Amnesty Journal 16. Oktober 2023

Der Repression zum Trotz

Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch am Laptop vor einem Whiteboard, das eng beschrieben ist. Neben ihm sitzt jemand, Wasserflaschen aus Plastik stehen auf dem Tisch.

Ob im Iran, in Saudi-Arabien oder Ägypten, die Pressefreiheit im Nahen Osten und in Nordafrika ist schlechter als in anderen Weltregionen. Journalist*innen riskieren überwacht, inhaftiert oder sogar getötet zu werden – und berichten trotzdem weiter.

Von Hannah El-Hitami

Wer auf der Rangliste der Pressefreiheit nach den Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas sucht, muss ganz nach unten scrollen. Dort, im letzten Zehntel der insgesamt 180 Staaten, finden sich gleich mehrere Länder der Region: Schlechter als im Iran geht es Journa­lis­t*in­nen nur in Vietnam, China und Nordkorea. Kriegsländer wie Syrien und Jemen liegen auf den Plätzen 175 und 168.

Doch auch in Ländern ohne bewaffnete Konflikte sind Leben und Freiheit von Medienschaffenden bedroht: Saudi-Arabien, das vor fünf Jahren den oppositionellen Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat in Istanbul ermorden ließ, besetzt den 170. Platz. In Ägypten wurden Medienschaffende inhaftiert, im Iran vor Gericht gestellt, aus Katar deportiert. Bahrain und Irak liegen im Ranking ebenfalls ganz weit hinten.

Weltweit gefährlichste Region

Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat die Region daher zum wiederholten Male als weltweit gefährlichste Region für Journalist*innen bezeichnet. In mehr als der Hälfte der Staaten ist die Lage "sehr ernst", auch der Rest schneidet schlecht ab. Doch trotz der grassierenden Unterdrückung gibt es auch positive Entwicklungen, die zeigen, dass der Mut der Zivilgesellschaft zusammen mit internationaler Solidarität immer wieder einen Unterschied machen kann.

Journalist*innen, die über Krisen, Gewalt und Konflikte berichten, müssen oft genau dort hingehen, wo andere weg wollen. Sie begeben sich an gefährliche Orte, um dem Rest der Welt zu zeigen, was dort passiert. Ohne sie würden viele Verbrechen ungesehen und unbeachtet bleiben, doch riskieren sie dabei oft ihr Leben. Im Mai 2022 wurde die palästinensische Journalistin Shireen Abu Akleh von israelischen Soldaten erschossen, während sie für den Sender Al Jazeera über eine Razzia des Militärs in Jenin berichtete. Obwohl sie eine blaue Schutzweste mit der Aufschrift "Presse" trug, schossen die Soldaten immer wieder in die Richtung Abu Aklehs und ihrer Kolleg*innen.

Der Tod einer der bekanntesten und beliebtesten Journalistinnen der arabischen Welt löste weltweit Trauer und Wut aus, insbesondere nachdem israelische Sicherheitskräfte auch den Trauerzug zu Ehren Abu Aklehs in Jerusalem zwei Tage später gewaltsam angriffen. Abu Aklehs Fall mag der bekannteste sein, leider ist er aber nicht der einzige. Laut verschiedenen internationalen Organisationen wurden in den vergangenen 22 Jahren mindestens 18 palästinensische Journalist*innen von israelischen Militärs getötet.

Berichte, die Revolutionen auslösen

Warum autoritäre Regime Medienschaffende so fürchten, zeigt sich unterdessen im Iran: weil ihre Berichte Grundlage für Revolutionen sein können. Ende Mai klagte die iranische Justiz die Journalistinnen Niloofar Hamedi und Elaheh Mohammadi an. Sie gehörten zu den ersten, die im Herbst 2022 über den Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini berichteten. Die junge Frau war im September festgenommen worden, weil sie gegen die streng religiösen Kleidungsvorschriften verstoßen hatte, in Polizeigewahrsam war sie kurz darauf gestorben. Ihr Fall löste landesweite Demonstrationen aus, die sich zu den größten Massenprotesten gegen das Regime seit 2009 entwickelten.

Nun wirft die Justiz den Journalistinnen Hamedi und Mohammadi vor, ausländische Agentinnen zu sein und die Proteste bewusst ins Rollen gebracht und gegen die nationale Sicherheit verstoßen zu haben. Weitere 70 Journalist*innen, darunter viele Frauen, wurden während der Unruhen festgenommen. Selbst Medienschaffende im Ausland wurden nach Angaben von Reporter ohne Grenzen online belästigt oder mit dem Tod bedroht.

Bessere Nachrichten kommen aus dem kleinen Golfstaat Katar. Der rückte auf dem Index der Pressefreiheit um 15 Plätze nach oben und ist mit Platz 105 von 180 der am besten bewertete Staat der ­Region. Zwar nahm Katar mit Al Jazeera schon immer eine Sonderrolle in der arabischen Welt ein. Der vom Königshaus ­finanzierte Sender berichtet seit vielen Jahren kritisch über politische Entwicklungen in der Region und ist für das arabischsprachige Publikum eine ­Alternative zu staatlicher Propaganda und Zensur.

WM 2022: Ausbeutung von Gastarbeiter*innen

Über Missstände im eigenen Land zu berichten, war und ist für Journalist*innen in Katar jedoch ebenso schwierig wie in den Nachbarländern. Ein Thema, für das Journalist*innen immer wieder inhaftiert oder deportiert wurden, war die Kritik an der Ausbeutung von Gastarbei­ter*in­nen im Land. Da diese aber im Zuge der Fußball-WM der Männer im Jahr 2022 in den internationalen Fokus rückte und Katar insgesamt im Scheinwerferlicht stand, verbesserten sich die Bedingungen für eine kritische Berichterstattung im Land ein wenig.

Auch die ägyptische Regierung lege Wert auf ihr internationales Image, sagt Amnesty-Experte Hussein Baoumi. "Eine komplette Schließung aller unabhängigen Medien wäre zu aufwändig." Gleichzeitig unterbindet die Militärregierung unter General Abdel Fattah Al-Sisi seit dem Putsch 2013 fast jede kritische Berichterstattung im Land durch Verschwindenlassen, Überwachung, Einschüchterung, Zensur und Inhaftierung. 20 Journalist*innen sitzen derzeit in Ägypten im Gefängnis.

Der Staat konstruiert immer wieder Vorwürfe, um jene vor Gericht zu bringen, die kritisch berichten: Drei Journalistinnen der Online-Zeitung Mada Masr wurden im März unter anderem beschuldigt, "Falschnachrichten zu verbreiten", "Mitglieder des Parlaments zu beleidigen" und "eine unlizenzierte Website zu betreiben". Sie hatten über Korruption in der Regierungspartei berichtet.

Starke journalistische Community

Seit Jahren wird Mada Masr regelmäßig von den ägyptischen Behörden schikaniert: 2019 wurden die Büros der Redaktion durchsucht und geschlossen, die Website ist schon seit sechs Jahren gesperrt. Die Chefredakteurin Lina Attalah wurde 2020 festgenommen, als sie die Mutter eines prominenten politischen Gefangenen interviewte. Dennoch hat Mada Masr es geschafft, sich als einzige unabhängige Nachrichtenplattform in Ägypten zu halten. Wer ihre Artikel im Land lesen möchte, muss allerdings einen VPN-Zugang nutzen.

Trotz aller Repression hat Ägypten eine starke journalistische Community. Das zeigte sich im März bei der Wahl zum Vorsitz des Journalist*innenverbands. Völlig unerwartet gewann ein unabhängiger Kandidat und setzte sich damit gegen elf regimenahe Konkurrenten durch. Der Verband hat großen Einfluss auf die Medienlandschaft und die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen. Vor 2013 war der Sitz der Organisation als Ort kontroverser Debatten und Ausgangspunkt politischen Protests bekannt.

Die Wahl des kritischen Journalisten Khaled El-Balshy wurde in oppositionellen Kreisen mit ungläubiger Euphorie aufgenommen. Auf El-Balshy und den nun mehrheitlich unabhängigen Verbandsvorstand kommt viel Arbeit zu, wenn sie es schaffen wollen, die Pressefreiheit in Ägypten wiederzubeleben. Sein Sieg macht aber deutlich, dass ­Ägyptens Journalist*innen den Kampf um die Pressefreiheit im Land noch nicht aufgegeben haben.

Hannah El-Hitami ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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