Amnesty Report Mazedonien 16. April 2020

Nordmazedonien 2019

Im Vordergrund: Eine person mit Sonnenbrille und Regenschirm in Regenbogenfarben, im Hintergrund: dutzende Menschen die zusammensetzen und sich unterhalten, lachen

Ungeachtet der von der Europäischen Kommission festgestellten Fortschritte bei der Umsetzung der Reformen blieb 2019 die Besorgnis über Korruption, das Recht auf Asyl und die Diskriminierung von Frauen und Roma sowie von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI) bestehen.

Hintergrund

Nach der 2018 erfolgten Beilegung eines langjährigen Namensstreits mit Griechenland wurde das Land im Februar 2019 umbenannt.

Nach der politischen Krise, die 2015 mit der Veröffentlichung von Mitschnitten abgehörter Telefongespräche durch die damalige Opposition ausgelöst worden war und die eine umfangreiche gesetzeswidrige Überwachung und weit verbreitete Korruption ans Licht gebracht hatte, setzte die im Mai 2017 gebildete Regierung die von der Europäischen Kommission geforderten Maßnahmen fort. Zu den prioritären Maßnahmen gehörten vor allem die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung des Rechts auf Privatsphäre und auf Meinungsfreiheit sowie die Unabhängigkeit der Justiz und die Beendigung der Korruption in der Regierung. 

Auch 2019 wurden ehemalige Minister_innen, Beamt_innen und Bedienstete der Regierung von der Sonderstaatsanwaltschaft (SJO) zur Rechenschaft gezogen. 

Im März wurde der ehemalige Chef des Geheimdienstes wegen Wahlkorruption zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Im April ergingen gegen 16 Polizeibedienstete und Beamt_innen der Abteilung für innere Sicherheit, darunter auch der ehemalige Polizeichef, Schuldsprüche wegen "Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung durch terroristische Handlungen", weil sie bei dem Anschlag auf oppositionelle Parlamentsabgeordnete im April 2017 konspiriert hatten. 

Im Dezember wurde gegen die ehemalige Leiterin der SJO Katica Janeva ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und der Annahme von Bestechungsgeldern eröffnet. Zur Entlastung der SJO wurden Maßnahmen vorgeschlagen, um bestimmte Fälle auf die normale Staatsanwaltschaft zu übertragen.

Die Medienfreiheit nahm allmählich zu, und die Zahl der tätlichen Angriffe auf Journalist_innen ging zurück.

Im Mai erließ das Parlament eine vorläufige Neufassung und Ergänzung der Steuergesetze, deren bisherige Fassung von der vorherigen Regierung bewusst falsch ausgelegt worden waren, um strafrechtlich gegen NGOs vorzugehen, die Gelder aus dem Ausland erhielten. 

Folter und andere Misshandlungen

Es wurden Maßnahmen gegen die seit langem bestehende Straflosigkeit bei Misshandlungen durch die Polizei ergriffen, darunter auch ein externer Überwachungsmechanismus. Bis März lagen der Staatsanwaltschaft 50 Anzeigen gegen Polizei- und Strafvollzugsbedienstete vor. 

Das bereits 2007 unterzeichnete Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen wurde noch immer nicht ratifiziert.

Diskriminierung

Im Mai wurden in das neue Gesetz zur Prävention und zum Schutz vor Diskriminierung auch die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität aufgenommen, nicht aber gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Am Ende des Jahres war noch kein Beschwerdeausschuss eingerichtet worden. 

Sowohl der Premierminister als auch das Oberhaupt der Islamischen Gemeinschaft wurden wegen homophober Äußerungen kritisiert. Vor der ersten Skopje Pride im Juni nahm die Zahl von Hassreden gegen LGBTI zu. 

Die Zahl von Hassreden und Hassverbrechen gegen Menschen anderer Ethnien, darunter ein im April vom Gericht als Mord eingestufter Fall, blieben auch 2019 unverändert hoch.

Die Roma waren in Bildungseinrichtungen, im Gesundheitswesen, bei der Suche nach einer Wohnung und nach einem Arbeitsplatz sowie beim Zugang zu Bars, Cafés und Geschäften noch immer Diskriminierung ausgesetzt. Rechtsbeistände berichteten von wiederholten Menschenrechtsverletzungen beim Kontakt mit der Polizei, bei den Eigentumsrechten und im Arbeitsrecht. Etwa 700 Roma besaßen noch immer keine Staatsbürgerschaft.

Sexuelle und produktive Rechte

Im Juli wurden mit einer Änderung des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch mehrere Hindernisse wie obligatorische Wartezeiten, die Verpflichtung zur Wahrnehmung von Beratungsangeboten und die Zustimmung des Ehegatten beseitigt und damit der Zugang zu Abtreibungen erleichtert. Mittel zur Empfängnisverhütung standen in den Zentren der gesundheitlichen Grundversorgung nicht zur Verfügung.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Zum 31. Dezember hatte das Innenministerium 40.887 ohne Erlaubnis eingereiste Flüchtlinge und Migrant_innen registriert. Von 490 Asylanträgen wurden 407 eingestellt; von 18 geprüften Anträgen wurden 17 abgelehnt; nur in einem Fall wurde subsidiärer Schutz gewährt. Etwa 47% der Anträge wurden von Flüchtlingen und Migrant_innen gestellt, die als Zeug_innen gegen Schleuser_innen rechtswidrig in der Ausländerhaftanstalt Gazi Baba unter unzulänglichen Bedingungen festgehalten wurden. Eine Frau aus den Emiraten, die vor häuslicher Gewalt floh, wurde aus Gazi Baba entlassen, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorläufige Maßnahmen angeordnet hatte.

Das Innenministerium setzte die Kollektivausweisungen nach Griechenland fort und schob 10.017 Personen zurück, die versucht hatten, nach Nordmazedonien einzureisen. Im Rahmen eines Abkommens mit der Europäischen Kommission wurde die Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX zusammen mit der Grenzpolizei eingesetzt. Personen, die um internationalen Schutz ersucht hatten, erklärten, sie seien nach Abnahme ihrer Fingerabdrücke und 24-stündigem Gewahrsam von FRONTEX rechtswidrig nach Griechenland zurückgeschoben worden; vier Personen erhielten von Beamt_innen der Grenzschutzagentur ausdrücklich die Information, sie könnten nicht um Asyl nachsuchen.

Die überwältigende Mehrheit der Fälle von Roma-Flüchtlingen aus dem Kosovo, die in den Jahren 2017-18 keinen Asylstatus erhalten hatten, wurde von den Verwaltungsgerichten abschlägig beschieden. Sie hatten gegen die Aberkennung ihres subsidiären Schutzstatus geklagt, wodurch sie jeden Rechtsstatus verloren hatten und der Gefahr einer Abschiebung ausgesetzt waren.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im September wies der Oberste Gerichtshof die Berufung der "Kumanovo-Gruppe" von 33 ethnischen Albanern, 16 davon aus dem Kosovo, gegen ihre Verurteilung wegen terroristischer Aktivitäten im Jahr 2017 zurück. Die Anklage hatte sich auf einen Vorfall im Mai 2015 bezogen, bei dem im Stadtteil Divo Naselje von Kumanovo acht Polizeibeamte getötet und 40 weitere verwundet worden waren; die Polizei hatte zehn ethnische Albaner getötet. Die Angeklagten brachten vor, dass die Konfrontation von der früheren Regierung inszeniert worden sei, und forderten eine internationale Untersuchung. 

Im Dezember schloss das Ministerkomitee des Europarates den Fall Khaled el Masri ab, obwohl die mazedonischen Behörden nicht, wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefordert, eine vollständige und wirksame strafrechtliche Untersuchung durchgeführt hatten. Der deutsche Staatsbürger war Ende 2003 nach seiner Festsetzung in Mazedonien rechtswidriger Inhaftierung, Verschwindenlassen, Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. 

Weitere Artikel