Amnesty Journal Vereinigte Staaten von Amerika 15. Januar 2024

"Stop Cop City"

Ein fröhlicher und lachender kleiner Junge in einem Farbnebel, er wirft mit Farbpulver aus einem Becher, er trägt T-Shirt, Hose und kurze Haare.

Im US-Bundesstaat Georgia protestiert ein breites Bündnis aus Umweltaktivist*innen, Antirassist*innen, Anwohner*innen und Indigenen der Muskogee gegen den Bau einer Ausbildungs- und Trainingsanlage der Polizei. Ein Aktivist wurde von der Polizei erschossen, 61 Angeklagte stehen vor Gericht.

Von Carl Melchers

Das Repressionslevel bleibt hoch: Am 13. November verschärfte die Polizei in Atlanta, Georgia, abermals ihre Gangart gegenüber all jenen Menschen, die gegen den Bau einer umstrittenen Trainingsanlage für Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte protestieren. In diesem ungleichen Kräftemessen trat die Polizei zuletzt in martialischer Kampfmontur auf und setzte Tränengas, Pfeffergeschosse und Blendgranaten gegen etwa 400 teils vermummte Demonstrant*innen ein, die sich notdürftig mit Gasmasken und Regenschirmen schützten. Auf den Straßen patrouillierten Polizeikräfte in gepanzerten Fahrzeugen, ausgestattet mit Sturmgewehren und Aufnähern, auf denen "Scharfschütze" stand.

Seit mehr als zwei Jahren kämpft ein Bürgerbündnis gegen den Bau des geplanten Public Safety Training Centers. Es soll auf 35 Hektar Fläche im Waldgebiet des malerischen South River Forest in DeKalb County im Südosten der US-Metropole Atlanta entstehen und 90 Millionen Dollar (82 Millionen Euro) kosten. Die Anlage umfasst Hallen, Klassenzimmer sowie einen sogenannten Übungsstadtteil mit Apartments, einer Bar und einer Schule. Zudem soll ein Schießstand integriert werden. All das soll im Herbst 2024 fertig sein.

Vertreibung der Muskogee im 19. Jahrhundert

Die Protestbewegung nennt den Wald lieber Weelaunee, so wie ihn die Muskogee-Ureinwohner*innen immer nannten. Diese siedelten in der Gegend, bevor US-Präsident Andrew Jackson sie in den 1830er Jahren zwang, aus dem Südwesten der USA nach Oklahoma umzusiedeln, damit auf dem geraubten Land Plantagen entstehen konnten, auf denen versklavte Afroamerikaner*innen in sengender Hitze Baumwolle pflücken mussten. Im 20. Jahrhundert entstand auf dem Gelände dann ein Gefängnis mit angeschlossener landwirtschaftlicher Nutzfläche. Das Gelände des Public Safety Training Centers ist somit auch stark geprägt von einer Geschichte des Rassismus und der Vertreibung der amerikanischen Ureinwoh­ner*in­nen.

Die Befürworter*innen des Projekts argumentieren, dass der Bau dringend notwendig sei, um eine veraltete und unzureichende Ausbildungsinfrastruktur zu ersetzen und der Polizei bei der Rekrutierung von Anwärter*innen zu helfen. Zu den Befürworter*innen zählen sowohl die republikanische Regierung des Bundesstaats als auch der demokratische Bürgermeister von Atlanta, Andre Dickens. 

Die Gegner*innen warnen davor, dass der Bau von "Cop City", wie sie die Anlage spöttisch nennen, zu zahlreichen Umweltschäden führe. Außerdem werde die Anlage die Probleme in den angrenzenden, überwiegend von Afroamerika­ner*in­nen bewohnten Stadtvierteln erheblich verschärfen. Städtisches Geld, das in die Trainingsanlage fließe, fehle in diesen Stadtteilen und verschlechtere deren Lage. Diese seien jetzt schon benachteiligt und finanziell schlecht gestellt.

Zudem besteht die Sorge, dass "Cop City" zu einer verstärkten Militarisierung der Polizei führen könnte. Die Internetseite der Kampagne "Stop Cop City" gibt an, die Anlage diene dazu, Polizist*innen in Bereichen urbaner Kriegsführung sowie Aufstandsbekämpfung auszubilden. Die Aktivist*innen befürchten, dass die in der Anlage geschulten Einsatzkräfte in ärmeren Gegenden oder gegen soziale Bewegungen eingesetzt werden könnten; eine Besorgnis, die durch die rabiaten Einsätze der Polizei seit Beginn der Proteste immer wieder neue Argumente ­bekommt.

Mit erhobenen Armen erschossen

Die Bewegung "Stop Cop City" umfasst mittlerweile Menschen aus dem ganzen Land und aus dem Ausland. Sie ist vielfältig, dezentral organisiert und versammelt Gruppen von Umweltschützer*innen, Aktivis­t*innen gegen rassistische Polizeigewalt sowie Anwohner*innen, die sich für den Schutz ihres Naherholungsgebiets einsetzen. Auch Vertreter*innen der Muskogee nehmen an den Protesten teil. Kamau Franklin, Mitgründer der stadt­politischen Community Movement Builders, betonte gegenüber Amy Goodman vom Rundfunksender Democracy Now: "Seit ihren Anfängen hat die Bewegung einen enormen Wirkungsbereich." Seine Organisation entstand im Jahr 2020 als Reaktion auf den Tod George Floyds in Minneapolis und andere Fälle rassistischer Polizeigewalt und schloss sich der landesweiten Protestbewegung "Black Lives Matter" an.

Der Aktivist Kamau Franklin, ein Afroamerikaner mit graumeliertem kurzen Haar, hält ein Megafon und spricht zu einer Gruppe von Demonstrant*innen.

Polizeigewalt gegen die Protestbewegung gehört in Atlanta zum Alltag. Zu einer Demonstration am 13. November reisten sogar die Eltern von Manuel Esteban Paez Terán – auch als "Tortuguita" bekannt – aus Panama an. "Tortuguita", 26 Jahre alt und im Umweltschutz aktiv, wurde am 18. Januar 2023 während der Räumung eines Protestcamps auf dem Gelände von "Cop City" mit 57 Kugeln getötet. Die Polizei behauptet, Terán sei bewaffnet gewesen und habe auf die Beamt*innen geschossen, ein ­Beamter sei verletzt worden. Eine Lüge, sagen viele, die gegen "Cop City" protestieren. Die demokratischen Kongressabgeordneten Cori Bush und Rashida Tlaib schrieben im September in der Zeitschrift The Nation, dass Körperkamera-Aufnahmen des Polizeieinsatzes darauf hindeuten, dass ein Beamter einen anderen angeschossen habe. Die Autopsie ergab, dass Terán die Arme erhoben hatte. "Tortuguitas" Hände wiesen keine Schmauchspuren auf. 

Abgebrochene bunt bemalte Betonplatten, die zu einer provisorischen Gedenkstätte zusammengestellt wurden; auf einer davon liegt ein Foto eines jungen lächelnden Mannes, Trinkflaschen sind um einen Stein aufgestellt, oben auf dem Gedenkstein liegen kleine Messinglocken.

Doch die Justiz zog ihre eigenen Schlüsse. Am 5. September erhob Georgias Generalstaatsanwalt Chris Carr Anklage gegen 61 Personen nach dem RICO-Gesetz (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations) des Bundesstaates, das eigentlich zur Bekämpfung organisierter Kriminalität vorgesehen ist. Demnach handelt es sich beim Protest gegen das Trainingsgelände um eine kriminelle Verschwörung, die schon beim Produzieren und Verteilen von Flugblättern beginnt. Hinzu kämen Verstöße gegen das Vermummungsverbot, Gewalt gegen Polizist*innen und Fälle von Brandstiftung.

Bis zu 20 Jahren Gefängnis

Carr, der im Juli seine Kandidatur für den Gouverneursposten ankündigte, inszeniert sich dabei als unnachgiebiger Verfechter im Kampf gegen "gewalttätige Extremisten" und "Anarchisten". Seit Mitte November stehen die Angeklagten vor Gericht. Ihnen drohen möglicherweise dra­konische Strafen von bis zu 20 Jahren Gefängnis. Drei Organisatoren von Kautionsfonds für vorübergehend inhaftierte Protestierende wurden zudem wegen Geldwäsche angeklagt, fünf Personen wird sogar inländischer Terrorismus zur Last gelegt. 

Menschen protestieren in einem Wald, die erste Reihe von ihnen trägt ein Banner mit der Aufschrift "Defend the forest, defund the police"

Dabei erweist es sich als praktisch, dass das Abgeordnetenhaus von Georgia im Jahr 2017 ein Gesetz über inländischen Terrorismus verschärft hat. Demnach ist Inlandsterrorismus nicht mehr nur auf strafbare Handlungen beschränkt, die darauf abzielen, Menschen zu töten oder zu verletzen. Das verschärfte Gesetz umfasst seither auch vage gehaltene Eigentumsdelikte.

Eine Vielzahl von Menschen- und Bürgerrechtsgruppen sowie Umweltschutzorganisation, darunter Amnesty International, Greenpeace und "Black Lives Matter", wandten sich in einem offenen Brief an Generalstaatsanwalt Carr und forderten ihn eindringlich auf, die Anklage gegen die Aktivist*innen der "Stop Cop City"-Bewegung fallen zu lassen. Kritisch bemerken sie, dass einige der Angeklagten einander zuvor noch nie begegnet seien und keinerlei Aktivitäten gemeinsam ­koordiniert hätten. Die Verbindung zwischen den Angeklagten sei rein ideell. ­Gemeinsame Ideen und Vorstellungen stünden jedoch unter dem Schutz des ­ersten Verfassungszusatzes, der die Versammlungs-, Rede- und Pressefreiheit schützt. Die Anklage unternehme den absurden Versuch, "verschiedene Proteste zu einem Komplott zusammenzufassen, nur weil sie ähnliche Ziele verfolgen". Die Logik der Anklageschrift könne, so die warnende Schlussfolgerung, einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der künftig jede soziale Bewegung zur Zielscheibe von Kriminalisierung mache. 

Die fortwährenden Proteste gegen "Cop City" und die rigiden Gegenmaßnahmen machen die zusehends tiefer werdenden Risse zwischen staatlicher ­Autorität und dem Recht auf legitimen Protest in den USA deutlich sichtbar. Der Schutz grundlegender Bürgerrechte ist in Gefahr.

Carl Melchers ist Politologe und freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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