Amnesty Journal Indien 17. April 2023

Für ein besseres Indien

Ein indischer Mann mit Halbglatze trägt ein kariertes Flanellhemd, darüber einen V-Neck-Pullover und ein Sakko, sowie ein Brille; er steht vor einer Wand, im Hintergrund eine Zimmerpflanze.

Nach einem Forschungsaufenthalt in Deutschland ist der Menschenrechtsaktivist Harsh Mander nach Indien zurückgekehrt. Dort will er sich vor allem gegen die Diskriminierung von Muslim*innen einsetzen.

Von Elias Dehnen

"Warum ich nach Indien zurückkehre?" Harsh Mander lächelt. "Das fragen mich auch meine Familie, Freunde und Anwälte." Es ist Sommer im Jahr 2022 und der indische Menschenrechtsaktivist, Dozent und Autor hat gerade seinen Forschungsaufenthalt in der Robert-Bosch-Academy in Berlin abgeschlossen. Im Fokus standen die deutsche Erinnerungskultur und mögliche Lehren für politische Konflikte in ­Indien.  Er spricht mit weicher Stimme, gelassen, aber entschieden: "Ich will weiter für ein Indien einstehen, das seiner Verfassung gerecht wird."

Die vergangenen zwei Jahre waren turbulent für den 67-Jährigen, der 2022 für den Friedensnobelpreis nominiert war. Kaum hatte er im September 2021 das Flugzeug nach Deutschland bestiegen, durchsuchten Sicherheitskräfte seine Wohnung und sein Büro im Centre for Equity Studies in Delhi, einem Institut, das Fragen sozialer Gerechtigkeit erforscht. "Die indische Regierung versucht, mich mundtot zu machen, sie wirft mir absurde Verbrechen vor, ohne Beweise vorlegen zu können", sagt der Aktivist. Volksverhetzung, Aufruhr, Geldwäsche – die Liste seiner angeblichen Vergehen ist lang.

Viele Jahre im Staatsdienst

Mander war viele Jahre lang auf höchster Ebene im Staatsdienst tätig, bis er 2002 nach einem Massaker in Gujarat aus Protest gegen die Regierung kündigte. Von 2005 bis 2017 war er Sonderbeauftragter des Obersten Gerichtshofs. Heute wirft er dem Gericht vor, Menschenwürde, Gleichberechtigung und ­Säkularismus nicht ausreichend zu verteidigen. Seine frühere Arbeit bereut er dennoch nicht: "Wir dürfen diese Institutionen nicht aufgeben."

Der Menschenrechtler sieht sich in der Tradition Mahatma Gandhis. Seit der Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes im Jahr 2019 müssen viele in Indien lebende Muslim*innen Ausweispapiere haben, um ihre Staatsbürgerschaft nachzuweisen, während andere Minderheiten diese nicht benötigen. Mander, der nicht muslimisch ist, möchte sich bald als Muslim registrieren lassen – aus Solidarität. "Danach werde ich meine Papiere nicht vorzeigen und die Strafe dafür öffentlich einfordern", sagt er. Wenn die Behörden Muslim*innen die Staatsbürgerschaft verweigerten, dann müssten sie dies auch bei ihm tun: "Die ­Alternative ist, das ungerechte Gesetz abzuschaffen. Dem Staat darf keine dritte Möglichkeit bleiben."

Neue Phase der Unterdrückung

Mit dem Amtsantritt von Narendra Modi als Premierminister begann 2014 eine neue Phase der Unterdrückung von Muslim*innen. Die Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) fördere den Hindu-Nationalismus und verbreite Hass auf die muslimische Minderheit, sagt Mander. Seine Eltern waren Sikhs und lebten im Distrikt Rawalpindi, der heute zu Pakistan gehört. Im Zuge der Teilung Indiens 1947 wurden sie von Muslim*innen ­gewaltsam vertrieben und zogen in die indische Stadt Shillong. Die Familie Mander hat also selbst Diskriminierung erlebt: "Wir haben Gräueltaten erlitten und fühlen nun mit den Muslim*innen wegen des Unrechts, das ihnen heute widerfährt." Für diese Haltung wird Mander auch in der eigenen Familie kritisiert.

Ein Mittel gegen den Hass seien multiple Identitäten, sagt er: "So können wir nicht in Schubladen gesteckt werden, die radikale Politiker*innen nutzen, um zu spalten." So trage ­seine Tochter, die sich ebenfalls für Menschenrechte engagiert, einen arabischen Namen: "Viele Leute gehen davon aus, dass sie Muslimin ist, und meine Tochter korrigiert sie nie."  

Als im Jahr 2017 mindestens zehn Muslim*innen Lynch­morden zum Opfer fielen, startete Mander gemeinsam mit ­anderen Friedensaktivist*innen eine "Caravan of Love". Auf 30 Reisen durch ganz Indien besuchten sie Hinterbliebene der ­Opfer: "Wir ließen sie spüren, dass sie nicht allein sind; dass ihre Geschichten gehört werden." Anschließend berichteten ­indische Medien vermehrt über die Hassverbrechen. Nach seinem Aufenthalt in Deutschland hat Mander einen Entschluss für seine künftige Arbeit in Indien gefasst: "Die Karawane wird wiederkommen."

Elias Dehnen ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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