionsplan zur Umsetzung des Urteils vor, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri 2012 gefällt hatte. Die Regierung kam jedoch nicht der Aufforderung nach, die von Khaled el-Masri erhobenen Vorwürfe wirksam strafrechtlich zu verfolgen. Der Gerichtshof hatte Mazedonien dafür verantwortlich gemacht, dass Khaled el-Masri im Jahr 2003 ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert war, Opfer des Verschwindenlassens wurde, Folter und andere Misshandlungen erlitt und anschließend an den US-Geheimdienst CIA übergeben wurde, der ihn in ein Geheimgefängnis nach Afghanistan brachte.

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