Amnesty Report Belarus 24. April 2024

Belarus 2023

Das Bild zeigt mehrere junge Menschen, die protestieren. Sie tragen rot-weiße Flaggen oder haben diese ungehängt.

Hunderte Menschen aus Belarus protestieren in der polnischen Hauptstadt Warschau gegen die Unterdrückung der Opposition in ihrem Heimatland (9. August 2023).

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit blieben weiter massiv eingeschränkt. Religiöse Minderheiten wurden diskriminiert und das Justizsystem dazu eingesetzt, kritische Stimmen zu unterdrücken. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor an der Tagesordnung und blieben meist ungeahndet. Die Behörden verletzten die Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen. Es wurde mindestens ein Todesurteil verhängt.

Hintergrund

Belarus sah sich 2023 zunehmend international isoliert. Nachdem die Regierung entschieden hatte, den Söldnern des privaten russischen Militärunternehmens Wagner-Gruppe Zuflucht zu gewähren und Russland taktische Atomwaffen auf seinem Hoheitsgebiet stationieren zu lassen, verschärften die EU-Nachbarländer ihre Grenzkontrollen.

Schätzungsweise 350.000 Menschen hatten das Land verlassen, seit die Regierung im Jahr 2020 scharf gegen Andersdenkende vorgegangen war. Dies führte zu einem Mangel an Arbeitskräften, weshalb die Behörden versuchten, viele zur Rückkehr zu zwingen, indem sie u. a. die Erneuerung von Reisepässen über Konsulate im Ausland aussetzten. 

Recht auf freie Meinungsäußerung

Das Recht auf freie Meinungsäußerung blieb auch 2023 stark eingeschränkt. Im Mai wurden Änderungen am Strafgesetzbuch vorgenommen, die es den Behörden noch einfacher machten, Menschen wegen "Verbrechen gegen den Staat" strafrechtlich zu verfolgen. Außerdem wurde die "Diskreditierung" der Streitkräfte und anderer Regierungstruppen wie Paramilitärs unter Strafe gestellt. 

Bücher und andere Druckerzeugnisse, die nach Ansicht der Behörden "extremistische Inhalte" aufwiesen, waren weiterhin verboten. Jeden Monat wurden Dutzende Personen unter dem Vorwurf festgenommen, sie hätten "extremistische" Telegram-Kanäle abonniert.

Im Januar 2023 wurde Darya Losik wegen "Unterstützung extremistischer Aktivitäten" zu zwei Jahren Haft verurteilt. Grundlage war ein Interview, das sie 2022 dem Fernsehsender Belsat gegeben hatte und in dem sie ihren Ehemann, den gewaltlosen politischen Gefangenen Ihar Losik, als "politischen Gefangenen" bezeichnet und seine Unschuld beteuert hatte.

Gerichte verurteilten Menschen weiterhin wegen "Beleidigung" von Staatsbediensteten, "Diskreditierung staatlicher Institutionen und Symbole" oder "Anstachelung zu gesellschaftlicher Feindseligkeit und Feindschaft".

Im Mai 2023 wurde der Kulturschaffende Pavel Belavus in vier Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu 13 Jahren Haft und einer Geldstrafe von 18.500 Belarus-Rubel (etwa 5.000 Euro) verurteilt. Er stand u. a. wegen Hochverrats und "Leitung einer extremistischen Gruppierung" vor Gericht. Ihm wurde zudem vorgeworfen, "eine Auffassung des belarussischen Nationalismus zu verbreiten, die zum Ziel hat, die Staatsmacht zu stürzen". 

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die Behörden gingen 2023 noch schärfer gegen unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen, NGOs und Berufsverbände sowie Angehörige ethnischer und religiöser Gemeinschaften vor. Mit Blick auf die Parlaments- und Kommunalwahlen 2024 wurde allen zwölf Oppositionsparteien die Zulassung entzogen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen wurden unter dem willkürlichen Vorwurf des "Extremismus" geschlossen. Die nur noch vom Ausland aus tätige Menschenrechtsorganisation Viasna, der bereits 2003 die Registrierung entzogen worden war, wurde im August 2023 als "extremistische Gruppierung" eingestuft.

Einzelpersonen wurden wegen mutmaßlicher "Finanzierung extremistischer Aktivitäten oder Organisationen" festgenommen. Kiryl Klimau erhielt eine vierjährige Gefängnisstrafe, weil er sechs Spenden in Höhe von je 10 US-Dollar (etwa 9 Euro) an Wohltätigkeitsorganisationen getätigt hatte, die sich für die Opfer politischer Unterdrückung einsetzen. 

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Ab Oktober 2023 mussten sich unter einem neuen repressiven Gesetz alle religiösen Organisationen neu registrieren lassen, ansonsten drohte ihnen die Schließung.

Die Repressalien gegen katholische Priester gingen weiter. Ab dem 31. Mai 2023 wurde der Katechismus-Lehrer Uladzislau Belayed dreimal hintereinander für jeweils 15 Tage wegen "Verbreitung extremistischen Materials" inhaftiert. Sicherheitskräfte durchsuchten die katholische Kathedrale in der Hauptstadt Minsk, in der er tätig war, und traktierten Berichten zufolge mehrere Priester mit Schlägen. 

Die Pfingstgemeinde Neues Leben wurde von den Behörden weiterhin verfolgt. Im Juni 2023 wurde ihr Kirchengebäude abgerissen, und im August stufte man zwei Internetbeiträge der Kirche aus dem Jahr 2020, in denen sie Gewalt gegen friedliche Protestierende anprangerte, als "extremistisch" ein. Zudem wurden zwei Pastoren festgenommen. Im Oktober 2023 entschied das Stadtgericht von Minsk, die Kirche wegen "extremistischer Aktivitäten" zu liquidieren. Diese Entscheidung wurde im Dezember für rechtskräftig erklärt.

Recht auf friedliche Versammlung

Das Recht auf friedliche Versammlung blieb auch 2023 stark eingeschränkt. Drei Jahre nach den Protesten von 2020 verfolgten die Behörden weiterhin sowohl diejenigen, die damals friedlich an Demonstrationen teilgenommen hatten, als auch Personen, die die Proteste z. B. mit Spenden unterstützt hatten, und verurteilten sie auf der Grundlage konstruierter Anklagen zu Haftstrafen.

Unfaire Gerichtsverfahren

Die Behörden bedienten sich auch 2023 des Justizsystems, um gegen Andersdenkende vorzugehen. Ins Visier gerieten u. a. Oppositionelle, Menschenrechtler*innen und Anwält*innen. Im März 2023 wurden die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja (Sviatlana Tsikhanouskaya) und ihre Verbündeten Pawel Latuschka (Pavel Latushka), Maryja Maros (Maria Maroz), Wolha Kawalkowa (Volha Kavalkova) und Sjarhej Dyleuski (Siarhei Dyleuski) wegen konstruierter Anklagen in Abwesenheit zu Haftstrafen zwischen 12 und 18 Jahren verurteilt. Gerichtliche Anhörungen wurden nach wie vor häufig hinter verschlossenen Türen abgehalten.

Rechtsbeistände, die Opfer politischer Verfolgung verteidigten, gerieten auch 2023 ins Visier der Behörden. Eine Menschenrechtsgruppe berichtete, dass mindestens zehn Anwält*innen inhaftiert wurden und mehr als 100 ihre Lizenz abgeben mussten bzw. keine neue Zulassung erhielten, um sie so für ihre beruflichen Tätigkeiten zu bestrafen.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen waren 2023 nach wie vor an der Tagesordnung, und die Verantwortlichen gingen straflos aus. Gefängnisinsass*innen, die aufgrund politisch motivierter Anklagen für schuldig befunden worden waren, wurden unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten. So hatten sie häufig keinen Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung oder ihren Familienangehörigen und durften sich nicht im Freien bewegen. Monatelang gab es keine Informationen über den Verbleib oder Gesundheitszustand von Sergej Tichanowski, Maria Kolesnikowa, Ihar Losik, Maksim Znak, Mikalaj Statkewitsch, Viktar Babaryka und anderen inhaftierten Aktivist*innen, Journalist*innen und Politiker*innen.

Im Juli 2023 starb der inhaftierte Künstler Ales Puschkin in Grodna an einem perforierten Geschwür. Er war aufgrund haltloser Vorwürfe zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Die Behörden hinderten Menschenrechtsverteidiger*innen weiterhin an der Ausübung ihrer Tätigkeit und gingen u. a. mit willkürlichen Inhaftierungen gegen sie vor.

Im März 2023 wurden drei Mitglieder der Menschenrechtsorganisation Viasna wegen konstruierter Vorwürfe zu Haftstrafen verurteilt: Ales Bialiatski erhielt eine zehnjährige Gefängnisstrafe, Valiantsin Stefanovic wurde zu neun Jahren Haft verurteilt, und Uladzimir Labkovich erhielt eine siebenjährige Freiheitsstrafe.

Die Menschenrechtsverteidigerin Nasta Loika wurde im Juni 2023 in einem nichtöffentlichen Gerichtsverfahren wegen konstruierter Anklagen zu sieben Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Ihr Name wurde auf die "Liste der an terroristischen Handlungen beteiligten Organisationen und Personen" gesetzt.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die belarussischen Behörden zogen weiterhin Flüchtlinge und Migrant*innen an, indem sie vorgaben, diese könnten aus Belarus ganz leicht in die EU weiterreisen. Sobald diese Menschen im Land waren, wurden sie gezwungen, die Grenze nach Polen, Litauen oder Lettland zu überqueren, von wo aus sie häufig wieder zurückgeschoben wurden. Flüchtlinge und Migrant*innen waren an der Grenze häufig Folter und anderen Misshandlungen durch belarussische Grenzposten ausgesetzt.

Todesstrafe

Es erging mindestens ein Todesurteil, Hinrichtungen wurden jedoch keine bekannt. 

Neue Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, die im Mai 2023 verabschiedet wurden, dehnten den Anwendungsbereich der Todesstrafe wegen Hochverrats auf "Funktionäre in Verantwortungspositionen", Staatsbedienstete und Militärangehörige aus.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) überstieg die vor allem auf Kraftfahrzeugemissionen zurückgehende Luftverschmutzung durch Feinstaub in Belarus den von der WHO empfohlenen Grenzwert um das Dreifache und war für 18 Prozent der Todesfälle durch Schlaganfälle oder ischämische Herzkrankheiten verantwortlich. Die Klimapolitik der belarussischen Regierung wurde den Verpflichtungen des Landes aus dem Pariser Klimaabkommen nicht gerecht.

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