Amnesty Report Thailand 11. Mai 2011

Thailand 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Königreich Thailand Staatsoberhaupt: König Bhumibol Adulyadej Regierungschef: Abhisit Vejjajiva Todesstrafe: nicht abgeschafft Einwohner: 68,1 Mio. Lebenserwartung: 69,3 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 13/8 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 93,5%

Das Recht auf freie Meinungsäußerung war nach wie vor stark eingeschränkt. Die staatliche Zensur von Internetseiten, Radio- und Fernsehprogrammen sowie Printmedien wurde weiter verschärft. Der Süden des Landes war aufgrund eines internen bewaffneten Konflikts weiterhin von Gewalt erschüttert: Während die Sicherheitskräfte verdächtige Personen folterten oder in anderer Weise misshandelten, griffen Angehörige bewaffneter muslimischer Gruppen Zivilpersonen an, insbesondere Lehrer. Die Sicherheitskräfte setzten bei regierungsfeindlichen Protestkundgebungen in Bangkok und mehreren anderen Provinzen exzessive Gewalt ein.

In einigen Fällen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen seitens der Demonstrierenden. Hunderte von Personen wurden festgenommen. In Bangkok war fast acht Monate lang eine Notverordnung in Kraft. Sie enthielt zahlreiche Bestimmungen, die gegen internationale Menschenrechtsabkommen und -standards verstießen. Aus Myanmar stammende Arbeitsmigranten ohne regulären Aufenthaltsstatus waren zahlreichen Menschenrechtsverstößen ausgesetzt und wurden gemeinsam mit Flüchtlingen in ihr Herkunftsland abgeschoben.

Hintergrund

Eine politische Krise polarisierte die thailändische Gesellschaft mittlerweile das fünfte Jahr in Folge. Sie spitzte sich noch zu, als ein Gericht in Bangkok Ende Februar 2010 den 2006 durch einen Staatsstreich abgesetzten und im selbst gewählten Exil lebenden ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra in Abwesenheit der Korruption schuldig sprach. Von Mitte März bis Ende Mai organisierte die teilweise mit Thaksin Shinawatra verbündete Vereinigte Front für Demokratie gegen Diktatur (United Front for Democracy against Dictatorship – UDD) Protestkundgebungen gegen die Regierung. Die zunehmend gewalttätigeren Proteste kosteten mehr als 90 Menschen das Leben, mindestens 2000 weitere wurden verletzt. 37 Gebäude in Bangkok wurden niedergebrannt. Im März wandte die Regierung das Gesetz über die innere Sicherheit und im April die Notverordnung an. Letztere wurde in Bangkok und drei weiteren Provinzen erst kurz vor Jahresende wieder aufgehoben. Nach dem Gewaltausbruch schuf die Regierung mehrere Organe für staatliche Reformen und setzte eine Wahrheits- und Versöhnungskommission ein.

Der interne bewaffnete Konflikt im Süden des Landes dauerte an. Seit 2004 waren ihm 4500 Menschen zum Opfer gefallen. Im November 2010 erlebte Thailand den größten Massenzustrom von Flüchtlingen seit 25 Jahren, als mindestens 20000 Menschen aus Myanmar auf der Flucht vor Kampfhandlungen in ihrem Land die Grenze überquerten.

Politisch motivierte Gewalt

Vom 10. April bis zum 19. Mai 2010 wurden in Bangkok und anderen Orten bei zum Teil gewalttätigen Protestkundgebungen gegen die Regierung 74 Demonstrierende bzw. unbeteiligte Passanten, elf Angehörige der Sicherheitskräfte, vier Sanitäter und zwei Journalisten getötet. Die Sicherheitskräfte gingen mit exzessiver Gewalt gegen die Proteste vor.

Mehrere unbewaffnete Zivilpersonen und Schaulustige kamen durch Schusswaffeneinsatz ums Leben und dadurch, dass Zonen bestimmt wurden, in denen uneingeschränkt mit scharfer Munition geschossen wurde. Generalmajor Khattiya Sawasdipol, ein Anführer der militanten Gegenwehr der Demonstrierenden, wurde am 13. Mai von einem Scharfschützen tödlich getroffen. Einige der Demonstrierenden sowie offenbar mit ihnen verbündete Personen verfügten ebenfalls über Schusswaffen und griffen damit Sicherheitskräfte an. Infolge der Proteste ließ die Regierung über 450 Personen festnehmen. Ende 2010 waren rund 180 von ihnen noch inhaftiert oder befanden sich gegen Kaution bis zum Prozessbeginn auf freiem Fuß. Gegen einige wurde Anklage wegen Terrorismus erhoben.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Regierung schränkte das Recht auf freie Meinungsäußerung rigoros ein, insbesondere auf der Grundlage der Notverordnung, des Gesetzes über Computerdelikte von 2007 sowie des Lèse-Majesté-Gesetzes, das jedwede Äußerung oder Handlung verbietet, die geeignet sein könnte, die königliche Familie zu verleumden, zu beleidigen oder zu bedrohen.

  • Im Oktober 2010 wurde Amornwan Charoenkij in der Provinz Ayutthaya festgenommen, weil sie Flip-Flops verkauft hatte, auf denen das Gesicht des Ministerpräsidenten aufgedruckt war; der daneben stehende Spruch bezog sich auf die 91 Toten, die bei den Protesten im Mai ums Leben gekommen waren. Die Festnahme erfolgte auf der Grundlage der Notverordnung, obwohl die Verordnung in dieser Provinz gar nicht galt.

Die Notverordnung übertrug der neu geschaffenen Notstandsbehörde (Center for the Resolution of the Emergency Situation – CRES) die Befugnis, Internetseiten, Radio- und Fernsehprogramme sowie gedruckte Publikationen ohne gerichtliche Anordnung zu zensieren. Während der letzten drei Maiwochen, als die Gewalt bei den regierungsfeindlichen Protesten ihren Höhepunkt erreichte, wurden nach Angaben der CRES jeweils 770, 1150 bzw. 1900 Internetseiten zensiert. Das Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie gab im Juni bekannt, es habe den Zugang zu 43908 Internetseiten in Thailand gesperrt, da diese gegen das Lèse-Majesté-Gesetz und die nationale Sicherheit verstoßen hätten.

Es wurden mindestens fünf Verfahren auf der Grundlage des Gesetzes über Computerdelikte eingeleitet, wegen Inhalten, die entweder als Beleidigung der Monarchie und/oder als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen wurden. Damit erhöhte sich die Gesamtzahl der Verfahren seit Einführung des Gesetzes im Jahr 2007 auf 15.

  • Am 29. April 2010 wurde der Geschäftsmann Wipas Raksakulthai festgenommen, weil er über das soziale Netzwerk Facebook im Internet einen Beitrag weitergeleitet hatte, der angeblich gegen das Lèse-Majesté-Gesetz verstieß. Eine Freilassung des gewaltlosen politischen Gefangenen gegen Kaution wurde abgelehnt. Zum Jahresende befand er sich noch in Gewahrsam und wartete auf den Prozessbeginn.

  • Am 24. September 2010 wurde Chiranuch Premchaiporn, die Herausgeberin der Internetzeitung Prachatai, festgenommen. Man legte ihr zur Last, in der Online-Publikation seien Kommentare veröffentlicht worden, die das Lèse-Majesté-Gesetz verletzten. Sie wurde gegen Kaution freigelassen. Ende 2010 wartete sie auf die Weiterleitung des Falls an die Staatsanwaltschaft.

Flüchtlinge und Migranten

Arbeitsmigranten aus Myanmar, die sich nicht bis spätestens 28. Februar 2010 hatten registrieren lassen, wurden nach Myanmar abgeschoben. Sie wurden dabei Opfer von Menschenhandel und Erpressung. Zu den Tätern zählten sowohl thailändische Beamte als auch eine von der Regierung Myanmars unterstützte Miliz, die aus Angehörigen einer ethnischen Minderheit bestand.

Im November verletzte Thailand den Grundsatz des Non-Refoulement (Abschiebungsverbot), als zahlreiche Flüchtlinge, die vor den Kampfhandlungen in Myanmar geflohen waren, gezwungen wurden, wieder in ihr Herkunftsland zurückzukehren, wo ihnen schwere Menschenrechtsverstöße drohten.

Ein von der Regierung eingeleiteter Prozess mit dem Ziel, den Aufenthaltsstatus von mehr als 1,4 Mio. registrierten Arbeitsmigranten zu überprüfen, löste Besorgnis aus, was die Sicherheit der Migranten aus Myanmar anging. Sie mussten in ihr Herkunftsland zurückkehren, um an dem Verfahren teilnehmen zu können. Private Vermittler verlangten horrende Gebühren, und die von dem Verfahren Betroffenen wurden nur unzureichend informiert. Der Überprüfungsprozess schloss etwa 1,4 Mio. weitere Arbeitsmigranten aus, die sich nicht bis zum 28. Februar bei den Einwanderungsbehörden gemeldet hatten.

Unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status sahen sich ausländische Staatsbürger, vor allem solche aus asiatischen Ländern, weiterhin mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Dies betraf den Zugang zu Arbeitsplätzen, Entschädigungen für Arbeitsunfälle und die Registrierung bei Berufsunfähigkeit. Sie waren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und mussten gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen erdulden. Fälle von mutmaßlicher Erpressung, Folter oder anderen Formen von Gewalt gegen Arbeitsmigranten durch Arbeitgeber und Beamte – insbesondere Polizeibeamte – wurden entweder nicht untersucht oder nicht strafrechtlich verfolgt.

Nachdem Anfang November bei einer Massenflucht mindestens 20000 Personen von Myanmar nach Thailand gekommen waren, erklärten sich viele bereit, freiwillig zurückzukehren. Andere wurden jedoch zur Rückkehr gezwungen oder daran gehindert, die Grenze nach Thailand zu überqueren. Das galt auch für kleinere Gruppen von Flüchtlingen, die das gesamte Jahr über auf der Flucht vor sporadischen Kampfhandlungen nach Thailand kamen.

  • Im Dorf Waw Lay im Verwaltungsbezirk Phop Phra (Provinz Tak) schoben die thailändischen Behörden am 10. November 2010 etwa 2500 Flüchtlinge nach Myanmar ab. Am 17. November wurden etwa 650 weitere Flüchtlinge zwangsweise in das Nachbarland rückgeführt, am 8. Dezember mindestens 360 und am 25. Dezember weitere 166.

Interner bewaffneter Konflikt

Im Verlauf des internen bewaffneten Konflikts in den hauptsächlich von Muslimen besiedelten südlichen Provinzen Thailands wurde die Notverordnung zum 21. Mal seit Juli 2005 verlängert, und alle Konfliktparteien begingen weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Lediglich in einem Bezirk wurde die Notverordnung Ende Dezember 2010 aufgehoben. Die Sicherheitskräfte folterten nach wie vor Verdächtige; dies führte zu mehreren Todesfällen im Gewahrsam. Bewaffnete Gruppen nahmen weiterhin sowohl buddhistische als auch muslimische Zivilpersonen ins Visier und griffen sie willkürlich an, insbesondere während des Fastenmonats Ramadan. Die Angriffe auf Lehrer und Schulen erreichten im Oktober ein solches Ausmaß, dass fast alle Schulen im Süden eine Woche lang geschlossen blieben. Am sechsten Jahrestag des Vorfalls von Tak Bai (Provinz Narathiwat), bei dem 2004 insgesamt 85 Menschen ums Leben gekommen waren, fanden 14 koordinierte Bombenanschläge statt, bei denen zwei Menschen getötet und 74 weitere verletzt wurden. 2009 war entschieden worden, die an den Tötungen im Jahr 2004 beteiligten Sicherheitskräfte nicht strafrechtlich zu verfolgen.

Die Regierung erließ Gesetze, um das von Zivilpersonen geleitete Verwaltungszentrum der südlichen Grenzprovinzen zu ermächtigen, unabhängig vom Militär zu agieren und dem Ministerpräsidenten direkt Bericht zu erstatten, doch galt für die Sicherheitskräfte weiterhin Straflosigkeit.

  • Im August 2010 ließ die Polizei alle Anklagepunkte gegen einen ehemaligen paramilitärischen Forstbeamten fallen, der an einem Überfall auf die Al-Furqan-Moschee im Jahr 2009 beteiligt gewesen sein soll, bei dem zehn Muslime getötet worden waren. Im siebten Jahr in Folge wurde kein Beamter wegen Menschenrechtsverletzungen im Süden strafrechtlich verfolgt und verurteilt.

Todesstrafe

Es gingen 2010 keine Berichte über Hinrichtungen ein. Im August belief sich die Zahl der zum Tode verurteilten Personen auf 708. Die Urteile gegen sie standen entweder zur Revision an oder waren bereits bestätigt. 339 von ihnen waren wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt worden. Am 13. Januar kündigte der Innenminister eine Kampagne zur Ausweitung der Todesstrafe für Drogendelikte auf der Grundlage von drei existierenden Gesetzen an. Diese Entwicklung stand im Widerspruch zum Zweiten Nationalen Menschenrechtsplan 2009–13, der eine Absichtserklärung zur Abschaffung der Todesstrafe in Thailand enthielt.

Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Demonstrierenden und Sicherheitskräften erklärte die Regierung im April und im Mai, einige der Festgenommenen würden wegen Terrorismus angeklagt, was mit der Todesstrafe geahndet werden könne.

Die im Todestrakt Inhaftierten wurden weiterhin direkt nach ihrer Ankunft im Gefängnis in Fußeisen gelegt, obwohl eine (in der Zwischenzeit angefochtene) Gerichtsentscheidung dies 2009 als "illegal" bezeichnet hatte. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission empfahl im Juli, diese Praxis sofort zu beenden.

Im Dezember 2010 enthielt sich Thailand bei der Abstimmung über eine Resolution der UN-Generalversammlung für ein weltweites Hinrichtungsmoratorium. Bei den Abstimmungen in den Jahren 2007 bis 2009 hatte Thailand noch gegen die Resolution gestimmt.

Amnesty International: Berichte

Reverse backward slide in freedom of expression (ASA 39/001/2010)

Accountability must prevail in political crisis (ASA 39/003/2010)

Open Letter: Call for an independent and impartial investigation (ASA 39/004/2010)

Demand the release of online news editor: Chiranuch Premchaiporn (ASA 39/005/2010)

Military must halt reckless use of lethal force, 17 May 2010

Schlagworte

Thailand Amnesty Report

Weitere Artikel