Amnesty Journal 25. Februar 2020

Zu Wasser, zu Lande und in der Luft

Porträt von zwei jungen Menschen. Im Hintergrund ist eine bunte Wand mit Graffiti.

Vier Beispiele für kriminalisierte Solidarität mit Geflüchteten in Europa – aus Frankreich, Irland, Griechenland und der Schweiz.

 

Der Bauer aus den Alpen – Cédric Herrou (Frankreich)

Der Olivenbauer Cédric Herrou ist in Frankreich für viele Menschen ein Symbol für den Widerstand gegen ein ungerechtes System. Er selbst sagt, er tue nur, was der Staat versäume: Alle Menschen gleich zu behandeln.

Im Herbst 2015 begann die französische Polizei, die Grenze zu Italien wieder zu kontrollieren. Menschen ohne gültige Papiere wurden ohne Verfahren zurückgeschickt. Deshalb wagten immer mehr geflüchtete Menschen den Weg über die französischen Alpen. Dort trafen sie auf Herrou, der im Roya-Tal einen kleinen Bauernhof mit Olivenbäumen und Hühnern betreibt.

Mehr als 3.000 Menschen half er nach eigenen Angaben in den vergangenen vier Jahren bei ihrem Weg durch die Berge. Er nahm sie in seinem Auto mit, bot ihnen Verpflegung und Unterkunft. Elf Mal wurde er deshalb bereits von der Polizei festgenommen. Im August 2017 verurteilte ihn ein Berufungsgericht zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro wegen Menschenschmuggel. Ein Jahr später kippte das Verfassungsgericht das Urteil jedoch mit der Begründung, Brüderlichkeit sei keine Straftat. Wer Menschen helfe, handle im Sinne der französischen Verfassung.

 

Die mutigen Fünfzehn – Stansted 15 (Irland)

Am 28. März 2018 ketteten sich neun Frauen und sechs Männer an eine Boeing 767 auf dem Stansted Airport in London, um den Start des Flugzeugs zu verhindern. Die meisten von ihnen waren keine dreißig Jahre alt. Mit der Aktion wollten sie 60 Menschen aus Nigeria, Ghana und Sierra Leone vor der Abschiebung bewahren. Mehr als eine Stunde lang blockierten sie die Startbahn, bevor die britische Polizei sie festnahm. Ein halbes Jahr später wurden sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Vorwurf: Terrorismus.

Das Gesetz, auf das sich das Urteil berief, war zuletzt 1990 angewendet worden. Damals hatten Terroristen ein Flugzeug ­gesprengt und 270 Menschen getötet. Der Prozess gegen die "Stansted 15" war in Großbritannien stark umstritten.

Im Sommer 2019 kippte ein zweites Gericht das Urteil: Drei der Aktivisten wurden auf Bewährung verurteilt, die übrigen zwölf müssen ein Jahr lang gemeinschaftliche Arbeit leisten, niemand von ihnen kommt ins Gefängnis. Von den sechzig Asylsuchenden, die damals abgeschoben werden sollten, leben elf noch immer in Großbritannien, drei von ihnen haben Bleiberecht erhalten.

 

Draußen auf Kaution – Sarah Mardini und Seán Binder (Griechenland)

Wenn es schlecht läuft für Sarah Mardini und Seán Binder, dann werden sie die nächsten 25 Jahre in Haft verbringen. Allein deshalb, weil sie Menschen vor dem Ertrinken retten wollten.

Die 24-jährige Mardini und der 25-jährige Binder arbeiteten auf der griechischen Insel Lesbos als Freiwillige für die Organisation Emergency Response Center International (ERCI). Sie hielten nach Booten in Seenot Ausschau und kümmerten sich um Geflüchtete, die auf der Insel ankamen. Die aus Syrien stammende Sarah Mardini kennt die Situation der Flüchtlinge genau. Sie war 2015 ebenfalls mit einem Boot in Lesbos angekommen. Mit ihrer Arbeit als Freiwillige wollte sie etwas zurückgeben.

Doch im August 2018 nahm die griechische Polizei die beiden Studenten fest und verhörte sie. Sie mussten mehr als 100 Tage lang in Untersuchungshaft verbringen, bevor sie gegen Kaution freigelassen wurden. Die Behörden werfen Mardini und Binder Spionage, Schlepperei und Mitgliedschaft in einem kriminellen Netzwerk vor. Seán Binder glaubt, es gehe darum, andere Retter einzuschüchtern. Mardini sagte in einem Interview mit Amnesty International: "Es fühlt sich an wie ein Schachspiel." Die beiden warten noch immer auf ihr Gerichtsverfahren.

 

Rentnerin auf Achse – Anni Lanz (Schweiz)

An einem Samstagmorgen im Februar 2018 fuhr die 72-jährige Anni Lanz mit ihrem Auto aus der Schweiz nach Italien, um ein Menschenleben zu retten. Ihr Ziel war es, einen psychisch kranken Mann aus Afghanistan in die Schweiz zurückzubringen. Wenige Tage zuvor war er nach Italien abgeschoben worden, seine Familie hatte Lanz um Hilfe gebeten. Nach einigen Stunden fand sie ihn im Bahnhof von Domodossola in einer Ecke sitzend, frierend und hilflos. Sie lud den Mann in ihr Auto und fuhr zurück. Als sie die Grenze überqueren wollte, wurde sie von der Polizei gestoppt. Ein halbes Jahr später verurteilte ein Gericht Lanz wegen Schlepperei zu einer Geldstrafe von 800 Schweizer Franken. Sie legte Berufung gegen das Urteil ein.

Anders als in Frankreich oder Deutschland macht das Schweizer Recht keinen Unterschied zwischen Schleuserei und Hilfe aus humanitären Gründen. Wer einen Menschen ohne gültige Papiere über die Grenze bringt, macht sich strafbar. Die Rentnerin Anni Lanz engagiert sich seit Jahren in der Flüchtlingshilfe, sie kannte die Gesetze, doch sie sagt: Menschlichkeit zähle mehr.

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