Aktuell 06. August 2020

Menschenrechtsverteidiger_innen von Haftentlassungen ausgeschlossen

Die Grafik zeigt eine große Porträtaufnahme einer Frau mit Mundschutz, um sie herum sind gezeichnete Viren zu sehen, unter ihr Zeichnungen von Personen die demonstrieren, ein Megafon halten oder in einer Gefängniszelle sitzen

In Ländern wie Ägypten, Indien, Iran oder der Türkei schließen die Regierungen Menschenrechtsverteidiger_innen bewusst von pandemiebedingten Haftentlassungen aus. Gleichzeitig nutzen Staaten die Corona-Pandemie als Vorwand für weitere Schikanen und Repressionen gegen kritische Stimmen. Indem sie gewaltlose politische Gefangene schutzlos in den Gefängnissen belassen, missbrauchen sie das Virus als zusätzliche Waffe gegen kritische Stimmen.

Amnesty dokumentiert in dem neuen Bericht "Daring to Stand up for Human Rights in a Pandemic", wie Regierungen in 46 Ländern während der Covid-19-Pandemie gegen Menschenrechtsverteidiger_innen vorgehen oder diesen jeglichen Schutz verweigern. In einigen Ländern bleiben Journalist_innen, Menschenrechtsanwält_innen, Aktivist_innen und Kritiker_innen unter teilweise desaströsen sanitären und humanitären Bedingungen im Gefängnis schutzlos der Pandemie ausgesetzt. Gerade jene Menschen, die allein aufgrund regierungskritischer Äußerungen oder ihres Einsatzes für die Menschenrechte inhaftiert sind, werden von pandemiebedingten Haftentlassungen zur Entlastung der Gefängnisse ausgeschlossen. So werden sie zusätzlich bestraft.

Kritische Stimmen weiter in Haft

Im Iran und in der Türkei wurden Zehntausende Personen wegen Covid-19 aus der Haft entlassen, um das Risiko der Verbreitung des Coronavirus zu verringern. Iranische Menschenrechtsaktivist_innen wie Narges Mohammadi blieben jedoch von einer Amnestierung ausgeschlossen. Auch Journalist_innen, Anwält_innen, Oppositionelle und viele weitere Inhaftierte, die in der Türkei aufgrund fadenscheiniger "Terrorismus"-Vorwürfe angeklagt oder verurteilt worden sind, mussten in Haft bleiben.

Dass Menschenrechtsverteidiger_innen explizit von den Haftentlassungen ausgeschlossen werden, zeigt, dass ihre Inhaftierung politisch motiviert ist. Offensichtlich haben die Regierungen mehr Angst vor Kritik als vor der Pandemie.

Janine
Uhlmannsiek
Expertin für Menschenrechtsverteidiger_innen bei Amnesty International in Deutschland

Auch in Ägypten harren weiterhin zahlreiche gewaltlose politische Gefangene in den für ihre unmenschlichen Bedingungen berüchtigten Gefängnissen in Untersuchungshaft aus. Indien hat Studierende, Kritiker_innen und Aktivist_innen, die friedlich gegen das neue, diskriminierende Staatsbürgerschaftsgesetz demonstriert haben, nicht freigelassen. 

"Dass Menschenrechtsverteidiger_innen explizit von den Haftentlassungen ausgeschlossen werden, zeigt, dass ihre Inhaftierung politisch motiviert ist," sagt Janine Uhlmannsiek, Expertin für Menschenrechtsverteidiger_innen bei Amnesty International in Deutschland. "Offensichtlich haben die Regierungen mehr Angst vor Kritik als vor der Pandemie."

Covid-19 als Vorwand für weitere Repressionen

Amnesty dokumentiert auch, wie Regierungen von Ungarn über Aserbaidschan, Niger und Simbabwe bis nach Thailand und in die Philippinen die Covid-19-Pandemie dazu nutzen, um freie Meinungsäußerung und die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger_innen weiter einzuschränken.

Als Instrumente dienen dabei willkürliche Verhaftungen oder der Missbrauch von Notstandsgesetzen. Oft werden kritische Stimmen mit dem Vorwurf verfolgt, in Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung "falsche Informationen verbreitet" zu haben.

In Ländern, in denen bereits vor der Pandemie Morde an Aktivist_innen stattfanden, sind Menschenrechtler_innen aktuell besonders in Gefahr. In Mexiko, Kolumbien, Guatemala und Honduras haben sich Übergriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen gehäuft: Sie sind Angreifer_innen schutzlos ausgeliefert, wenn sie aufgrund von Lockdown-Maßnahmen festsitzen. Zudem haben Polizeiorgane die Schutzmaßnahmen bewusst reduziert.

Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen der laufenden EU-Ratspräsidentschaft deswegen besonders für den Schutz und die Förderung von Menschenrechtsverteidiger_innen einsetzen.

Janine
Uhlmannsiek
Expertin für Menschenrechtsverteidiger_innen bei Amnesty International in Deutschland

Amnesty fordert verstärkten Schutz und Anerkennung

Amnesty International fordert von den Regierungen verstärkte Schutzmaßnahmen für Menschenrechtsverteidiger_innen und die Anerkennung der wichtigen Rolle, die sie gerade in Zeiten der Pandemie spielen.

"Der Einsatz von Menschenrechtsverteidiger_innen ist in der aktuellen Krise so wichtig wie nie, um Solidarität zu fördern, die Bedürftigsten zu unterstützten und Grundfreiheiten zu verteidigen. Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen der laufenden EU-Ratspräsidentschaft deswegen besonders für den Schutz und die Förderung von Menschenrechtsverteidiger_innen einsetzen," fordert Janine Uhlmannsiek. 

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