Aktuell Bosnien und Herzegowina 18. August 2014

Keine faulen Kompromisse beim Gesetz über "sichere Herkunftsstaaten"!

Familie vor Zwangsräumung in der Roma-Siedlung Belvil im Zentrum von Belgrad.

Familie vor Zwangsräumung in der Roma-Siedlung Belvil im Zentrum von Belgrad.

Von Selmin Çalışkan, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.

Der Bundestag hat es schon beschlossen und der Bundesrat soll es am 19. September besiegeln: Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina sind "sichere Herkunftsstaaten" - per Gesetz. Für den Bundesinnenminister Thomas de Maizière "eine vernünftige und gebotene Maßnahme". Aber kann es vernünftig sein, Länder für "sicher" zu erklären, weil von dort mehr Asylsuchende kommen als früher? Kann es vernünftig sein, Länder für sicher zu erklären, in denen die Minderheit der Roma ausgegrenzt und diskriminiert wird? Nein.

Das ganze Konzept der sicheren Herkunftsstaaten – eingeführt 1992 im Rahmen des sogenannten Asylkompromisses – ist ein Angriff auf ein faires Verfahren. Es sollte ermöglichen, dass – neben vielen anderen Restriktionen im Asylrecht – bestimmte Asylanträge schneller und weniger gründlich bearbeitet werden können. In der Regel lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylanträge aus solchen Ländern als offensichtlich unbegründet ab. Eine faire Prüfung des Einzelfalles, auf die man gesetzlich in Deutschland Anspruch hat, wird so verhindert. Dabei ist es doch dieses Prinzip – auf die individuelle Lebenssituation eines Menschen zu schauen und auf seine Rechte achtend eine Entscheidung zu treffen –, das unseren Rechtsstaat ausmacht. Deshalb lehnt Amnesty International das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich ab.

Das neue Gesetz ist aber nicht nur ein Schritt in die falsche Richtung, weil es ein falsches Konzept weiter ausdehnt – bisher galten neben den EU-Staaten, schon Ghana und der Senegal als sichere Herkunftsländer. Es kommt auch mit einer gefährlichen Begründung: Die Bundesregierung schließt nicht etwa aus einer gründlichen Analyse der Situation in den Ländern, dort gäbe keine Verfolgung. Sie begründet das Gesetz mit den steigenden Asylantragszahlen aus den Westbalkan-Staaten und einer geringen Anerkennungsquote. Dass nur wenige der Asylbewerber anerkannt wurden, ist aber kein Beweis für die "Sicherheit" in Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Eher ein Beleg dafür, dass schon jetzt die Asylanträge nicht ausreichend geprüft werden.

Denn die Menschenrechtslage in Mazedonien, Serbien und Bosnien sieht alles andere als rosig aus. Gerade Roma sind nicht "sicher" vor Verfolgung. Sie sind strukturell benachteiligt, leben am Rande der Gesellschaft. Oft buchstäblich: Am Rand von Städten, in Industriegebieten, manche Familien auf der Müllkippe. Oft sind sie damit praktisch abgeschnitten vom Arbeitsmarkt, von medizinischer Versorgung und die Kinder von vernünftiger Schulbildung. Dazu kommt, dass die Regierungen sie nicht vor rassistischen Angriffen schützen und Politiker teilweise die Vorurteile gegen sie noch schüren. In der Summe können diese mehrfachen Diskriminierungen – auch nach den strengen Maßstäben des Asylrechts - eine Verfolgung darstellen. Dann haben die Betroffenen das Recht, Schutz zu suchen und zu finden. Auch bei uns.

Statt die Situation im Westbalkan ernst zunehmen und die Beitrittsverhandlungen zur EU zu nutzen, um die Situation dort zu verbessern, stellt die große Koalition mit dem Gesetz den Staaten einen Persilschein aus. Und nicht nur das: Sie versucht, Schutzbedürftige untereinander auszuspielen. Es gebe ein wachsendes Unverständnis für die "Arbeitsmigranten" aus den Westbalkan-Staaten, sagt de Maizière. Verantwortungsvolle Asylpolitik müsse darauf ausgerichtet sein, die große Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft in Deutschland für die "wirklich Schutzbedürftigen" zu erhalten. Die Roma zählen für unsere Regierung offenbar nicht dazu.

Stattdessen fallen Wörter wie "Armutsflüchtlinge" und "Scheinasylanten". Und auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird, im Effekt werden durch die Asylrechtsverschärfungen und ihre Begründung Roma zusätzlich stigmatisiert. Wohlwissend, dass diese Menschen kaum Fürsprecher haben. Auch hierzulande sind viele Roma gegenüber ablehnend eingestellt. So besteht die Gefahr, dass auf dem Rücken der Roma ein gefährliches Beispiel geschaffen wird und noch mehr Schutzsuchenden die Tür zugeschlagen wird. Als weitere "sichere" Staaten sind schon Albanien und Montenegro im Gespräch.

Nun gab es viele Politiker, nicht nur in der Opposition, die verstanden haben, dass kein deutsches Gesetz aus einem Land ein "sicheres" Land machen kann: Auch 35 SPD-Abgeordnete erklärten, dass sie die Argumente zur Sicherheit in den Westbalkan-Staaten nicht teilen. Das Gesetz sei ein "schwieriger Kompromiss" gewesen, um andere Verbesserungen für Flüchtlinge und Geduldete im Koalitionsvertrag durchzusetzen, erklärte der SPD-Flüchtlingspolitiker Rüdiger Veit. Aber der Kompromiss ist mehr als schwierig, er ist faul. Hier wird versucht, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen, die nur ihr Recht wahrnehmen bei uns Schutz zu suchen.

Noch kann der Bundesrat verhindern, dass mit Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina Staaten per Gesetz als sicher erklärt werden, in denen gerade Roma nicht sicher vor Verfolgung sind. Dazu sind am 19. September vor allem die Grünen in den rot-grünen Landesregierungen gefragt. Ihre politische Glaubwürdigkeit beim Einsatz von Flüchtlingen steht auf dem Spiel. Die Länder-Grünen sollten sich asylpolitische Grundsätze nicht mit Verbesserungen in anderen Bereichen abkaufen lassen, sondern die Aussagen ihrer flüchtlingspolitischen Sprecherin im Bundestag, Luise Amtsberg, ernst nehmen: Sie warf der Bundesregierung vor, mit dem neuen Gesetz dem Asylrecht einen "finalen Todesstoß" zu versetzen. Dem kann sich Amnesty nur anschließen.

Dieser Kommentar ist am 15. August 2014 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau erschienen.

Weitere Informationen:

Lesen Sie hier den Brief von Amnesty an Grüne & Linke

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