Amnesty Journal 01. November 2021

Wettlauf gegen die Sanduhr

Vogelperspektive auf eine Landschaft in Senegal, deren Boden aus Sand ist und wo Bäume wachsen, die sich bis zum Horizont erstrecken.

Diese Parzelle in Widou Thiengoly, Senegal, wurde 2009 im Rahmen der UN-Initiative "Action Against Desertification" begrünt und erstreckt sich über 2.300 Hektar.

Die Great Green Wall quer durch Afrika sollte die Ausbreitung der Wüsten aufhalten. So einfach wird es nicht, auch wenn im Senegal bereits zwölf Millionen Bäume gepflanzt wurden.

Von Stefan Borghardt

Einen 8.000 Kilometer langen Grünstreifen quer durch den afrikanischen Kontinent zu pflanzen, klingt utopisch. Doch angesichts der alarmierenden Wüstenbildung haben die Regierungen der Sahelstaaten Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria, Tschad, Sudan, Eritrea, Äthiopien und Dschibuti einen Masterplan entworfen. Ihr großes Ziel: die Great Green Wall.

Wer auf einem Klimagipfel vollmundig Botschaften von Ambitionen, Meilensteinen und Vorreiterrollen verbreitet, erweckt schnell den Eindruck, das Klimathema allenfalls als Gelegenheit zu begreifen, sich und den jeweiligen Parteikolleg_innen selbstgerecht auf die Schulter zu klopfen. Jenseits von Geltungsdrang, dort wo die unmittelbaren Folgen der Klimakrise wie Küstenerosion und Desertifikation längst hautnah zu spüren sind, müssen reale Antworten entwickelt werden – nicht im Glauben, die Veränderungen noch aufhalten zu können, sondern unter der Prämisse, gemeinsam mit der Bevölkerung alternative Überlebensmodelle zu entwerfen.

Immer längere Trockenzeiten

Die Straßen in der senegalesischen Dornbuschsavanne sind wie leergefegt. Packesel beherrschen das Terrain. "Weil 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung von der Viehhaltung leben, ist der Druck auf die Weideflächen sehr groß", erklärt El Hadj Goudiaby von der Nationalen Behörde für Gewässer und Wälder. Die nördliche Region Ferlo ist seit jeher Heimat der halbnomadischen Bevölkerungsgruppe der Fulani. "Durch die geringen ­Regenfälle konnten im vergangenen Jahr etwa 20 Kinder das Schuljahr nicht beenden", klagt Ibrahima Diawara, der die Grundschule von Mbar Toubab leitet. Das liege an der Wanderweidewirtschaft, erklärt er. Aufgrund der immer länger an­dauernden Trockenperioden sind die Hirten gezwungen, ihre Zyklen anzupassen, und müssen mit ihren Familien immer ­weitere Strecken zurücklegen.

Ein afrikanischer Mann sitzt in einem Büro an einem Schreibtisch, an der Wand hängen ein Telefon und ein Kalender, auf Regalen liegen Mappen mit Papieren.

"Glücklicherweise ist das Gebiet stabil, in dem die Great Green Wall den Senegal durch- quert. Es gibt keinen Krieg, keine Dschihadisten und keine Rebellen – es ist eine friedliche Gegend. Deshalb sind wir im Senegal bereits ein bisschen weiter als Länder wie Mali, Niger und Burkina Faso." Aliou Guisse, Professor für Pflanzenbiologie an der Sheikh Anta Diop-Universität in Dakar.

Im Austausch mit Goudiaby und der Gemeinde entstand deshalb die Idee, sogenannte Futterbanken anzulegen. Ausgewählte Forstparzellen werden eingezäunt, um den Graswuchs vor Wildtieren zu schützen und mit Futtermitteln für die Trockenzeit vorzusorgen. "Ich will den Menschen nicht den Weidewechsel abgewöhnen", betont Goudiaby, "sondern sicherstellen, dass mittellose Hirten bleiben und unsere Vorräte nutzen können."

Traditionelle und innovative Ansätze

Mit bereits mehr als zwölf Millionen gepflanzten Bäumen hat der Senegal innerhalb der panafrikanischen Initiative eine Schrittmacherfunktion übernommen. Bei der Aufforstung werden sowohl traditionelle als auch innovative Ansätze erprobt. Entlang des Senegal-Flusses werden derzeit Palmoasen angelegt, und in Kürze soll die Bewässerung erster Parzellen unter Anwendung eines Hydrogels getestet werden, das große Mengen an Wasser speichern und vor Verdunstung schützen soll.

Ein Meer aus Setzlingen der arabischen Gummiakazie und der indischen Jujube, die sich als besonders resistent gegen die extreme Trockenheit erwiesen haben, taucht die Baumschulen in ein saftiges Grün. Doch solange der erste Regenschauer auf sich warten lässt, können die Schösslinge nicht in den Boden. Mignane Sarr von der UN-Initiative "Action Against Desertifi­cation" zeigt sich besorgt: "Die Pflanzen haben ihre Wurzeln ­bereits voll ausgeprägt. Wenn wir noch länger warten müssen, werden sie enorme Schwierigkeiten haben, sich an die neue ­Umgebung anzupassen. Wir rechnen deshalb leider mit einer hohen Mortalität."

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Während Goudiaby im Sommer 2010 noch üppige 818 Millimeter Niederschlag gemessen hat, liegen die jüngsten Werte bei gerade einmal 250. Selbstverständlich betreffe die Erderwärmung uns alle, stellt Goudiaby klar und fordert: "Deshalb müssen wir diese Aufgabe gemeinsam lösen – und zwar nach dem Verursacherprinzip: Wer verschmutzt, der zahlt." Er halte aber nichts davon, dass jemand von außen komme, um das Projekt weiterzuentwickeln: "Die Bevölkerung muss wissen, dass sie selbst Verantwortung übernehmen und Lösungen für ihre Probleme finden kann."

Stefan Borghardt ist freier Fotojournalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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