Amnesty Journal Ukraine 22. Februar 2024

„Diese Gruppen werden vernachlässigt“

Eine Mitarbeiterin von Amnesty, sie trägt eine Brille, das Haar bis in den Nacken, sie sitzt an einem Tisch, spricht in ein Mikrofon, neben ihr ein Wasserglas, hinter ihr das Amnesty-Symbol der Kerze groß an der Wand.

Laura Mills vom Crisis-Response-Team (Dezember 2023)

Laura Mills arbeitet in einem Team von Amnesty International, das sich mit Menschenrechten in Krisengebieten beschäftigt. Seit dem russischen Angriff untersucht sie vor allem die Auswirkungen des Krieges auf ältere Menschen und Personen mit Behinderungen in der Ukraine.

Interview: Parastu Sherafatian

Was genau macht das "Crisis Response Team"?

Wir sind spezialisiert auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unser Team besteht aus Ermittler*innen und dem "Evidence Lab", also einem Labor, das Video- und Fotomaterial aus Krisengebieten analysiert und verifiziert. Diese Kolleg*innen machen eine unglaubliche Detailarbeit, und das aus der Ferne. Wir Ermittler*innen arbeiten entweder in den Regionalbüros von Amnesty oder auch direkt am Ort einer Krise oder eines Krieges. Teil meiner Arbeit ist es, Interviews mit Betroffenen zu führen und diese in Berichten zu dokumentieren. 

Warum wollten Sie ausgerechnet in diesem Team arbeiten? 

Mich hat der übergreifende Ansatz des Teams überzeugt. Es gibt dort ein Verständnis für verschiedene Perspektiven, und es gibt spezifische Blicke auf selten beleuchtete Aspekte von Konflikten. Ich war zuvor Auslandskorrespondentin in Russland und musste mich mit ständig wechselnden Themen befassen. Jetzt kann ich mich tiefer und länger mit menschenrechtlichen Herausforderungen beschäftigen. 

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs liegt ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit auf vernachlässigten Gruppen wie älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen. Wie kam es dazu? 

Als ich mich 2021 dem Team anschloss, also noch vor dem Krieg in der Ukraine, gab es dort bereits das Ziel, bei unserer Arbeit zu Konflikten und Kriegen diesen Gruppen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Schon damals war klar, wie groß die Probleme dieser Menschen in bewaffneten Konflikten sind und dass sie vernachlässigt werden. Das wird mir auch heute noch bei jedem einzelnen Gespräch vor Ort bewusst.

Kurzdokumentation zum Thema

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Können Sie sich in Konfliktgebieten sicher bewegen?

Wir haben Sicherheitsregeln und achten bei jedem Einsatz darauf, dass das Risiko für uns und für die Personen, mit denen wir vor Ort sprechen, möglichst gering ist. Wir achten außerdem darauf, dass wir stets und überall kommunizieren können, deshalb haben wir neben unseren Mobiltelefonen auch Satellitentelefone bei uns. Im Fall der Ukraine haben wir Kiew zu Beginn vermieden, weil es ein Hochrisikogebiet war. Mittlerweile ist die Arbeit vor Ort aber weniger eingeschränkt.

Belastet Sie die Arbeit?

Die Begegnung mit Menschen, die viel Leid erfahren haben, kann zweifellos eine emotionale Belastung darstellen. Ich habe für mich Wege gefunden, damit umzugehen. Die eigentliche Belastung erfahren die Ukrainer*innen und insbesondere ältere Menschen und Personen mit Behinderungen. Anders als ich können sie das Land oftmals nicht verlassen und sind dem Konflikt täglich ausgesetzt. 

Gibt es einen Fall, der Sie besonders bewegt hat?

Zutiefst eindrücklich war meine Begegnung mit Halyna, einer Frau mit Zerebralparese. Sie spielt auch in einer von uns produzierten Kurzdokumentation eine wichtige Rolle. Ab Kriegsbeginn war sie in einem Heim untergebracht, wurde dort aber leider nicht gut behandelt. Wir haben ihr geholfen, das Heim zu verlassen, und jetzt lebt sie in Hannover. Ihre Widerstandsfähigkeit und ihre Entschlossenheit, für die eigenen Rechte zu kämpfen, haben mich beeindruckt. 

Parastu Sherafatian ist Mitarbeiterin der Pressestelle von Amnesty International in Deutschland.
Hier geht es zu einem Amnesty-Bericht zum Thema.

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