Aktuell Ägypten 09. April 2020

Coronavirus bedroht Existenz der Textilarbeiter_innen in Ägypten

Nähmaschine in Nahaufnahme und eine Person, die diese bedient

Keine Schutzkleidung, weniger Lohn, Entlassungen: Beschäftigte der ägyptischen Textilbranche müssen in Zeiten der Corona-Pandemie um ihre Existenz fürchten.

Die ägyptische Textilindustrie will in Zeiten der Corona-Pandemie weiter produzieren – koste es, was es wolle. Sie setzt ihre Beschäftigten damit einem hohen Gesundheitsrisiko aus. Wer protestiert, riskiert die Entlassung. 

Inmitten der Ausbreitung des Coronavirus sind Tausende Textilarbeiter_innen in Ägypten davon bedroht, ihre Arbeit zu verlieren, ihr Einkommen gekürzt zu bekommen, oder ohne Schutzausrüstung arbeiten zu müssen. Bereits im vergangenen Monat wurden Hunderte Beschäftigte in den ägyptischen Städten Port Said und Ismailia entlassen. In den Sonderwirtschaftszonen Port Said und Ismailia gibt es Hunderte von Fabriken, darunter auch zahlreiche Textilfabriken.

Textilarbeiter_innen in den Sonderwirtschaftszonen Ägyptens werden gezwungen, zwischen dem Schutz ihres Lebens oder ihrer Lebensgrundlage zu wählen.

Vanessa
Ullrich
Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland

Die ägyptische Privatwirtschaft übte in den letzten beiden Wochen öffentlich Druck auf die Regierung aus, die Produktion fortzusetzen und versäumte es dabei, die berechtigten Sorgen der Arbeiter_innen um ihre Sicherheit und Existenzgrundlage ernst zu nehmen. 

"Textilarbeiter_innen in den Sonderwirtschaftszonen Ägyptens werden gezwungen, zwischen dem Schutz ihres Lebens oder ihrer Lebensgrundlage zu wählen", sagt Amnesty-Expertin Vanessa Ullrich. "Forderungen von Unternehmern die Mühlen der Produktion am Laufen zu halten, dürfen nicht über die Rechte und Gesundheit der Arbeiter_innen gestellt werden."

Am 21. März 2020 ordnete der Gouverneur von Port Said die Schließung von fünf Fabriken in der Provinz an, nachdem dort der Anstieg von Corona-Fällen und der Tod eines Arbeiters bekannt wurde. Das Versäumnis der Fabrikchefs, die Anordnung unverzüglich umzusetzen, veranlasste Hunderte der gering bezahlten Arbeiter_innen am 22. und 23. März zu Arbeitskampfmaßnahmen in Port Said. Die Streiks breiteten sich rasch auf mehrere Fabriken in Ismailia aus.

 

Amnesty International sprach mit Textilarbeiter_innen aus sieben Fabriken in Ismailia und Port Said, in denen nach Angaben der Befragten jeweils zwischen 500 und 7.000 Arbeiter_innen beschäftigt sind, sowie mit Gewerkschaftsaktivist_innen. Amnesty International hat zudem von den Arbeiter_innen aufgenommenes, audiovisuelles Material ausgewertet, welches die beengten und überbelegten Produktionsstätten dokumentiert. Die Fabrikarbeiter_innen äußerten Sorgen über das Versäumnis der Fabrikchefs, angemessene Schutzausrüstung bereitzustellen. Ein Arbeiter erzählte Amnesty International, dass die Arbeiter_innen auf eigene Kosten Desinfektionsmittel, Masken und Handschuhe beschafften. 

Die Arbeiter_innen sagten gegenüber Amnesty International, dass sie unbezahlten Urlaub nehmen oder geringere Löhne akzeptieren müssten. In drei Fabriken wurden Hunderte von Arbeiter_innen auf befristeten Verträgen ohne Ankündigung entlassen. Einige der Arbeiter_innen befürchten, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie weiterhin gegen die unsicheren Arbeitsbedingungen protestierten. In zwei Fabriken hätten Vorgesetzte bereits die Namen der Streikenden aufgeschrieben.

 

"Amnesty International teilt die Forderungen der Arbeiter_innen: Sie brauchen eine angemessene Schutzausrüstung, um die Gefahr einer Ansteckung zu mindern, ohne dass die Kosten dafür auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Die Corona-Krise darf nicht dazu führen, dass Arbeiter_innen ihrer Existenzgrundlage beraubt werden", sagt Ullrich. "Amnesty International ist äußerst besorgt darüber, dass die unabhängige Gewerkschaftsarbeit in Ägypten weiter eingeschränkt wird und sich die ohnehin schon asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen den gering bezahlten Arbeiter_innen und den Arbeitgebern weiter verfestigen." 

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