Aktuell Deutschland 26. Januar 2024

Holocaust-Gedenktag: Nie wieder Entmenschlichung

Das Bild zeigt Menschen, die protestieren. Sie halten ihre Handys in die Höhe

Demonstration gegen Rassismus und Diskriminierung vor dem Reichstag in Berlin am 21. Januar 2024

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert an die Millionen Menschen, die von Nationalsozialist*innen in Deutschland und Europa verfolgt und ermordet wurden. Die Erinnerung an diese grausamen Menschenrechtsverbrechen mahnt uns, der nationalsozialistischen Ideologie der Entmenschlichung entschieden und laut entgegenzutreten

Mit der Shoa, dem grausamen, systematischen Völkermord an rund sechs Millionen Juden*Jüdinnen in Europa, setzten die Nationalsozialist*innen ihre menschenverachtende antisemitische Ideologie in vernichtender Art und Weise in die Tat um. Auch Sinti*zze und Rom*nja wurden in rassistischer und genozidaler Absicht verfolgt und getötet. Das gewaltvolle Streben nach einer Vorherrschaft weißer Arier*innen und die anmaßende Vorstellung davon, welches Leben einen Wert habe, wurde auch durch Zwangssterilisation und "Euthanasie"-Morde umgesetzt, welchen insbesondere Menschen mit Behinderung und erkrankte Personen zum Opfer fielen. Weitere Menschen wurden wegen anderer Aspekte ihrer Identität verfolgt, die angeblich sozialen Normen nicht entsprachen, etwa die gleichgeschlechtliche Liebe.

Die Nationalsozialist*innen versuchten, ihre die Menschenwürde verletzenden Verbrechen pseudowissenschaftlich zu rechtfertigen und handelten nach einer Ideologie des "Wir gegen die Anderen". Ausgangspunkt war die völkische Idee eines einheitlichen "Wir". Alle, die aus Sicht der Nationalsozialist*innen nicht dazugehörten oder dazugehören sollten, wurden als Andere abgewertet und entmenschlicht. Sie wurden für reale oder vermeintliche Probleme verantwortlich gemacht und ausgegrenzt. Demütigungen, Misshandlungen, Verhaftungen und Morde wurden auf diese Art und Weise ideologisch begründet und gesetzlich verankert. Die Millionen Menschen, die diesem System zum Opfer fielen, mahnen uns, die nationalsozialistische Ideologie der Entmenschlichung nie wieder herrschen zu lassen.

"Als Lehre aus den Schrecken des Holocausts verankerte die Weltgemeinschaft die Menschenrechte im internationalen Recht. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die auf ihr fußenden völkerrechtlichen Verträge sind das Versprechen, dass die Würde und das Recht jedes Einzelnen zählt – immer und überall. Dieses Versprechen ist ein Auftrag an uns alle, die Menschenrechte tagtäglich zu leben und zu verteidigen. Wenn versucht wird, unsere vielfältige Gesellschaft in ein 'Wir gegen die Anderen' zu spalten, müssen wir aufhorchen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt, entwertet und entmenschlicht werden. Genauso wenig sollten wir wortlos zusehen, wie marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Die Menschenrechte gelten für alle. Sie sind ein Anker unserer Menschlichkeit in stürmischen Zeiten. In Zeiten wie jetzt", sagt Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.

Amnesty-Posting auf X (ehemals Twitter):

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Auch mit dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft sind Antisemitismus, Rassismus, LGBTI- und Behinderten-Feindlichkeit nicht aus der deutschen Gesellschaft verschwunden. Die Annahme, dass mit der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Alliierten auch die menschenfeindliche Ideologie aus allen Köpfen verschwand, ist Wunschdenken. Denn sie kommt auch heute lautstark zum Ausdruck: in Parlamentsdebatten, in Beiträgen auf Social-Media-Plattformen und in hohen Zustimmungswerten für menschenfeindliche Positionen in Studien und Umfragen. Gleichzeitig werden immer wieder Fälle bekannt, die uns Sorge bereiten müssen: etwa von heimlicher Bewaffnung und Umsturzplänen aus der Reichsbürger*innen-Szene unter Beteiligung von Sicherheitskräften sowie Pläne zur massenhaften Ausweisung deutscher Staatsbürger*innen mit Einwanderungsgeschichte und weitere Menschen, für die Deutschland ihr Zuhause geworden ist. "Diese Vertreibungsphantasien erinnern an die Massendeportationen von Juden*Jüdinnen und weiteren Menschen, die von den Nationalsozialist*innen in Arbeits- und Vernichtungslager gezwungen wurden. Auch die zugrunde liegende rassistische Idee, wie die Bevölkerung in Deutschland zusammengesetzt sein sollte und wer als Mensch wahrgenommen wird und wer nicht, folgt der menschenverachtenden Ideologie der Nazis", so Julia Duchrow.

Entsetzlicherweise leben auch 79 Jahre nach dem Ende der Shoa Juden*Jüdinnen in Deutschland in Angst. Antisemitischer Hass und Hetze sowie Gewalt gegen jüdische Menschen und Einrichtungen sind nach wie vor weit verbreitet und treten nach Informationen zivilgesellschaftlicher Organisationen seit dem 7. Oktober 2023 noch stärker zu Tage. Das Problem ist jedoch ein gesamtgesellschaftliches. Versuche, für antisemitische Vorfälle vor allem muslimisch gelesene oder zugewanderte Personen verantwortlich zu machen, lenken von Antisemitismus in allen Bevölkerungsgruppen ab und befördern antimuslimischen Rassismus. Antisemitismus lässt sich nicht einfach abschieben, denn er war nie weg.

Systemischer Rassismus und Antisemitismus sind in Deutschland weiterhin verankert und die Strukturen, die rassistische Ungleichheiten aufrechterhalten, werden von Betroffenen und dem Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen zurecht kritisiert. Rassistische Annahmen werden teilweise als Begründung für politische Entscheidungen herangezogen. Marginalisierte Gruppen werden auch heute für vermeintliche Probleme verantwortlich gemacht. "Solche spaltenden und entmenschlichenden Narrative dürfen nicht wieder mehrheitsfähig werden. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen auf europäischer, kommunaler und Landesebene sind wir alle gefordert, entschieden, laut und solidarisch für Vielfalt und Menschlichkeit einzutreten: auf der Straße, im Netz und in persönlichen Begegnungen", sagt Julia Duchrow.

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