Pressemitteilung Aktuell 05. Mai 2021

Umfrage: Mehrheit in G7-Ländern für gerechte Verteilung von Impfstoff-Knowhow

Das Bild zeigt eine Nahaufnahmen von vier Fläschchen mit Impfstoff gegen das Coronavirus.

Impfstoffe gegen das Corona-Virus müssen weltweit zur Verfügung stehen.

Trotz breiter öffentlicher Unterstützung für mehr Impfgerechtigkeit weigern sich G7-Regierungen nach wie vor, die Patentrechte für Covid-19-Impfstoffe auszusetzen. Anlässlich des aktuellen Treffens der Außen- und Entwicklungsminister_innen der G7-Staaten in London fordert die People's Vaccine Alliance (PVA) die Regierungen der reichsten Länder der Welt dazu auf, einen Patentverzicht auf Impfstoffe zu unterstützen.

Laut einer neuen Umfrage im Auftrag der People's Vaccine Alliance (PVA) – einem Zusammenschluss mehrerer Organisationen, dem auch Amnesty International angehört – ist eine große Mehrheit der Bevölkerung der G7-Länder der Meinung, dass Pharmaunternehmen die Formeln und Technologien für ihre Impfstoffe teilen sollten. Sie sehen ihre Regierungen in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen.

Breite Teile der Öffentlichkeit sind der Meinung, dass Pharmaunternehmen für die Entwicklung von Impfstoffen zwar fair bezahlt werden, aber kein Monopol auf die Impfstoffe halten sollten.

Während die Zahl der Covid-19-Todesopfer in Indien weiter steigt, trafen sich am 4. Mai in London die Außen- und Entwicklungsminister_innen der G7-Staaten zum ersten Mal seit zwei Jahren persönlich. Außerdem kam der Allgemeine Rat der Welthandelsorganisation (WTO) online zusammen.

Der PVA-Studie zufolge sprechen sich in den G7-Staaten durchschnittlich 70 Prozent der Menschen dafür aus, dass ihre Regierungen die Pharmakonzerne dazu verpflichten sollten, ihr Knowhow bei der Herstellung von Covid-19-Impfstoffen zu teilen. In Italien ist die Zustimmung für ein solches Vorgehen mit 82 Prozent am höchsten, gefolgt von Kanada, wo 76 Prozent der Befragten zustimmen.

In Großbritannien wollen 74 Prozent der Befragten, dass die Regierung eine Monopolstellung großer Pharmaunternehmen verhindert, obwohl Premierminister Boris Johnson die erfolgreiche Impfstoffkampagne in seinem Land auf "Gier und Kapitalismus" zurückgeführt hatte. Die Forderung nach einer gerechten Verteilung von Impfstoff-Knowhow wird in Großbritannien aus allen politischen Lagern laut: 73 Prozent der Wähler_innen der Konservativen, 83 Prozent der Labour-Partei und 79 Prozent der Liberaldemokraten sprachen sich dafür aus; ebenso 83 Prozent derjenigen, die beim EU-Referendum gegen den Brexit und 72 Prozent derjenigen, die dafür gestimmt hatten.

Die Regierungen der G7-Staaten haben eine klare menschenrechtliche Verpflichtung, das Leben von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt über die Interessen der von ihnen finanzierten Pharmaunternehmen zu stellen.

Steve
Cockburn
Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International

In den USA, wo Präsident Joe Biden seine "Hoffnung und Erwartung" für den Austausch von Impfstoff-Knowhow geäußert hat, unterstützen 69 Prozent der Öffentlichkeit diesen Ansatz, darunter 89 Prozent der Biden- und 65 Prozent der Trump-Wähler_innen bei den Präsidentschaftswahlen 2020. In Japan sprechen sich 58 Prozent der Befragten für ähnliche Maßnahmen aus.

Auch in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sprach sich eine deutliche Mehrheit dafür aus, mit einer Unterstützung von 70 Prozent in Deutschland und 63 Prozent in Frankreich.

Heidi Chow, leitende Managerin für Kampagnen und Strategie bei Global Justice Now:

"Die Öffentlichkeit will nicht, dass die großen Pharmakonzerne Monopole auf Impfstoffe halten, die größtenteils mit öffentlichen Geldern entwickelt wurden. Diese Impfstoffe sind ein globales öffentliches Gut, das für alle Menschen und überall verfügbar sein sollte. So viel ist der Öffentlichkeit in allen G7-Staaten klar, aber die politischen Entscheidungsträger_innen stecken den Kopf in den Sand, während um sie herum die Menschen sterben."

Trotz der breiten Unterstützung für den Austausch von Impfstoff-Knowhow fördern die G7-Regierungen weiterhin eine Monopolstellung der Pharmaunternehmen bei der Herstellung von Covid-19-Impfstoffen.

Mehr als 100 Länder, angeführt von Indien und Südafrika, haben sich bei der WTO für einen vorübergehenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte an Covid-19-Impfstoffen eingesetzt, aber der Vorschlag wurde von Ländern wie den USA, Großbritannien, Japan, Kanada und der EU blockiert. Die Biden-Regierung hat jedoch bestätigt, dass sie den amerikanischen Widerstand gegen die Ausnahmeregelung bei Patentrechten für Impfstoffe überdenken will.

Das Bild zeigt Menschen mit Protestschildern und in Schutzanzügen

Pharmaunternehmen weigern sich nach wie vor, ihr Impfstoff-Knowhow mit der Welt zu teilen. Bislang ist kein Unternehmen mit einem erfolgreichen Impfstoff dem Covid-19 Technology Access Pool (C-TAP) der Weltgesundheitsorganisation beigetreten, der eingerichtet wurde, um den Austausch von Wissen über Impfstoffe und Behandlungsmöglichkeiten zu erleichtern.

Saoirse Fitzpatrick, Lobby-Expertin bei STOPAIDS:

"Die entsetzliche Situation in Indien sollte die G7-Staats- und Regierungschef_innen bis ins Mark erschüttern. Jetzt ist nicht die Zeit, um die Regeln für geistiges Eigentum ideologisch zu verteidigen. Bilaterale Abkommen mit Pharmaunternehmen haben nicht funktioniert. Die Regierungen müssen eingreifen und die Pharmakonzerne dazu zwingen, ihr geistiges Eigentum und ihr Knowhow über Impfstoffe mit der Welt zu teilen."

Als vorsitzende Nation des G7-Treffens hat Großbritannien einen Pandemie-Vorsorgeplan vorgelegt, der diese Woche von den Minister_innen diskutiert werden soll. Dieser klammert das Thema Monopole und geistiges Eigentum jedoch aus. Während Pharmakonzerne wie Pfizer an der Ausarbeitung des Entwurfs beteiligt waren, wurden Regierungen von Entwicklungsländern und Impfstoffhersteller nicht gebeten, sich an dem Projekt zu beteiligen.

Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International:

"Die Regierungen der G7-Staaten haben eine klare menschenrechtliche Verpflichtung, das Leben von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt über die Interessen der von ihnen finanzierten Pharmaunternehmen zu stellen. Es wäre ein grober Fehler der Staats- und Regierungschef_innen, den Austausch lebensrettender Technologien weiterhin zu blockieren, und würde nur dazu beitragen, den unermesslichen Schmerz und das Leiden, das durch diese Pandemie verursacht wird, zu verlängern."

Im vergangenen Monat appellierten 175 ehemalige Staatschef_innen sowie Nobelpreisträger_innen an Präsident Biden, sich für eine vorübergehende Aufhebung der geistigen Eigentumsrechte für Covid-19-Impfstoffe einzusetzen. Zu den Unterzeichner_innen des Appells gehören auch Gordon Brown, Ellen Johnson Sirleaf und Francoise Hollande.

150 Vertreter_innen verschiedener Glaubensrichtungen, darunter Rowan Williams, der ehemalige Erzbischof von Canterbury, Thabo Makgoba, der anglikanische Erzbischof von Kapstadt, und der römisch-katholische Kardinal Peter Turkson, haben die Staats- und Regierungschef_innen der G7-Staaten aufgefordert, Covid-19-Impfstoffe als "globales Gemeinschaftsgut" zu behandeln.

Anna Marriott, Gesundheitsexpertin bei Oxfam:

"In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sterben Menschen zu Tausenden, während die reichen Nationen die Schlange beim Impfen überspringen. Die G7-Staats- und Regierungschef_innen müssen der Realität ins Auge sehen. Wir haben nicht genug Impfstoffe für alle, und das größte Hindernis für die Erhöhung der Impfstoffmenge ist, dass einige wenige profitgierige Pharmakonzerne die Patente zur Herstellung von Vakzinen unter Verschluss halten. Es ist an der Zeit, die Regeln des geistigen Eigentums aufzuheben, die Produktion hochzufahren und das Leben der Menschen über den Profit zu stellen. Es ist Zeit für einen Impfstoff für alle."

Zwei Drittel der befragten weltweit führenden Epidemiolog_innen warnten, dass die fortgesetzte Ausbreitung des Virus den impfstoffresistenten Stämmen von Covid-19 erlauben könnte, unsere derzeitigen Impfstoffe innerhalb eines Jahres unwirksam zu machen. Das unabhängige Unternehmen SAGE, das die britische Regierung in Fragen der öffentlichen Gesundheit berät, hat einen Patentverzicht gefordert, um die Versorgungsprobleme zu lösen.

Moderna, BioNtech/Pfizer, Johnson & Johnson, Novovax und Oxford/AstraZeneca haben Milliarden an öffentlichen Geldern und garantierten Vorbestellungen erhalten, darunter allein 12 Milliarden US-Dollar von der US-Regierung. Schätzungsweise 97 Prozent der Finanzierung des Impfstoffs von Oxford/AstraZeneca kamen aus öffentlichen Mitteln.

Die genannten Unternehmen haben in diesem Jahr insgesamt 26 Milliarden US-Dollar in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen an ihre Aktionär_innen ausgeschüttet – genug, um mindestens 1,3 Milliarden Menschen zu impfen, was der Bevölkerung von Afrika entspricht.

Hintergrundinformationen

Die People's Vaccine Alliance hat Umfragen aus allen G7-Ländern analysiert, die von YouGov, Leger360 und dem Nippon Research Center durchgeführt wurden.

Auf die Frage, ob sie die Aussage "Die Regierungen sollten jeden Covid-19-Impfstoff, der von einem pharmazeutischen Unternehmen entwickelt wurde, fair bezahlen, aber sicherstellen, dass die Unternehmen kein Monopol haben, indem sie die Impfstoffzusammenstellung und Technologie mit anderen zugelassenen Unternehmen teilen" unterstützen, gaben die Befragten folgenden Antworten (nach Land und Umfrageinstitut aufgeschlüsselt):

Großbritannien (YouGov):

Anzahl der Befragten: 1.788 Erwachsene

Umfragezeitraum: 23. – 24. Februar 2021

74 % stimmten der Aussage zu. 73 % der Wähler_innen der Konservativen, 83 % der Labour-Partei und 79 % der Liberaldemokraten ebenso wie 83 % der Anti-Brexit- und 72 % der Pro-Brexit-Wähler_innen beim EU-Referendum.

Frankreich (YouGov):

Anzahl der Befragten: 1.010 Erwachsene

Umfragezeitraum: 24. – 25. Februar 2021

63 % stimmten der Aussage zu.

Deutschland (YouGov):

Anzahl der Befragten: 2.039 Erwachsene

Umfragezeitraum: 24. – 26. Februar 2021

70 % stimmten der Aussage zu.

USA (YouGov):

Anzahl der Befragten: 1.351 Erwachsene

Umfragezeitraum: 23. – 24. Februar 2021

69 % stimmten der Aussage zu. 82 % der Biden-Wähler_innen und 65 % der Trump-Wählerinnen 2020.

Italien (YouGov):

Anzahl der Befragten: 1.019 Erwachsene

Umfragezeitraum: 4. – 5. März 2021

82 % stimmten der Aussage zu.

Kanada (Leger360):

Anzahl der Befragten: 1.526 Erwachsene

Umfragezeitraum: 5. – 7. März 2021

76 % stimmten der Aussage zu.

Japan (Nippon Research Center):

Anzahl der Befragten: 1,278

Umfragezeitraum: 17. März 2021

58 % stimmten der Aussage zu.

 

Die People's Vaccine Alliance ist ein Zusammenschluss von Gesundheits-, humanitären und Menschenrechtsorganisationen, ehemaligen und aktuellen Staatschef_innen, Gesundheitsexpert_innen, Religionsvertreter_innen und Wirtschaftswissenschaftler_innen, der sich dafür einsetzt, dass Covid-19-Impfstoffe schnell und in großem Umfang als globales Allgemeingut hergestellt werden und frei vom Schutz geistigen Eigentums und für alle Menschen in allen Ländern kostenlos verfügbar sind.

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