Amnesty Journal Myanmar 23. Mai 2022

Mutiges Kino

Eine demonstrierende Person mit langen Haaren hält drei Finger der rechten Hand hoch und steht dabei einer Gruppe von Sicherheitskräften gegenüber, die Helme tragen und  Schilder, auf denen "Police" geschrieben steht.

Akt des Widerstands: Die "Myanmar Diaries" zeigen den gefährlichen Protest unter einem Militärregime.  

Der Berlinale-Filmpreis von Amnesty International ging in diesem Jahr an den Dokumentarfilm "Myanmar Diaries". Eine lobende Erwähnung gab es für "Mein kleines Land".

Von Jürgen Kiontke

Sag ich es ihm, sag ich es ihm nicht …" Eine junge Frau zählt Bubble-Tea-Blasen ab. Sie ist schwanger und überlegt, ob sie das ihrem Freund mittteilen soll. Denn der ist gerade anderweitig beschäftigt: Er hat beschlossen, sich der Guerilla im Dschungel anzuschließen und gegen die Militärregierung in Myanmar zu kämpfen. Seit dem Putsch am 1. Februar 2021 herrscht in dem Land eine beispiellose Repression. Nach Erkenntnissen von Amnesty International geht das Militärregime brutal gegen Aktivist_innen und Journalist_innen vor, nimmt sie in Haft und tötet sie. Wer auf die Straße geht und demonstriert, läuft Gefahr, erschossen zu werden.

Ein Filmkollektiv, das aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, hat die ­aktuelle Situation dokumentiert und eine Kopie seiner "Myanmar Diaries" (NL/MMR/NOR 2022) außer Landes geschafft. Die jungen Filmemacher_innen verstehen ihre Arbeit als Akt des Widerstands. Ihr Werk handele vom "frühlingshaften Traum" von Freiheit in Myanmar, "vom Enthusiasmus und von der Hoffnung einer jungen Generation, die brutal niedergeschlagen wurde".

Hybrides Format: Gespielt und dokumentiert

Das hybride Filmformat aus gespielten und dokumentarischen Szenen gewährt einen Blick auf die landesweiten Proteste und den zivilen Ungehorsam. Dabei werden auch Handyfilme von Bürger_innen verwendet, die brutale Übergriffe des Militärs auf die Zivilbevölkerung zeigen: Bei Demonstrationen wird scharf geschossen; Kinder verhandeln mit Soldaten, damit diese ihre Eltern nicht zum Verhör mitnehmen. Wegen solch eindrücklicher Szenen gewannen die "Myanmar Diaries", die im Februar bei der Berlinale in der Sektion Panorama liefen, den mit 5.000 Euro dotierten Filmpreis von Amnesty International.

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Mutig sind alle Beteiligten, die unter Lebensgefahr diesen Film produziert haben, mutig sind die Menschen, die dieser Film porträtiert und die sich dem Militärregime in Myanmar entgegenstellen.

Amnesty-Filmpreis Jury

Die Jury, der in diesem Jahr der Regisseur Franz Böhm, die Schauspielerin Eva Meckbach und die Amnesty-Referentin Ines Wildhage angehörten, bezeichnete den Film als beeindruckend investigativ und zutiefst mutig: "Mutig sind alle Beteiligten, die unter Lebensgefahr diesen Film produziert haben, mutig sind die Menschen, die dieser Film porträtiert und die sich dem Militärregime in Myanmar entgegenstellen." Außerdem habe das Filmkollektiv eine ganz eigene Dramaturgie und Bildsprache dafür gefunden, wie man es schaffe, Menschen zu zeigen, ohne sie zu zeigen.

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Mit einer lobenden Erwähnung bedachte die Jury den äußerst sehenswerten japanischen Film "My Small Land" (J 2022). Im Mittelpunkt steht eine kurdische Familie, die in die Mühlen der japanischen Bürokratie gerät, nachdem ihr der Aufenthaltsstatus entzogen wurde. Die Jury lobte insbesondere die hervorragend spielende 18-jährige Lina Arashi. Dem stark erzählten Film gelinge es, "den inhumanen Umgang mit Geflüchteten anzuprangern". Für den Amnesty-Filmpreis waren insgesamt 15 Filme nominiert, viele von ihnen beschäftigten sich mit Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen.

Informationen zum Filmpreis von Amnesty International: www.amnesty.de/der-amnesty-filmpreis-auf-der-berlinale-2022

Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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Murat ist weg

"Murat, aufstehen. Essen ist fertig." Rabiye Kurnaz steht im Zimmer und fragt sich, wo ihr Sohn abgeblieben ist. Seine Abwesenheit ist ernst: Murat Kurnaz hatte eine Ausbildung bei einem Bremer Bootsbauer begonnen und war dann auf einen Selbstfindungstrip nach Pakistan gegangen – zu einem ungünstigen Zeitpunkt, kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Murat Kurnaz geriet ins Visier der pakistanischen Polizei, die ihn an die US-Streitkräfte in Afghanistan übergab. Im Januar 2002 war er einer der ersten Gefangenen im Lager Guantánamo Bay auf Kuba, das die USA kurz zuvor eingerichtet hatten. Seine Mutter Rabiye kämpfte resolut um die Freilassung ihres Sohnes, die von deutscher Seite behindert wurde: 2002 sollte Kurnaz nach Deutschland abgeschoben werden, die Behörden lehnten seine Aufnahme jedoch ab. Insgesamt fünf Jahre wurde Kurnaz in Guantánamo verhört und gefoltert.

Mit seinem Spielfilm "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" hat Regisseur Andreas Dresen der kämpferischen Mutter, die vom Bremer Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke unterstützt wurde, ein Denkmal gesetzt. Der Film erweist sich als Tour de Force durch den deutschen und amerikanischen Gesetzes­dschungel. Die Rolle der Protagonistin ist mit der Schauspielerin und Comedienne Meltem Kaptan glänzend besetzt. Der Regisseur selbst spielt einen US-Richter. Beider Hang zur Alltagskomik lassen zuweilen Zweifel da­ran aufkommen, ob der Film eine ernst­hafte Kritik an Missständen beabsichtigt. Diese Dissonanz wurde anlässlich der Premiere auf der Berlinale stark diskutiert: Ob dies das richtige Format sei, fragte sich die Kritik. Zugleich wirkt der Film damit wie ein Kommentar auf das Gefangenenlager Guantánamo und dessen abs­truse Rechtsgrundlage. Insofern scheint jedes Mittel recht, das Thema wieder ins Bewusstsein zu bringen. Chapeau, Frau Kaptan und Herr Dresen!

"Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush". D/F 2022. Regie: Andreas Dresen, Darsteller: Meltem Kaptan, Alexander Scheer. Kinostart: 28. April 2022.

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