Amnesty Report Georgien 11. Mai 2011

Georgien 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Georgien Staatsoberhaupt: Micheil Saakaschwili Regierungschef: Nikolos Gilauri Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 4,2 Mio. Lebenserwartung: 72 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 39/33 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 99,7%

Es bestand weiterhin Anlass zur Besorgnis, weil die Untersuchungen der Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die während des Kriegs zwischen Georgien und Russland im August 2008 und unmittelbar danach begangen wurden, nur schleppend vorankamen. Trotz einiger Fortschritte bei den Bemühungen um Unterbringung und Integration der Binnenvertriebenen war deren Situation jedoch weiterhin nicht zufriedenstellend.

Hintergrund

Die Kommunalwahlen im Mai 2010 wurden von internationalen Beobachtern zwar positiv bewertet, gleichzeitig gingen jedoch Berichte ein, wonach einige Oppositionskandidaten schikaniert und eingeschüchtert worden waren. Im Oktober wurden Verfassungsänderungen beschlossen, die im Jahr 2013 in Kraft treten sollen. Sie sehen vor, die Machtbefugnisse des Präsidenten erheblich einzuschränken und die Befugnisse des Ministerpräsidenten und der Regierung auszuweiten.

In und um Abchasien und Südossetien, jenen Regionen Georgiens, die sich 2008 nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien für unabhängig erklärt hatten, herrschte nach wie vor eine angespannte Situation. Die im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens vereinbarten Gespräche, die im selben Jahr in Genf begonnen hatten, wurden nicht weiter fortgeführt.

Im Juni gab es Berichte über Schießereien, Tötungen und Brandstiftungen in der Region Gali in Abchasien. Zivilpersonen litten weiterhin unter Schikanen und der unsicheren Lage in der Region.

Nachwirkungen des bewaffneten Konflikts

Es gab 2010 keine nennenswerten Fortschritte bei der Untersuchung der während des Kriegs im August 2008 und unmittelbar danach begangenen Verletzungen der international verbrieften Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Auch blieben die Verbrechen weiterhin weitgehend ungeahndet. Im September stellte der Menschenrechtskommissar des Europarats fest, bei der Aufklärung des Schicksals der seit dem Krieg vermissten Personen hätten alle Seiten "schwerwiegende Fehler" gemacht. Der Bericht kritisierte auch das offensichtliche Versagen der georgischen Behörden, das Schicksal von drei ossetischen Männern wirksam zu untersuchen, deren Spuren sich angeblich auf von Georgien kontrolliertem Territorium im Oktober 2008 verloren.

  • Im März 2010 wurden sechs ossetische Männer freigelassen, bei denen es sich um von den georgischen Behörden nach dem Krieg festgehaltene Gefangene handelte. Die De-facto-Behörden von Südossetien entließen im Mai sechs Personen. Der Menschenrechtskommissar des Europarats forderte die Behörden auf, auch die restlichen in der Stadt Zchinwali Inhaftierten freizulassen, die während und nach dem Konflikt in Südossetien festgenommen worden waren, da sich ihr Gesundheitszustand Berichten zufolge verschlechtert hat.

  • Am 26. Juli 2010 wurde Timur Tskhovrebov, ein öffentlich bekannter Journalist und Vertreter der Zivilgesellschaft, in der südossetischen Stadt Zchinwali von einer rund zehnköpfigen Gruppe angegriffen. Er trug eine Stichwunde am Hals davon sowie einen gebrochenen Finger und andere Verletzungen an Gesicht und Körper. Vier Tage zuvor hatte Boris Chochiev, ein ranghoher Vertreter der De-facto-Behörden von Südossetien, das Georgisch-Ossetische Bürgerforum (Georgian-Ossetian Civic Forum) in den Niederlanden, an dessen Treffen Timur Tskhovrebov teilgenommen hatte, als verräterisch und schädlich für die Interessen Südossetiens verurteilt. Ende 2010 war noch keine gründliche Untersuchung des Angriffs eingeleitet worden.

  • In Georgien und in Südossetien wurden weiterhin Zivilpersonen wegen "illegaler Überquerung" der administrativen Grenzlinie – der De-facto-Grenze zwischen Georgien und Südossetien, die infolge des Kriegs entstanden war – festgenommen und inhaftiert. Die Fälle von lang andauernder Haft nahmen in der zweiten Jahreshälfte ab.

Die Überwachungsmission der EU (EU Monitoring Mission) war die einzige verbliebene internationale Überwachungsgruppe, die über ein Mandat verfügte, das sich auf den Konflikt bezog. Die De-facto-Behörden verweigerten ihr jedoch den Zugang zu Südossetien und Abchasien.

Binnenvertriebene

Die Regierung unternahm Schritte, um die Lebensbedingungen der Vertriebenen zu verbessern, indem sie z.B. einige der ärmlichsten Unterkünfte renovierte und den Vertriebenen Eigentumsrechte übertrug. Einige der instandgesetzten Sammelunterkünfte und der neu errichteten Siedlungen entsprachen jedoch nicht den internationalen Standards für angemessenes Wohnen, da sie nicht über ausreichende Wasserversorgung, sanitäre Grundversorgung und andere grundlegende Versorgungseinrichtungen verfügten. Die Integration der Vertriebenen kam nur langsam voran. Viele hatten weiterhin Probleme bei der Arbeitssuche und beim Zugang zu Gesundheitsfürsorge und Sozialleistungen.

Zwischen Juni und August 2010 wurden rund 500 Vertriebene in der georgischen Hauptstadt Tiflis Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen. Die Räumungen verstießen gegen internationale Standards, und in mehreren Fällen versorgten die Behörden die Betroffenen weder mit Ersatzunterkünften, noch gewährten sie ihnen Entschädigungen. Im August verfügte die Regierung, die Zwangsräumungen würden so lange ausgesetzt, bis neue Leitlinien in Bezug auf Wohnraum verabschiedet worden seien. Die Leitlinien wurden im Oktober fertiggestellt.

Polizei und Sicherheitskräfte

Im September gab der Europäische Ausschuss zur Verhinderung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe bekannt, bei der Verhinderung von Misshandlungen durch die Polizei während der Untersuchungshaft seien gewisse Fortschritte zu verzeichnen. Es gab jedoch weiterhin Bedenken hinsichtlich Misshandlungen während der Festnahme und auf den Polizeirevieren. Am 24. September 2010 wurde ein Gesetz verabschiedet, das der Polizei neue Befugnisse verlieh, um verdächtige Personen anzuhalten und zu durchsuchen. Mehrere georgische Menschenrechtsorganisationen äußerten Bedenken gegen das Gesetz, da es weder die genauen Umstände definiert, unter denen die Polizei diese Befugnisse nutzen kann, noch den Zeitraum, wie lange eine Person auf der Grundlage dieser Befugnisse festgehalten werden kann.

Ermittlungen, die sich auf Vorfälle während Protestkundgebungen gegen den Präsidenten zwischen April und Juli 2009 bezogen, wurden nicht weitergeführt. Berichten zufolge waren die Demonstrierenden von der Polizei und unbekannten maskierten Männern schikaniert, eingeschüchtert und verprügelt worden.

  • Die Regierung unternahm nichts, um gegen Polizeibeamte, die Berichten zufolge am 6. Mai 2009 in rücksichtsloser Art und Weise Aufprallgeschosse auf Demonstranten abgefeuert und dabei mehrere Menschen verletzt hatten, Ermittlungen aufzunehmen und sie vor Gericht zu stellen.

  • Die Einzelheiten einer internen Untersuchung des Innenministeriums in Bezug auf mutmaßlich exzessive Gewaltanwendung durch Polizeibeamte am 15. Juni 2009 wurden der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Dabei ging es um die gewaltsame Auflösung einer friedlichen Demonstration vor dem Polizeipräsidium von Tiflis.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

In Tiflis und Gori wurden die ersten staatlich finanzierten Zufluchtstätten für Opfer familiärer Gewalt eröffnet. Im März 2010 verabschiedete das Parlament das "Gesetz zur Gleichberechtigung der Geschlechter", um Diskriminierung in den Bereichen Erwerbsarbeit, Bildung, Gesundheit und Sozialsystem sowie in der Familie zu bekämpfen.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegierte von Amnesty International besuchten Georgien in den Monaten Mai und August.

In the waiting room: Internally displaced people in Georgia (EUR 56/002/2010)

Georgia: Civil society activists at risk in South Ossetia (EUR 56/004/2010)

Thousands forcibly evicted in Georgia (EUR 56/005/2010)

Adequate housing for internally displaced remains a concern (EUR 56/006/2010)

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