Amnesty Report Nepal 28. März 2023

Nepal 2022

Menschen halten Schilder mit Protestslogans hoch mit Aufschriftrn wie #metoo.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Die Behörden unterdrückten das Recht auf freie Meinungsäußerung durch willkürliche Festnahmen, und die Sicherheitskräfte gingen auch 2022 mit unnötiger und exzessiver Gewalt gegen Demonstrationen vor. Mindestens eine Person wurde bei Protesten erschossen. Die Bemühungen um Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für völkerrechtliche Verbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen, die während des Konfliktes in den Jahren 1996 bis 2006 begangen wurden, blieben äußerst unzureichend. Todesfälle in Gewahrsam wurden von den Behörden nicht glaubwürdig und unabhängig untersucht.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Personen, die ihre Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wahrnahmen, wurden auch weiterhin von den Behörden eingeschüchtert, festgenommen und strafrechtlich verfolgt.

Im August 2022 nahm die Polizei in der Hauptstadt Kathmandu den Komödianten Apoorwa Kshitiz Singh fest, nachdem er wegen eines Onlinevideos angezeigt worden war. Der Komödiant wurde in vier Punkten auf Grundlage des Strafgesetzbuchs angeklagt, was bei einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Haft bedeuten könnte. Im Oktober 2022 wurde Apoorwa Kshitiz Singh vom Bezirksgericht in Kathmandu gegen Kaution freigelassen.

Im Oktober 2022 drohte die Wahlkommission damit, die Betreiber*innen der Social-Media-Konten der Bewegung No, Not Again strafrechtlich zu verfolgen, sollten sie die Gruppe nicht schließen und kritische Beiträge über Politiker*innen nicht löschen. Im November wies der Oberste Gerichtshof die Kommission an, von Maßnahmen gegen die Aktivist*innen abzusehen und deren Recht auf freie Meinungsäußerung zu respektieren. Noch im selben Monat forderte die Wahlkommission das Onlineportal Setopati.com auf, einen Artikel über einen Wahlkandidaten zu entfernen. Angesichts breiter Kritik zog die Kommission diese Forderung später zurück.

Die Behörden gingen hart gegen Demonstrierende vor, die Opfer von Kredithaien geworden waren und bei Protesten in Kathmandu Gerechtigkeit für die gegen sie verübten Finanzdelikte forderten. Bei den Demonstrierenden handelte es sich zumeist um Bäuer*innen aus wirtschaftlich schwachen Verhältnissen. Im September 2022 ging die Polizei mit Schlagstöcken gegen eine friedliche Demonstration vor. Dabei wurden mindestens fünf Personen verletzt und mehr als 20 Personen festgenommen.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Die nepalesische Regierung verwehrte nach wie vor Zehntausenden Personen, die während des bewaffneten Konflikts von 1996 bis 2006 Opfer schwerer Menschenrechtsverstöße durch Sicherheitskräfte und maoistische Rebellengruppen geworden waren, ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Der Kommission für Wahrheit und Versöhnung und der Kommission zur Untersuchung von Fällen des Verschwindenlassens gelang es nicht, auch nur einen einzigen Fall zum Abschluss zu bringen, obwohl ihnen insgesamt mehr als 63.000 Anträge vorlagen. Zwar wurden die Mandate beider Kommissionen im Oktober 2022 verlängert, doch wurden nach dem Ablauf der Amtszeit der bisherigen Kommissionsmitglieder im Juli 2022 in keine der beiden Kommissionen neue Mitglieder bestellt.

Im Juli 2022 legte die Regierung auch einen Gesetzentwurf zur Änderung des 2014 verabschiedeten Gesetzes zur Einsetzung einer Kommission für Wahrheit und Versöhnung sowie einer Kommission zur Untersuchung von Fällen des Verschwindenlassens vor. Der Änderungsvorschlag sah zwar einige Verbesserungen bei der Wiedergutmachung für Opfer des Konflikts vor, nicht jedoch die Beseitigung anderer Mängel, die bereits 2015 durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs angeordnet worden war, um das Gesetz an nepalesische und internationale Menschenrechtsnormen anzupassen. Da der Gesetzentwurf nicht vor dem Ende der Legislaturperiode im September 2022 vom Parlament angenommen wurde, gab es bis Ende des Jahres keine Fortschritte.

Folter und andere Misshandlungen

Personen in Untersuchungshaft wurden häufig gefoltert oder anderweitig misshandelt, um sie einzuschüchtern und "Geständnisse" oder andere Beweise zu erzwingen. Obwohl das Strafgesetzbuch von 2017 Folter und andere Misshandlungen unter Strafe stellt, war bis Ende 2022 noch niemand auf Grundlage dieser Bestimmungen verurteilt worden. Es gab keine glaubwürdigen Untersuchungen zu den Todesfällen in Gewahrsam, die mutmaßlich auf Folter zurückzuführen waren.

Im Mai 2022 wurde Sundar Harijan, ein Angehöriger der Gemeinschaft der Dalit, erhängt auf einer Toilette im Bezirksgefängnis Rolpa aufgefunden. Der Polizei zufolge hatte er Suizid begangen. Seine Familie wies dies zurück, doch die Behörden ordneten keine unabhängige Untersuchung seines Todes an. Im Juni 2022 kam ein Untersuchungsausschuss des Innenministeriums zu dem Schluss, dass Mitarbeitende der Gefängnisverwaltung rechtswidrig die Identität von Sundar Harijan mit der eines anderen Gefangenen vertauscht und Letzteren freigelassen hatten, sodass Sundar Harijan die Haftstrafe des anderen Mannes verbüßen musste. Die Behörden hatten ihren Bericht bis Ende 2022 noch nicht veröffentlicht.

Rechte indigener Gemeinschaften

Das Gesetz zum Schutz von Nationalparks und Wildtieren von 1973, das nicht den internationalen Standards entspricht, wurde auch 2022 nicht reformiert. Indigene, die während der Einrichtung von Nationalparks und Schutzgebieten von ihrem angestammten Land vertrieben worden waren, blieben ohne Land und mussten weiterhin in informellen Siedlungen leben, wo sie Gefahr liefen, erneut vertrieben zu werden.

Im Juni 2022 schoss die Polizei im Distrikt Bardiya mit scharfer Munition auf Demonstrierende. Dabei kam die Indigene Nabina Tharu ums Leben, und ein Mann wurde verletzt. Die Demonstrierenden forderten Schutz vor wilden Tieren für die Anwohner*innen des Nationalparks, nachdem eine Frau von einem Tiger angegriffen worden war.

Frauenrechte

Die geschlechtsspezifische Diskriminierung bestand auch 2022 fort, und die Regierung unternahm nichts gegen die Mängel in der Verfassung, durch die Frauen gleiche Bürgerrechte verwehrt blieben.

Die restriktive Verjährungsregelung für Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt im Strafgesetzbuch schränkte die Möglichkeit für Überlebende ein, Anzeige zu erstatten und Zugang zur Justiz zu erhalten. Nach Protesten im Mai 2022 und breiten Forderungen aus der Zivilgesellschaft verabschiedete das Parlament im Juli ein Gesetz, mit dem die einjährige Verjährungsfrist für die Erstattung einer Anzeige auf zwei Jahre bzw. in einigen Fällen auf bis zu drei Jahre verlängert wurde.

Rechte auf Nahrung und Wohnen

Das Gesetz über das Recht auf Wohnen aus dem Jahr 2018, das keinen angemessenen Schutz dieses Rechts gewährleistet, wurde auch 2022 nicht abgeändert. Das Gesetz sah keinen Schutz vor rechtswidrigen Zwangsräumungen für Personen in informellen Siedlungen vor und enthielt keine Definitionen von Schlüsselbegriffen und -konzepten wie Obdachlosigkeit und Sicherheit in Bezug auf Nutzungs- und Besitzrechte. Hunderte Familien, die landesweit in informellen Siedlungen lebten, waren nach wie vor von rechtswidriger Zwangsräumung durch die Behörden bedroht.

Im November 2022 veröffentlichte der dem Ministerium für Stadtentwicklung unterstellte Hochrangige Ausschuss für die integrierte Entwicklung der Bagmati-Kultur einen Räumungsbescheid mit zehntägiger Frist für Bewohner*innen informeller Siedlungen am Ufer des Flusses Bagmati. Der Ausschuss drohte mit der Zerstörung der Siedlungen, ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren einzuleiten und alternative Unterkünfte bereitzustellen, und machte geltend, dass die Siedlungen "Verschönerungsarbeiten" behinderten.

Die Regierung unternahm auch keine Schritte zur Änderung des Gesetzes von 2018 über das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität, das nicht den internationalen Menschenrechtsstandards entsprach.

Das Fehlen eines notwendigen politischen Rahmens und entsprechender Verordnungen behinderte die Umsetzung existierender Gesetzesbestimmungen, die den Zugang zu Nahrung und Wohnraum gewährleisten sollten.

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