Aktuell Kultur Polen 25. Januar 2024

"Green Border": Europäische Gegenwart

Das Bild zeigt ein junges Mädchen hinter einem Stacheldrahtzaun

Filmszene aus "Green Border"

In Agnieszka Hollands neuem Film "Green Border" kämpft eine syrische Familie an der polnischen Grenze ums Überleben.

Von Jürgen Kiontke

Einen Realhorrorfilm der hochaktuellen Art liefert die polnische Regisseurin Agnieszka Holland mit "Green Border". Was sich – "Grüne Grenze" – noch ganz freundlich anhört, entpuppt sich als nachdrückliche filmische Anklage gegen die Praxis der Flüchtlingspolitik an den europäischen Außengrenzen. 

Menschen werden ins Grenzgebiet zwischen Weißrussland und Polen geschoben zu Zwecken politischer Störmanöver: Das syrische Paar Amina und Bashir ist samt Familienangehörigen einem "Angebot" von Weißrusslands Regierungschef Lukaschenko gefolgt, um über die Osteuroparoute durch Polen weiter nach Schweden zu reisen. In ihrem bürgerkriegszerrütteten Land sehen sie keine Zukunft, in Schweden wohnt ein Onkel. 

Kaum gelandet, setzen die Schlepper sie samt Rollkoffern und sonstiger untauglicher Ausrüstung im Grenzgebiet ab. "Geht da rüber", lautet die letzte Anweisung, dann stehen die Verlorenen im Winterwald.

Trailer "Green Border":

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Was sie nicht wissen: Von polnischer Seite aus werden sie umgehend zurückgeschickt werden. Die belarussischen Behörden werden sie aber nicht zurücklassen. Verwaist und ohne Plan bleibt die Familie im Waldstück gefangen. Wie andere auch, die ähnlichen Wege gegangen sind und hier nun festsitzen. Schikanen der jeweiligen Grenzschützer sind obligatorisch, Misshandlungen an der Tagesordnung. Bald haben sie weder Nahrung noch Trinkwasser, die Lage ist lebensbedrohlich.

Holland sortiert die Geschehnisse in neun Kapitel. Dabei wechselt sie die Perspektive. Da kommen Aktivist*innen zu Wort, die den Flüchtenden helfen, Anwohner*innen, die Nahrungsmittel tauschen, und auch aus der Sicht der Grenzer selbst werden die Ereignisse geschildert. Auch wenn die Kolleg*innen ihre Wut und Gewalt an den Menschen im Wald abreagieren: Nicht alle Grenzer treten hier als Unmenschen auf, nicht alle Aktivist*innen sind bessere Wesen – Holland geht es um die Ausweglosigkeit der Situation.

Besser wird hier nichts: Gefilmt wird in düsterstem Schwarzweiß, mit der Dauer des Films befinden sich die Akteure in einer kontinuierlichen Abwärtsspirale. Hollands Film prangert bestehende Verhältnisse an, aus deren Mitte heraus: Wie kann es sein, dass in einer hochzivilisierten Welt Menschen ums Überleben kämpfen müssen?

Auswege und Lösungen gibt es hier nicht, Prozesse auf administrativer Ebene werden nicht in Szene gesetzt, ebenso wenig Handlungsoptionen aufgezeigt. Holland: "Politik und Politiker bestimmen unser Leben, aber was mich am meisten interessiert, ist, wie sich ihr Handeln, ihre Entscheidungen und ihre unterlassenen Handlungen in den Leben gewöhnlicher Menschen und den Entscheidungen, die sie treffen müssen, einzeichnen." 

"Green Border" ist ein Dokumentarfilm im Gewand eines Spielfilms. Es ist harter Stoff und soll es auch sein. Der Film soll schockieren, "Schrecken eskalieren" (Holland). Er zeigt Innenansichten einer inhumanen Welt, die emotionale Effekte zeitigen sollen. 

Holland ist nun 74 Jahre alt, hat mit ihren Filmen Jahrzehnte das polnische Kino mitdefiniert und auf Konventionen keine Lust. "Ich habe weniger und weniger zu verlieren und mehr und mehr Verantwortung für das, was ich weitergeben muss", sagt sie.

Ihr Film – ein eindrückliches Dokument der Gegenwart. 

Polen u.a. 2023. 
Regie: Agnieszka Holland
Darsteller: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska
Kinostart: 1. Februar 2024

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