Drohende Haftstrafen

Ein Poster zeigt verschiedene Menschen, darüber der Schriftzug "India's Heroes Jailed"Poster für die Freilassung der Bhima Koregaon 11 mit deren gezeichneten Portraits

Poster für die Freilassung von Mitgliedern der indischen Menschenrechtsgruppe Bhima Koregaon 11

Ein Professor der Universität von Delhi und zwei Doktoranden der Jawaharlal-Nehru-Universität in Delhi befinden sich in Haft, weil sie auf zwei separaten Veranstaltungen Indien-feindliche Slogans gerufen haben sollen. Bei einem Schuldspruch drohen ihnen lebenslange Haftstrafen. Ein weiterer Student, der aufgrund gleicher Vorwürfe inhaftiert wurde, ist gegen Kaution freigelassen worden.

Appell an

INNENMINISTER
Rajnath Singh
17, Akbar Road
New Delhi, INDIEN
(Anrede: Dear Sir / Sehr geehrter Herr Singh)
Fax: (00 91) 11 230 141 84
E-Mail: 38ashokroad@gmail.com

POLIZEICHEF IN DELHI
Alok Verma

Post Box No. 171
G.P.O. New Delhi, INDIEN
(Anrede: Dear Sir / Sehr geehrter Herr Verma)
Fax: (00 91) 11 237 220 52

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER REPUBLIK INDIEN
S.E. Herr Gurjit Singh
Tiergartenstr. 17
10785 Berlin
Fax: 030–2579 5102
E-Mail: dcm@indianembassy.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hindi, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. April 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte lassen Sie Syed Abdul Rehman Geelani, Umar Khalid und Anirban Bhattacharya sofort und bedingungslos frei und lassen Sie alle gegen sie und Kanhaiya Kumar erhobenen Anklagen fallen.

  • Führen Sie bitte eine zügige, unabhängige und unparteiische Untersuchung zu dem Angriff auf Kanhaiya Kumar vor dem Gerichtsgebäude in Patiala in Neu-Delhi durch und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Immediately and unconditionally release Syed Abdul Rehman Geelani, Umar Khalid, Anirban Bhattacharya, and drop charges against the three individuals and Kanhaiya Kumar.

  • Conduct a swift, impartial and independent investigation into the assault on Kanhaiya Kumar at the Patiala House Court, New Delhi, and bring those responsible to justice.

Sachlage

Laut des ersten Berichts der Polizei von Delhi (First Information Report – FIR) im Zusammenhang mit dem Universitätsprofessor Syed Abdul Rehman Geelani wurde in einem Fernsehbeitrag am 11. Februar 2016 von einer Veranstaltung beim indischen Presseclub zum Jahrestag der Hinrichtung von Afzal Guru berichtet, der schuldig gesprochen worden war, an einem Anschlag auf das indische Parlament 2001 beteiligt gewesen zu sein. Die Polizei gab an, dass Syed Abdul Rehman Geelani eine Gruppe von etwa 50 Personen angeführt habe, die bei der Gedenkveranstaltung Indien-feindliche Slogans gerufen und Afzal Guru als Märtyrer bezeichnet haben soll. Der Professor wurde am 16. Februar festgenommen. Am 20. Februar verweigerte ein Gericht in Delhi ihm die Freilassung gegen Kaution, sodass er sich weiter in Haft befindet.

In dem FIR zu den Doktoranden Kanhaiya Kumar, Umar Khalid und Anirban Bhattacharya gibt die Polizei an, dass bei ihr am 9. Februar 2016 eine Beschwerde über eine Veranstaltung auf dem Campus der Jawaharlal-Nehru-Universität eingegangen sei. Die Veranstaltung war ebenfalls anlässlich des Jahrestags der Hinrichtung von Afzal Guru organisiert worden. Laut der Polizei war am 10. Februar in einem Fernsehbeitrag über die Veranstaltung zu sehen, wie Indien-feindliche Slogans gerufen wurden. Medienberichte zufolge wurden die Nachrichtenbeiträge manipuliert.

Die Polizei von Delhi nahm Kanhaiya Kumar wegen seiner Teilnahme an der Veranstaltung am 12. Februar fest und lud die anderen Studenten, die ebenfalls teilgenommen hatten, vor. Laut Medienberichten und Augenzeug_innen wurde Kanhaiya Kumar von einer Gruppe von Anwält_innen am 17. Februar zusammengeschlagen, als man ihn für eine Anhörung zu einem Gericht in Neu-Delhi brachte. Umar Khalid und Anirban Bhattacharya stellten sich am 23. Februar der Polizei. Gegen sie wurde eine Haftanordnung bis zum 14. März erlassen. Am 29. Februar erklärte die Polizei gegenüber dem Hohen Gericht von Delhi, dass kein Videomaterial vorliege, das beweise, dass Kanhaiya Kumar Indien-feindliche Slogans gerufen hatte. Am 2. März ordnete das Gericht die Freilassung von Kanhaiya Kumar gegen Kaution an.

Der Oberste Gerichtshof von Indien hat geurteilt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nur dann zum Schutze der öffentlichen Ordnung eingeschränkt werden kann, wenn die Äußerungen zu unmittelbarer Gewalt oder Aufruhr anstiften. 2015 erklärte das Gericht: "Das bloße Diskutieren über eine bestimmte Sache oder sogar das Anpreisen dieser, egal wie unbeliebt sie sein mag, ist der Kern [der Meinungsfreiheit]."

Hintergrundinformation

Hintergrund

Syed Abdul Rehman Geelani arbeitet als Professor für Arabisch an der Universität von Delhi. Er war 2001 wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an einem Anschlag auf das indische Parlament festgenommen worden. Amnesty International hatte sich besorgt über Misshandlungen während der Ermittlungsphase im Zusammenhang mit seiner Festnahme geäußert. Im Oktober 2003 sprach das Hohe Gericht von Delhi ihn frei und der Oberste Gerichtshof bestätigte den Freispruch im August 2005.

Kanhaiya Kumar, Umar Khalid und Anirban Bhattacharya sind Doktoranden an der Jawaharlal-Nehru-Universität in Delhi.

Paragraf 124A des indischen Strafgesetzbuchs besagt, dass Aufwiegelung dann vorliegt, wenn jemand "durch gesprochene oder geschriebene Worte, durch Zeichen, durch sichtbare Darstellungen oder anderweitig Hass oder Verachtung schürt oder zu schüren versucht oder zu Unzufriedenheit gegenüber der rechtmäßigen Regierung Indiens anstiftet oder anzustiften versucht." Bei einem Schuldspruch unter diesem Paragrafen droht eine lebenslange Haftstrafe. Das Gesetz wurde während der britischen Kolonialzeit eingeführt, um abweichende Meinungen während des Unabhängigkeitskampfes zu unterdrücken. Mahatma Gandhi, der unter diesem Gesetz inhaftiert wurde, nannte es "den Prinzen unter den politischen Paragrafen des indischen Strafgesetzbuchs, die dazu dienen, die Freiheit der Bürger_innen zu unterdrücken."

Gemäß internationalen Menschenrechtsnormen, die verbindlich für Indien sind, dürfen Staaten das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken, wenn dies zum Beispiel dem Schutz der öffentlichen Ordnung dient. Derartige Einschränkungen müssen jedoch stets nachgewiesenermaßen notwendig und angemessen sein und dürfen das Recht an sich nicht gefährden.

Artikel 19(1) der Verfassung Indiens garantiert allen Bürger_innen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Artikel 19(2) erklärt die öffentliche Ordnung zu einem der Rechtfertigungsgründe für eine mögliche Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Der Oberste Gerichtshof Indiens hat jedoch geurteilt, dass derartige Einschränkungen gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sein müssen. Der Gerichtshof hat zudem erklärt, dass Einschränkungen, die mit der öffentlichen Ordnung begründet werden, nur dann zulässig sind, wenn es eine enge Verbindung zwischen den Äußerungen und der Störung der öffentlichen Ordnung gibt und ein unmittelbares Risiko der Gesetzlosigkeit besteht.

Die gesetzlichen Bestimmungen gegen staatsgefährdende Aktivitäten (Sedition Law) werden weiterhin eingesetzt, um Kritiker_innen und Regierungsgegner_innen zu unterdrücken. Aufeinanderfolgende Regierungen haben es gegen Journalist_innen, Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen eingesetzt.

Im Dezember 2015 brachte ein Parlamentsmitglied einen Gesetzentwurf ein, der vorsieht, dass die Bestimmungen gegen staatsgefährdende Aktivitäten nur dann angewandt werden dürfen, wenn eine unmittelbare Anstiftung zu Gewalt vorliegt. Der Entwurf ist noch anhängig.