Amnesty Journal Deutschland 28. Februar 2024

Wir sind die Brandmauer

Eine Frau mit schulterlangem Haar steht in der Natur und verschränkt ihre Arme vor dem Oberkörper.

Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion

Es braucht eine laute Zivilgesellschaft, die deutlich macht: Rassismus und Menschenverachtung gehen uns alle an. Kolumne von Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.

Von Julia Duchrow

Ein Aufruf ist derzeit allgegenwärtig: "Wir sind die Brandmauer". Es ist eine Aufforderung, sich einzumischen und laut zu werden. Es gilt, jene von der Macht fernzuhalten, deren politisches Geschäft es ist, Hass und Hetze zu verbreiten. 

Bei den Europawahlen im Juni könnten politische Kräfte triumphieren, die die Menschenrechte angreifen. Das Europaparlament war in der Vergangenheit ein Korrektiv gegenüber den EU-Mitgliedstaaten, beim Schutz von Flüchtlingen, Datenschutz oder Menschenrechten in globalen Lieferketten. Künftig könnte es ein Scharfmacher sein. 

Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg droht die AfD, stärkste Kraft zu werden. Dies wäre eine Gefahr für die Demokratie, warnt der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle. Schlimmstenfalls könnte die AfD die Regierung stellen. Erste Meinungsmacher*innen empfehlen der CDU, mit der AfD in den Ländern zu koalieren, um sie zu entzaubern. 

Eine Brandmauer ist also bitter nötig. Schon jetzt sind menschenfeindliche Positionen unüberhörbar, und sie werden in den Wahlkämpfen an Lautstärke gewinnen. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte fragen sich, ob sie in Zukunft in Deutschland leben können, wie und wo sie wollen. Das ist unerträglich. Auch deshalb braucht es eine laute Zivilgesellschaft, die deutlich macht: Rassismus und Menschenverachtung gehen uns alle an! Wir alle gehören zu dieser Gesellschaft und werden nicht zulassen, dass menschenrechtsfeindliche Stimmen weiter den Ton angeben.  

Amnesty International ist parteipolitisch unabhängig, aber radikal parteiisch, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht. Deshalb sind auch wir Teil der Brandmauer. Doch was heißt das?

Es ist an der Zeit, Farbe zu bekennen und Menschen in die Pflicht zu nehmen. Es kommt auf uns an. Jetzt.

Es geht darum, eine klare Grenze zu ziehen. Das Fundament der Brandmauer sind die unveräußerlichen Menschenrechte. Dafür gilt es, jene Menschen im Land aufzurütteln, die eine tolerante und solidarische Gesellschaft wollen. Eine Gesellschaft, die sich dem Schutz der Menschenwürde verschreibt, in der gleiche Rechte für alle gelten, in der es freie Medien gibt, in der jeder Mensch seine Meinung frei äußern und dafür demonstrieren kann. 

Zu solchen Grundfragen gibt es in unserer Gesellschaft einen breiten Konsens, wie der Soziologe Steffen Mau in seinem Buch "Triggerpunkte" zeigt. Überlagert wird dieser Konsens allerdings von emotionalisierten Konfliktthemen, die von Politik und Medien angeheizt werden. Auch deshalb ist es so wichtig, dass sich Politiker*innen klar von Hass und Hetze distanzieren. Ihre Aufgabe ist es, Lösungen zu finden, statt soziale Fragen und Gruppen gegeneinander auszuspielen. Sonntagsreden gegen Diskriminierung reichen nicht. Die Betroffenen brauchen Gehör und Unterstützung. 

Es macht Mut, dass Hunderttausende auf die Straße gehen. Aber ebenso wichtig sind Gespräche: in der Familie, im Verein, bei der Arbeit. Wir müssen unseren Eltern, Kolleg*innen und Kneipenbekanntschaften deutlich machen, dass vieles verschwinden könnte, was sie an dieser Gesellschaft schätzen, auch wenn sie sich wenig um Politik kümmern. Dabei braucht es auch ein offenes Ohr für Ängste, die einige empfänglich für die Botschaften der Spalter*innen und Hetzer*in­nen machen. Aber ebenso eine klare Sprache, dass der Schutz der Menschenrechte die Grundlage unseres Zusammenlebens ist und nur dies für alle ein langfristiges Leben in Würde sicherstellt. 

"Wer wollen wir sein?", fragte  Carolin Emcke kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. Eine Gesellschaft, "in der wir verschieden sein dürfen, ohne ­einander die Menschlichkeit abzusprechen? Das müssen sich alle fragen, die Respekt nur denen zollen wollen, die so aussehen oder glauben oder lieben wie sie selbst." 
Es ist an der Zeit, Farbe zu bekennen und Menschen in die Pflicht zu nehmen. Es kommt auf uns an. Jetzt.

Julia Duchrow ist Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.

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