Artikel 19: Meinungs- und Informationsfreiheit

Drei junge Frauen stehen lächelnd im Kreis. Eine hält ein Pappschild mit der Aufschrift „Turkey: Stop the crackdown on human rights“

Jeder Mensch hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.*

In der Türkei ist es gefährlich, die eigene Meinung zu sagen.

Nach zwei Jahren im Ausnahmezustand leben Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger in der Türkei in einem ständigen Klima der Angst. Sie werden entweder inhaftiert, strafverfolgt oder bedroht bzw. kennen viele andere, denen das widerfahren ist. Sie sind vorsichtig mit dem, was sie sagen, schreiben oder twittern. Eine gepackte Tasche steht immer bereit für den Fall, dass es früh morgens an der Tür klopft und die Polizei sie mitnimmt.  

Ihre Organisationen fühlen den Druck ebenso. Manche sind einfach geschlossen worden, wodurch sehr viele Menschen, die auf ihre Unterstützung angewiesen sind, ihrer Stimme beraubt wurden. Und nichts davon ist zufällig geschehen. Im Gegenteil: Es ist der bewusste Versuch, die unabhängige Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen.

Deshalb müssen wir über die Türkei sprechen. 

Wir müssen darüber sprechen, dass das landesweite harte Durchgreifen zu Massenfestnahmen und Entlassungen, dem Aushöhlen des Rechtssystems und der Unterdrückung abweichender Meinungen mittels Drohungen, Schikanierung und Inhaftierung geführt hat.

 

Ziel ist es, das Klima der Angst aufrechtzuerhalten. In Polizeigewahrsam hat man große Angst um die eigene Familie. Wir haben alle Angst.

Osman
İşçi
türkischer Menschenrechtsverteidiger

Ein Klima der Angst und Einschüchterung

Seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 wurden gegen mehr als 100.000 Personen strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet, mindestens 50.000 Menschen befinden sich in Untersuchungshaft. In der Türkei sind weltweit die meisten Journalistinnen und Journalisten inhaftiert; zurzeit befinden sich mehr als 150 hinter Gittern, nur weil sie ihrer Arbeit nachgegangen sind.

Menschen, die sich nach wie vor für die Menschenrechte einsetzen, zahlen für ihr Engagement einen hohen Preis. Verleumdungskampagnen in den sozialen Netzwerken und regierungsnahen Medien sind oft nur der Anfang. Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler können jederzeit festgenommen und aufgrund haltloser Vorwürfe monatelang inhaftiert werden. Dieses Klima der Angst führt zur Selbstzensur. Aktivistinnen und Aktivisten beginnen zu zögern, wenn sie ihre Stimme erheben wollen, da sie wissen, dass sie für ihre geäußerten Ansichten ins Gefängnis kommen können. 

Wie die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin Amnesty International berichtete: "Ich versuche, meine Ansichten frei zu äußern, aber ich denke ganz klar zweimal nach, bevor ich etwas sage oder schreibe." Gegen Eren Keskin laufen derzeit mehr als 140 separate Strafverfahren wegen Artikeln, die sie als symbolische Chefredakteurin von Özgür Gündem veröffentlicht hat.

Lebenslange Repressionen

Ich versuche, meine Ansichten frei zu äußern, aber ich denke ganz klar zweimal nach, bevor ich etwas sage oder schreibe.

Erin
Keskin
wiederholt strafrechtlich verfolgte Menschenrechtsanwältin

Unfaire strafrechtliche Verfolgung

Antiterrorgesetze werden dazu benutzt, Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger und Andersdenkende zu kriminalisieren und einzusperren, um sie zum Schweigen zu bringen.

Einer von ihnen ist der Anwalt für Flüchtlingsrecht Taner Kılıç, Gründungsmitglied und Ehrenvorsitzender von Amnesty International in der Türkei. Er wurde am Morgen des 6. Juni 2017 festgenommen. Insgesamt 400 Tage saß Taner Kılıç unrechtmäßig in Untersuchungshaft. Am 15. August 2018 ordnete ein Gericht in Istanbul seine Freilassung aus einem Gefängnis im westtürkischen Izmir an.

Das Verfahren gegen Taner Kılıç ist weiterhin anhängig. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied einer "Terrororganisation" zu sein. Darauf stehen bis zu 15 Jahre Haft. Für ihre absurde Anschuldigung können die türkischen Behörden keinerlei Beweise vorlegen. Das Verfahren gegen Taner Kılıç ist politisch motiviert und Teil der systematischen Unterdrückung kritischer Stimmen in der Türkei.

 

Ein Mann wird von zwei lächelnden Frauen und einem Mädchen umarmt, dicht daneben steht eine weitere Frau

Taner Kılıç wird nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis von seiner Familie in Freiheit begrüßt (Izmir, 15. August 2018)

Dieser Text wurde zunächst am 24. Mai 2018 auf www.amnesty.de veröffentlicht. Für die Kampagnen-Website "70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" wurde er aktualisiert.

*Amnesty verwendet eine diskriminierungssensibel überarbeitete deutsche Übersetzung der Allgemeinen Erklärung. Den gesamten Text findest du hier.

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