Amnesty Journal Niederlande 28. Mai 2013

Neue Hoffnung im Nigerdelta

Seit mehr als fünfzig Jahren laufen in ­Nigeria täglich Tausende Liter Erdöl aus Pipelines des Shell-Konzerns aus. Jetzt wurde Shell von vier nigerianischen Fischern vor ein Gericht in Den Haag gebracht. Das Urteil: Der Konzern muss in einem der Fälle Schaden­ersatz leisten.

Von Heiko Keil

Eric Dooh wollte es nicht stillschweigend ertragen. Das Erdöl hatte seinem Heimatdorf Goi keine Chance gelassen: Nachdem 2004 in einer Shell-Pipeline ein Leck aufgetreten war, hatte sich das Dorf im Nigerdelta in einen Geisterort verwandelt. Zuerst verschwanden die Fische und später die Menschen, die von der Fischerei gelebt hatten. Dooh und drei weitere Fischer, deren Heimatdörfer ebenfalls von Verschmutzungen betroffen sind, reichten bei einem Gericht in Den Haag Klage gegen Shell ein. Sie forderten von dem Konzern, die Verschmutzungen zu beseitigen, Schadenersatz zu zahlen und die Pipelines in Zukunft besser zu warten. Dass es überhaupt zu dem Prozess kam, ist bereits eine kleine Sensation: Es war das erste Mal, dass sich ein großer Konzern wegen Umweltschäden in einem Entwicklungsland vor einem europäischen Gericht verantworten musste.

Doch Shell wies die Verantwortung für die Schäden zurück. Der niederländisch-britische Ölkonzern erklärte, in den meisten Fällen seien nicht Wartungsmängel, sondern Sabotageakte durch Rebellen oder Öldiebe für die Lecks verantwortlich. Die Kläger und NGOs sehen das anders. Zwar ist Sabotage einer der Gründe dafür, dass so häufig Öl ausläuft, aber wohl nicht die Hauptursache. Nach Erkenntnissen von Amnesty führen vor allem veraltete Rohre, die schlecht gewartet werden, immer wieder zu katastrophalen Verschmutzungen in der Region. Die Folge: Tiere verenden, Felder und Bäume werden zerstört, und die Menschen erkranken an Ekzemen oder Krebs.

"Wir wollen, dass die bei uns ordentlich sauber machen", sagte Eric Dooh vor der Urteilsverkündung. Doch dazu wird es erst einmal nicht kommen. Das Gericht sprach Ende Januar den Mutterkonzern frei. Allerdings wurde die nigerianische Tochtergesellschaft von Shell in einem der Fälle verurteilt, Schadenersatz zu zahlen. In den anderen Fällen sah das Gericht Sabotage als Ursache für die Öl­lecks. Nach nigerianischem Recht haften Ölunternehmen in solchen Fällen nicht. Den Klägern fehlten einfach die Mittel, um zu beweisen, dass nicht etwa Sabotage, sondern mangelnde Instandhaltung der Pipelines zum Ölaustritt führte. Unabhängige Untersuchungen vor Ort gibt es in solchen Fällen fast nie. Die Gemeinden erhalten keinen Einblick in die Akten des Konzerns. So musste sich das Gericht schließlich auf die Beweisführung Shells verlassen.

Dennoch gibt das Urteil Hoffnung für die Zukunft. Dass zumindest einer der Kläger Recht bekam, könnte dazu führen, dass auch viele andere Betroffene in der Region zukünftig gegen Ölkonzerne vor Gericht ziehen. Außerdem hat die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft kürzlich festgestellt, Nigeria unternehme nicht genug gegen die negativen Auswirkungen der Ölförderung. Daher könnte es bald zu strengeren Gesetzen in diesem Bereich kommen. Somit wird Shell möglicherweise zukünftig auch für Schäden, die durch Sabotage der Pipelines entstehen, haften. Eric Dooh und die anderen beiden Nigerianer, deren Klage abgewiesen wurde, wollen in Berufung gehen. Das Urteil war ein kleiner Schritt nach vorn, ein größerer könnte bald folgen.

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