Amnesty Report Kroatien 09. Mai 2012

Kroatien 2012

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Kroatien Staatsoberhaupt: Ivo Josipovic Regierungschef: Zoran Milanovic (löste im Dezember Jadranka Kosor im Amt ab) Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 4,4 Mio. Lebenserwartung: 76,6 Jahre Kindersterblichkeit: 5,4 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 98,8%

Die strafrechtliche Verfolgung der während des Kriegs von 1991 bis 1995 begangenen völkerrechtlichen Verbrechen kam nur schleppend voran. Viele der mutmaßlich von Angehörigen der kroatischen Armee und der Polizei gegen kroatische Serben begangenen Verbrechen blieben ungeahndet. Der Präsident und die Justizbehörden unternahmen gewisse Schritte zur Aufarbeitung der Vergangenheit, doch wurden diese Bemühungen von der Regierung kaum unterstützt. Führende Politiker kritisierten vielmehr Urteile internationaler Gerichtshöfe. Angehörige der Roma, kroatische Serben sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender wurden weiterhin Opfer von Diskriminierung.

Hintergrund

Kroatien unterzeichnete im Dezember 2011 den EU-Beitrittsvertrag. Als Beitrittsdatum wurde der 1. Juli 2013 vereinbart. Das Land stand weiterhin unter der Beobachtung der EU. Dabei wurde u.a. geprüft, ob Kroatien seine Zusage erfüllte, die Straffreiheit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden, die in den 1990er Jahren begangen wurden.

Innerstaatliche Verfolgung von Kriegsverbrechen

Die strafrechtliche Verfolgung der während des Kriegs von 1991 bis 1995 begangenen Verbrechen im Sinne des Völkerrechts kam weiterhin nur schleppend voran.

Im Februar verabschiedete die Regierung eine Strategie zur Untersuchung und Verfolgung von Kriegsverbrechen. Im April begann die Staatsanwaltschaft, Pläne zur Umsetzung dieser Strategie zu entwickeln. Neben dem bereits existierenden Gerichtshof in Zagreb nahmen im Mai weitere Sondergerichte in Osijek, Rijeka und Split ihre Arbeit auf, um die wichtigsten Fälle strafrechtlich zu verfolgen.

Die Kapazitäten zur Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen waren jedoch nach wie vor gering. So wurden 2011 nur in fünf Fällen endgültige Urteile gefällt, gegen etwa 370 mutmaßliche Täter wurde noch ermittelt. In rund 540 Fällen befanden sich die Ermittlungen in einem so frühen Stadium, dass noch keine Verdächtigen benannt werden konnten.

Die Gerichte wandten in diesen Fällen weiterhin das Strafgesetzbuch von 1993 an, obwohl es nicht die internationalen Standards erfüllte. Grundlegende strafrechtliche Sachverhalte, wie das Prinzip der Befehlsverantwortung, sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, waren darin nicht präzise definiert. Die Anwendung des Strafgesetzbuchs führte dazu, dass zahlreiche Verbrechen straffrei blieben.

Es gab gewisse Fortschritte bei der psychologischen Unterstützung von Zeugen. Die Zeugenschutzmaßnahmen waren jedoch weiterhin unzureichend. Diejenigen, die für die Einschüchterung von Zeugen verantwortlich waren, wurden nicht vor Gericht gestellt.

  • Der Tod von Milan Levar, der als Zeuge vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) aussagen sollte, wurde nicht gründlich untersucht. Milan Levar, der sich auch dafür eingesetzt hatte, den Opfern des Krieges Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wurde im August 2000 durch einen Sprengsatz getötet, der unter seinem Auto angebracht war. Er hatte zuvor in den Medien den Vorwurf erhoben, Mirko Norac und andere hochrangige Beamte seien für Kriegsverbrechen verantwortlich, die in der Region Lika an kroatischen Serben verübt worden waren. Die Behörden ließen den Opfern von Kriegsverbrechen und ihren Familien keine Entschädigungen zukommen. Den Überlebenden sexueller Gewalt wurde keine psychosoziale Unterstützung oder sonstige Hilfe zuteil; gleichzeitig blieben diejenigen, die für die Verbrechen verantwortlich waren, zumeist straffrei. Bei der strafrechtlichen Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen gegen kroatische Serben konnten die Justizbehörden gewisse Fortschritte erzielen. Es wurden mehrere Ermittlungen eingeleitet, darunter auch zwei, die sich auf Verbrechen bezogen, die in Sisak und in der Pakracka Poljana verübt worden waren.

  • Im Juni 2011 wurden Ermittlungen gegen drei Männer eingeleitet, denen die Tötung kroatisch-serbischer Zivilpersonen in den Jahren 1991 und 1992 zur Last gelegt wurde. Zu den Beschuldigten gehörte D-uro Brodarac, der damalige Polizeichef von Sisak. Alle drei Verdächtigen wurden inhaftiert. D-uro Brodarac starb im Juli in der Haft.

  • Im Juni wurde Tomislav Mercep, der ehemalige Berater des Innenministers und Kommandant einer Sondereinheit des Ministeriums, angeklagt. Er befand sich seit Dezember 2010 in Haft. Mercep wurde beschuldigt, durch seine Befehle bzw. seine Versäumnisse den Tod oder das Verschwindenlassen von 43 kroatisch-serbischen Zivilpersonen in Zagreb und in der Pakracka Poljana verschuldet zu haben. Des Weiteren erhob die Staatsanwaltschaft im Juni Anklage gegen sechs Personen wegen Verbrechen im Sinne des Völkerrechts, die sie während der "Operation Sturm" 1995 begangen haben sollen. Eine strafrechtliche Verfolgung stand bei Jahresende jedoch noch aus. Einem der Beschuldigten wurde Befehlsverantwortung vorgeworfen. Nach Angaben des Kroatischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte kamen bei der "Operation Sturm" mindestens 677 Personen ums Leben. Trotz öffentlich zugänglicher Informationen wurden Vorwürfe, die sich gegen einige hochrangige Militärangehörige und Politiker richteten, nicht untersucht. Einer von ihnen war der stellvertretende Parlamentspräsident Vladimir Seks, dem die Befehlsverantwortung für 1991 in Ostslawonien begangene Verbrechen vorgeworfen wurde. Die Vorwürfe beruhten auf Informationen aus dem Gerichtsverfahren gegen Branimir Glavas. Auch der kroatische General Davor Domazet-Loso musste sich keinen Ermittlungen stellen. Ihm wurde vorgeworfen, als Befehlshaber für Verbrechen im Zuge militärischer Operationen im sogenannten Medak-Kessel 1993 verantwortlich zu sein. Die Beschuldigungen gegen ihn beruhten auf Gerichtsverfahren gegen General Rahim Ademi und General Mirko Norac. Im Oktober verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das Anklagen und andere Rechtsakte gegen kroatische Staatsangehörige wegen völkerrechtlicher Verbrechen auf dem Staatsgebiet der Republik Kroatien für unwirksam erklärt, sofern diese von Behörden Serbiens, des ehemaligen Jugoslawien oder der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee erlassen wurden. Das Gesetz wurde verabschiedet, nachdem die serbischen Justizbehörden die kroatische Staatsanwaltschaft um Mithilfe gebeten hatten im Zusammenhang mit Anklagen, die 1992 vom Militärstaatsanwalt der Jugoslawischen Volksarmee erhoben worden waren. Dazu zählten Anklagen wegen Verbrechen im Sinne des Völkerrechts, die von kroatischen Militär- und Polizeiangehörigen in Gospic begangen wurden. Zu den Angeklagten gehörte auch Vladimir Seks. Das Gesetz verstieß gegen Kroatiens Verpflichtung, in strafrechtlichen Angelegenheiten mit Serbien zusammenzuarbeiten. Es könnte dazu führen, dass von kroatischen Staatsangehörigen begangene völkerrechtliche Verbrechen straffrei bleiben, sollte Kroatien sich weigern, die betreffenden Personen strafrechtlich zu verfolgen oder auszuliefern. Im Oktober kündigte der kroatische Präsident an, er werde das Verfassungsgericht um eine Prüfung der Verfassungskonformität des Gesetzes bitten. Das Gesetz würde es den kroatischen Justizbehörden erlauben, Bitten Serbiens um Rechtshilfe in Strafverfahren zurückzuweisen, wenn eine Zusammenarbeit der kroatischen Rechtsordnung widersprechen würde und der Souveränität und Sicherheit des Landes schaden könnte. Der Justizminister, der befugt wäre, über entsprechende Anträge zu entscheiden, könnte von serbischen Justizbehörden erhobene Anklagen abweisen.

  • Im September 2011 setzte das Justizministerium Mirko Norac auf freien Fuß, nachdem er mehr als zwei Drittel seiner 15-jährigen Haftstrafe wegen Kriegsverbrechen verbüßt hatte. Die Verbrechen, darunter Mord, unmenschliche Handlungen, Plünderung und mutwillige Zerstörung von Eigentum, wurden während Militäroperationen im Jahr 1993 verübt und richteten sich gegen kroatisch-serbische Zivilpersonen und Kriegsgefangene.

  • Branimir Glavas, der 2010 verurteilt wurde, verbüßte weiterhin eine fünfjährige Haftstrafe wegen Verbrechen im Sinne des Völkerrechts, die er gegen kroatische Serben in Osijek verübt hatte.

Internationale Strafverfolgung von Kriegsverbrechen

Vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag waren fünf Verfahren anhängig, die Verstöße gegen das Völkerrecht betrafen, die während des Krieges 1991–95 auf kroatischem Staatsgebiet begangen worden waren.

  • Im April 2011 verurteilte der ICTY die beiden ehemaligen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Sie wurden für schuldig befunden, während und nach der "Operation Sturm" von August bis November 1995 an einem gemeinsamen kriminellen Vorhaben beteiligt gewesen zu sein, das zum Ziel hatte, die ethnisch serbische Bevölkerung dauerhaft aus der kroatischen Region Krajina zu entfernen. Nach Ansicht des ICTY waren die kroatischen Streitkräfte und Spezialeinheiten der Polizei "für zahlreiche Verbrechen" verantwortlich, die während der "Operation Sturm" gegen die serbische Zivilbevölkerung begangen wurden. Ante Gotovina war Generalleutnant der kroatischen Armee und Kommandant des Militärdistrikts Split. Mladen Markac war als leitender Mitarbeiter des Innenministeriums für die Spezialkräfte der Polizei zuständig. Die beiden Männer wurden wegen Verfolgung, Deportation, Plünderung, mutwilliger Zerstörung, Mord, unmenschlichen Handlungen und grausamer Behandlung der serbischen Zivilbevölkerung schuldig gesprochen. Ante Gotovina wurde zu 24 Jahren Haft verurteilt, Mladen Markac zu 18 Jahren. Kroatische Regierungsvertreter lehnten das Urteil des ICTY umgehend ab. Die Ministerpräsidentin erklärte mehrfach, die Regierung betrachte das Urteil als unannehmbar. Das kroatische Volk solle vielmehr stolz sein auf alle, die an der Operation beteiligt gewesen seien und zum kroatischen Sieg beigetragen hätten. Im Mai legten beide Generäle gegen das Urteil Rechtsmittel ein.

  • Der Prozess gegen Vojislav Seselj, dem Verbrechen in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien (Vojvodina) zur Last gelegt wurden, wurde fortgesetzt. Die Anklageschrift umfasste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, Deportation und unmenschliche Handlungen. Außerdem wurden ihm Verstöße gegen das Kriegsrecht zur Last gelegt, wie Mord, Folter, grausame Behandlung, die willkürliche Zerstörung von Dörfern oder durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigte Verwüstung, die Zerstörung oder vorsätzliche Beschädigung von Einrichtungen, die der Religion oder der Erziehung gewidmet sind, sowie die Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums. Im Oktober verurteilte ihn die Verfahrenskammer in einem Nebenverfahren zu 18 Monaten Haft wegen Missachtung des Gerichts, weil er vertrauliche Informationen über geschützte Zeugen veröffentlicht hatte.

  • Im Juli wurde Goran Hadzÿic in Serbien verhaftet, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im kroatischen Ostslawonien angeklagt war. Er wurde an den ICTY überstellt und wartete Ende des Jahres noch auf sein Verfahren. Goran Hadzÿic war Präsident der selbst ernannten Republik Serbische Krajina. Zu den Anklagepunkten zählten u.a. Ausrottung, Mord, Folter und Freiheitsentzug sowie Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen.

Diskriminierung

Ethnische Minderheiten Angehörige der Roma wurden im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen und sozialen Rechte weiterhin diskriminiert, dies betraf u.a. ihren Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Wohnraum. Die von den Behörden zur Abhilfe ergriffenen Maßnahmen blieben unzureichend.

Das Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Orsus und andere gegen Kroatien 2010 gefällt hatte, wurde von den Behörden nicht umgesetzt.

Der Gerichtshof hatte entschieden, dass die Unterbringung von 14 Roma-Schulkindern in separaten Klassen im Jahr 2002 auf Grundlage ihrer Kroatischkenntnisse den Tatbestand ethnisch motivierter Diskriminierung erfüllte.

Kroatische Serben sahen sich weiterhin mit Diskriminierung konfrontiert, vor allem hinsichtlich des Zugangs zu angemessenem Wohnraum. Im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung Kroatiens durch den UN-Menschenrechtsrat hatten mehrere Staaten Kroatien im November 2010 empfohlen, gegen die Diskriminierung ethnischer Minderheiten vorzugehen.

Kroatien sagte zu, die rassistische Diskriminierung der serbischen Minderheit stärker zu bekämpfen, vor allem im Bereich Wohnen. Außerdem versprach das Land, Maßnahmen zu ergreifen, um die Minderheit der ethnischen Serben sowie die der Roma stärker in den kroatischen Alltag zu integrieren.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern

Im Juni fand erstmals eine Gay Pride Parade in Split statt. Engagierte Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender hatten die Parade organisiert. Die Demonstrierenden forderten gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare und ein Ende der weit verbreiteten Diskriminierung von Angehörigen sexueller Minderheiten in Kroatien. Die Parade wurde jedoch durch gewaltsame Angriffe gestört. Angehörige rechtsextremer Gruppen, die sich zu einer Gegendemonstration versammelten, griffen die Gay Pride Parade mit Steinen und anderen Wurfgeschossen an. Dabei wurden mindestens fünf Personen, die an der Parade teilnahmen, verletzt; ein Mann musste wegen einer Kopfverletzung ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Die Polizei war nicht in der Lage, die Demonstrierenden angemessen vor den Angriffen zu schützen, so dass die Parade abgebrochen werden musste. 44 Personen wurden wegen Straftaten, die sie gegen Parade-Teilnehmer verübt hatten, von den Behörden in Split strafrechtlich verfolgt.

Eine Woche nach den gewaltsamen Vorfällen in Split konnte die jährliche Gay Pride Parade in Zagreb ohne nennenswerte Zwischenfälle stattfinden.

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