Amnesty Journal Russische Föderation 30. Januar 2023

Vom Recht, nicht zu töten

Ein junger Mann mit halblangem Haar trägt ein T-Shirt und steht vor einem Poster, auf dem ein Schriftzug und Himmel abgebildet sind.

Alexander Belik hat seinen Wehrdienst verweigert und hilft allen, die es ihm gleichtun wollen.

Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, doch die Teilmobilisierung in Russland zwingt viele Männer an die Waffe. Alexander Belik hat schon vor vielen Jahren seinen Wehrdienst verweigert und hilft seitdem allen, die es ihm gleichtun wollen.

Von Hannah El-Hitami

Alexander Belik hat noch nie verstanden, warum er Militärdienst leisten sollte. "Ich habe das als einen Job gesehen, für den Leute bezahlt werden, die ihn machen wollen", sagt der 25-jährige im Video-Interview. "Und ich möchte ihn eben nicht machen." Zudem habe er homofeindliche Übergriffe gefürchtet. "Die russische Armee ist kein sicherer Ort für LGBTI+."

Belik, schlank, mit kinnlangem Haar, das er locker hochgesteckt trägt, koordiniert die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer in Russland. Zwei Jahre könnte er noch zum Wehrdienst eingezogen werden, dann ist er 27 und davon befreit. Doch momentan ist er für das russische Militär nicht erreichbar, denn seit einigen Monaten lebt Belik in Estlands Hauptstadt Tallinn.

"Ich machte ihnen klar, dass ich ein Unruhestifter bin"

Eigentlich ist es in Russland nicht so schwierig, den Wehrdienst zu verweigern, denn als Alternative gibt es einen Zivildienst. Bis vor Kurzem habe man sich ohnehin keine großen Gedanken um die Einberufung machen müssen, sagt Belik: "Meistens vergessen sie dich, und du kannst sie auch vergessen, bis du 27 bist und dir die Befreiung holst." Belik entschied sich aber für den Weg der Konfrontation – er wollte offiziell verweigern: "Ich machte ihnen klar, dass ich ein Unruhestifter bin", erzählt er.

Seit seiner Musterung im Alter von 18 Jahren erschien er bei der Musterungsbehörde stets mit Kamera und filmte alles. Er schreibe Beschwerden, melde Fehlverhalten der Behörde an das Verteidigungsministerium. "Sie haben Angst vor mir", sagt er mit einem Lächeln. "Denn ich kenne jedes Gesetz, dem sie unterliegen." Vier Jahre lang hat Belik in St. Petersburg Jura studiert. Doch das Wissen, das er als Kriegsdienstverweigerer und Aktivist benötige, lerne man nicht im Studium, sagt er. Das habe er sich dank seiner Menschenrechtsarbeit selbst angeeignet.

Am 24. Februar 2022 habe ich beschlossen, dass ich in den nächsten Jahren alles dafür tun werde, dass möglichst viele Menschen den Dienst in der russischen Armee verweigern.

Alexander
Belik
Aktivist

Diese führt er nun aus dem Ausland fort: Er unterstützt andere Russen dabei, sich dem Militärdienst zu entziehen. Belik gibt Tipps und verteilt Anleitungen. "Man muss viele Stellungnahmen schreiben, und wir zeigen, wie die aussehen müssen", sagt Belik. Auf ihrer Website haben er und seine Mitstreiter*innen Materialien und Vordrucke gesammelt. Regelmäßig machen sie Live-Beratungen auf YouTube, klären Menschen über ihre Möglichkeiten auf. "Das sind nicht alles Pazifisten", sagt Belik. "Viele verweigern, weil sie gegen das  Putin-Regime sind und es nicht unterstützen wollen."

Unmittelbar nach der Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 habe sich die Anzahl der Personen verdoppelt, die den Kriegsdienst verweigern und dafür Beliks Hilfe in Anspruch nehmen wollten. "Plötzlich erinnerten sich viele, dass ihnen noch der Wehrdienst bevorsteht", sagt Belik. Doch nach anfänglicher Panik habe sich die Lage wieder beruhigt. "Die Leute verstanden, dass sie nichts zu befürchten hatten. Man kann immer noch problemlos verweigern."

300.000 Reservisten für den Krieg in der Ukraine

Mit der Teilmobilmachung dürfte die Sorge unter Männern im wehrfähigen Alter jedoch wieder gewachsen sein. Im September verkündete der russische Präsident Wladimir Putin, nach und nach 300.000 Reservisten für den Krieg in der Ukraine zu mobilisieren. Davon betroffen sind Männer, die bereits ihren Wehrdienst geleistet haben. Hunderttausende Russen verließen daraufhin das Land. Es gibt zwar Frauen im russischen Militär, aber die werden nicht einberufen, sie sind Berufssoldatinnen. Die EU-Mitgliedsstaaten sind sich indes noch uneins darüber, ob russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in der EU Asyl bekommen sollen.

Für Verweigerer wie Belik war von Anfang an klar, dass er Russland verlassen musste. "Ich lehne Krieg kategorisch ab", schrieb er kurz vor seiner Ausreise im April. "Am 24. Februar 2022 habe ich beschlossen, dass ich in den nächsten Jahren alles dafür tun werde, dass möglichst viele Menschen den Dienst in der russischen Armee verweigern."

Hannah El-Hitami ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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