Amnesty Journal Afrika 18. März 2024

Reichlich Ärger aufgestaut

Ein Wasserdamm, der einen Fluss staut, im Hintergrund Baukräne über dem Damm, dahinter bewaldete Hüge.

Kostbare Ressource Wasser: Der Große Äthiopische Renaissance-Damm (Guba, Febuar 2022)

Wasser ist die Grundlage allen Lebens. Aber Süßwasser wird knapp, und die Klimakrise ­verschärft die Situation. Viele Flüsse, Seen und Grundwasserreservoire erstrecken sich über oder unter Ländergrenzen hinweg. Es gibt viele Konflikte, doch Wissenschaftler*innen geben auch Entwarnung.

Von Frank Odenthal

Dahlia Sabri erinnert sich noch gut an die Erzählungen ihrer Nachbar*innen in Ägypten. Wie besorgt sie waren, dass ihre Felder nicht mehr vom Nilhochwasser überschwemmt und vom nährstoffreichen Schlamm bedeckt würden. "Sie hatten Angst, ihre Familie nicht mehr ernähren zu können."

Das war in den 1960er Jahren, als der Assuan-Staudamm im südlichen Ägypten gebaut wurde. Die Sorgen der Nachbarn waren unbegründet, dank des Staudamms konnten sie Ihre Felder sogar noch intensiver bewässern als vorher, erinnert sich Sabri. "Heute fürchten viele Menschen, der neue Staudamm flussaufwärts in Äthiopien könne ihnen das Wasser abgraben", sagt Sabri. "Manche sagen, unsere Regierung, das Militär, solle eingreifen und ihr Recht auf das Nilwasser sicherstellen." Die Prognosen für Ostafrika und das Einzugsgebiet des Nils sind düster. Einem UN-Bericht zufolge könnte Ägypten ab 2025 das Wasser komplett ausgehen. 

Fünf Milliarden Menschen betroffen

Weltweit leben 2,3 Milliarden Menschen in Regionen, in denen Wasserknappheit herrscht. Bis 2050 soll sich die Zahl auf fünf Milliarden erhöhen. Neben der Klimakrise gelten das Bevölkerungswachstum und der wirtschaftliche Fortschritt als Hauptursache dafür, dass Süßwasser immer knapper wird. Denn um eine größere Bevölkerung zu versorgen, wird mehr Landwirtschaft benötigt, die wiederum mehr Wasser verbraucht. Und wirtschaftlicher Fortschritt beruht häufig auf Industrien, die ebenfalls viel Wasser in Anspruch nehmen.

Weltweit gibt es 313 Flusseinzugsgebiete und Seen, die Landesgrenzen überschreiten, hinzu kommen rund 600 Grundwasserreservoire. Konflikte um das kostbare Nass scheinen programmiert. Drohen uns bald Kriege ums Wasser? ­Aaron Wolf, Professor für Geografie an der Oregon State University in den USA, der außerdem Wasserdiplomatie an der niederländischen Universität Delft unterrichtet, wiegelt ab: "Wenn von Konflikten um Wasser die Rede ist, bedeutet das nicht gleich Krieg oder Gewalt." Konflikte können von Protestkundgebungen über Wirtschaftssanktionen und diplomatische Verstimmungen bis hin zu Klagen vor internationalen Gerichten reichen. "Es hat in den vergangenen rund 4.000 Jahren keinen Krieg gegeben, der allein um Trinkwasser geführt wurde. Um Konflikte wegen des Zugangs zu Trinkwasser zu vermeiden oder zu lösen, war es in der Vergangenheit wahrscheinlicher, dass die beteiligten Staaten miteinander kooperierten", erklärt Wolf. "Und das ist auch heute noch so."

Wenn von Konflikten um Wasser die Rede ist, bedeutet das nicht gleich Krieg oder Gewalt.

Aaron
Wolf
Professor für Geografie

Kooperationen zur Vermeidung von Konflikten können verschiedene Formen annehmen, die von einfachen Verträgen über multinationale Initiativen bis hin zu speziellen Behörden reichen, die für die Verwaltung gemeinsamer Einzugsgebiete zuständig sind. Beispielhaft genannt seien hier die Nilbecken-Initiative (Nile Basin Initiative), die zehn ostafrikanische Staaten umfasst, und die Indus-Wasservereinbarung (Indus Waters Treaty), die die Zugangsrechte zum Indus zwischen Pakistan und Indien regelt.

Infrastrukturprojekte, wie etwa Staudämme, die zur Stromerzeugung und als Trinkwasserreservoir errichtet werden, sind einer der Hauptgründe für Konflikte zwischen Anrainerstaaten, vor allem mit denen, die flussabwärts liegen.

Hunderte Kooperationsabkommen

Ein Projekt, das Aaron Wolf ins Leben gerufen hat, führt Faktoren, die Konflikt- oder eben Kooperationspotenzial bergen, in einer Datenbank zusammen, der Transboundary Freshwater Diplomacy Database. Ein Ziel dieser Datenbank für länderübergreifende Frischwasser-Diplomatie ist es, Vorhersagen zu treffen, in welchen Regionen mit fortschreitender Klimaerhitzung in Zukunft möglicherweise Konflikte drohen. Alexandra Caplan, ebenfalls von der Oregon State University, leitet das Projekt. "Anfangs haben wir in der Datenbank erfasst, welche Konflikte und Kooperationen es bisher rund um die Nutzung von Wasser aus länderübergreifenden Quellen gegeben hat", erklärt sie. Inzwischen haben die Forscher*innen die Funktionen noch ausgeweitet, etwa um eine Datenbank, in der alle Arten von Verträgen zur gemeinsamen Wassernutzung aufgeführt sind, die bislang aufgesetzt wurden. Sie enthalte fast 900 Kooperationsvereinbarungen, die meisten davon rechtlich bindend, sagt Caplan.

Mithilfe dieser Datensammlung haben die Forscher*innen mittlerweile mehr als hundert Indikatoren herausgearbeitet, mit denen sich die Wahrscheinlichkeit für zukünftige Konflikte ums Wasser angeben lässt. Dazu gehören Informationen, ob und wo die Wasserqualität entlang eines Flusses und seiner Zuströme überwacht wird, ob es Wasserverteilungsschlüssel gibt, wie alt und wie aktuell die Vereinbarungen sind, ob es Pläne für den Fall von Streitigkeiten gibt, welche Institutionen in solchen Fällen verfügbar sind und herangezogen werden können, ob die lokale Bevölkerung einbezogen wurde etc. 

Die Indus-Wasservereinbarung sei ein gutes Beispiel für eine Kooperation zwischen Konfliktparteien, sagt ­Aaron Wolf. "Der Vertrag sieht Möglichkeiten vor, Streitfälle zur Not bis vor internationale Schlichtungsstellen zu tragen." Das hat sich zumindest in der Vergangenheit als tragfähig erwiesen, immerhin hat die Indus-Wasservereinbarung seit ihrem ­Inkrafttreten 1960 drei Kriege zwischen Pakistan und Indien überstanden.

Berufung auf die Kolonialzeit

Wie tragfähig die Vereinbarungen der ­Nilbecken-Initiative sind, muss sich erst noch zeigen. Denn der Streit um den Großen Äthiopischen Renaissance-Damm (Great Ethiopian Renaissance Dam) landete vor zwei ­Jahren sogar vor dem Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen. Äthiopien hat den Damm im Februar 2022 nach zehn Jahren Bauzeit und Kosten von rund 4,3 Milliarden Euro in Betrieb genommen. Die 145 Meter hohe und 1,8 Kilometer lange Mauer soll 70 Milliarden Kubikmeter Wasser des Blauen Nils stauen. Zum Vergleich: der Bodensee umfasst 48 Milliarden Kubikmeter Wasser. Mit seinen 13 Turbinen soll der Damm mehr als die Hälfte der 115 Millionen Einwohner Äthiopiens mit Strom versorgen.

Gegen den Bau hatten die stromabwärts gelegenen Staaten Sudan und vor allem Ägypten scharf protestiert. Beide Länder fürchten reduzierte Wassermengen, sollte der Blaue Nil gestaut werden, der immerhin rund 85 Prozent des gesamten Nilwassers liefert. Ägypten deckt mehr als 90 Prozent seines Wasserbedarfs aus dem Nil.

Wenn es so weitergeht mit der Hitze und den Dürren, dann führt der Nil bald kein Wasser mehr, um das man sich streiten könnte.

Dahlia
Sabri
Hydrologin
Eine Frau steht vor einer Hafenmauer, hinter der Mauer Selgeschiffe im Hafen.

Die Hydrologin Dahlia Sabri

Ägypten und Sudan berufen sich auf Vereinbarungen zur Aufteilung des Nilwassers, die sie 1929 und 1959 mit der damaligen Kolonialmacht Großbritannien trafen. Das Problem: Äthiopien und die sieben weiteren Anrainerstaaten an den Oberläufen des Blauen und des Weißen Nils wurden dabei ignoriert. Und neue Vereinbarungsentwürfe wurden weder vom Sudan noch von Ägypten unterzeichnet. Ägypten behält sich bis heute ein ­Vetorecht für alle Bauvorhaben entlang des Nils vor, weil dies damals zwischen Kairo und Großbritannien so vereinbart worden sei.

Die Ägypterin Dahlia Sabri ist inzwischen selbst zu einer Wasserexpertin geworden. Sie studierte Hydrologie und Wassermanagement an der Universität von Kairo und später im schwedischen Lund, ist Direktorin des ägyptischen Büros der IWRA (International Water Resources Association) und seit 2022 auch Mitglied der Geschäftsführung der gesamten IWRA. Sie wird regelmäßig als Expertin bei Projekten und Konferenzen der UNO hinzugezogen. Sie habe keine Angst vor einem Krieg ums Wasser, sagt Sabri. Sie sorge sich eher wegen der Klimakrise. "Wenn es so weitergeht mit der Hitze und den Dürren, dann führt der Nil bald kein Wasser mehr, um das man sich streiten könnte."

Im September 2023 gab die äthiopische Regierung in Addis Abeba bekannt, dass der Stausee nun mit 25 Milliarden Kubikmetern zu rund einem Drittel vollgelaufen sei. Auswirkungen auf die Wassermengen in Ägypten werden zwar durch den Nasser-Staudamm gemildert, der bei Bedarf noch weiter geöffnet werden könnte, trotzdem rechneten Hydrologen damit, dass im Winter 2024 deutlich weniger Nilwasser in Ägypten ankommt. Die Situation könnte sich bei fortschreitender Erderhitzung und dem erwarteten Bevölkerungswachstum in Ostafrika noch verschärfen. Um sie nicht eskalieren zu lassen, haben Ägypten, ­Sudan und Äthiopien immerhin neuen Verhandlungen zur Nutzung des Nils ­zugestimmt.

Frank Odenthal ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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