Amnesty Report 09. Juni 2016

Senegal 2016

 

Die staatlichen Stellen schränkten das Recht auf Versammlungsfreiheit 2015 weiterhin ein und gingen mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vor. Es kam zu Festnahmen von Frauen und Männern wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung. Das Land stand unter internationaler Beobachtung, weil der Prozess gegen Karim Wade nicht die Standards für ein faires Verfahren erfüllte. Der Konflikt in der Region Casamance flammte erneut auf. Menschenrechtsverletzungen, die von Sicherheitskräften verübt wurden, blieben so gut wie immer straffrei. Im Juli 2015 begann vor den Außerordentlichen Afrikanischen Kammern in der senegalesischen Hauptstadt Dakar der Prozess gegen den früheren tschadischen Präsidenten Hissène Habré.

Hintergrund

Im April 2015 befasste sich die Afrikanische Kommission für Men-schenrechte und Rechte der Völker mit der Lage der Menschenrechte im Senegal. Die Kommission zeigte sich u. a. über den mangelnden Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung sowie über willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen besorgt.

Die Sicherheitskräfte nahmen mindestens sieben Personen wegen mutmaßlicher terroristischer Straftaten fest, darunter zwei Imame und zwei Frauen.

Exzessive Gewaltanwendung

Die Sicherheitskräfte setzten weiterhin exzessive Gewalt ein.

Im Juli 2015 starb Matar Ndiaye, nachdem er bei einem Polizeieinsatz in Dakar eine Schussverletzung am Bein erlitten hatte. Berichten zufolge war Matar Ndiaye in die Schusslinie geraten, als ein Polizist bei einer Verfolgungsjagd ohne Vorwarnung auf eine Gruppe von Männern schoss. Die Untersuchung des Vorfalls wurde der Kriminalabteilung der Nationalpolizei übertragen, was Zweifel aufkommen ließ, ob die Ermittlungen unabhängig und unparteiisch erfolgen würden.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Die Behörden verboten nach wie vor Demonstrationen, die von Parteien und Menschenrechtsverteidigern organisiert wurden, und verfolgten friedlich Demonstrierende strafrechtlich.

Im September 2015 verurteilte das Bezirksgericht von Kolda zwölf Männer zu je 21 Tagen Gefängnis, weil sie an einer nicht genehmigten Versammlung teilgenommen hatten. Am 27. August hatten in Diana Malary etwa 100 Personen die Behörden mit einer friedlichen Demonstration aufgefordert, die Stromversorgung sicherzustellen. Als die Gendarmerie Tränengas einsetzte und in die Luft schoss, um die Demonstration aufzulösen, kam es zu Zusammenstößen zwischen Ordnungskräften und Demonstrierenden.

Unfaire Gerichtsverfahren

Im März 2015 verurteilte das Spezialgericht zur Bekämpfung der Korruption (Cour de répression de l’enrichissement illicite) Karim Wade, den ehemaligen Minister und Sohn des früheren Präsidenten Abdoulaye Wade, wegen unrechtmäßiger Bereicherung zu sechs Jahren Haft und einer Geldstrafe in Höhe von 138 Mrd. CFA-Francs (rund 210 Mio. Euro). Sieben weitere Angeklagte wurden wegen Mittäterschaft ebenfalls für schuldig befunden. Gegen Urteile dieses Gerichts kann keine Berufung eingelegt, sondern nur Revision beantragt werden, was weder afrikanischen noch internationalen Standards entspricht. Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen bewertete die Untersuchungshaft von Karim Wade als willkürlich, weil es u. a. zu Prozessverzögerungen gekommen war und der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt wurde. Im August 2015 verwarf der Oberste Gerichtshof den Antrag auf Revision und bestätigte die Schuldsprüche.

Im Februar 2015 verurteilte das Schwurgericht in Dakar zwei Männer im Zusammenhang mit dem Tod des jungen Hilfspolizisten Fodé Ndiaye zu je 20 Jahren Zwangsarbeit, obwohl die Aussagen der Männer unter Folter erpresst worden waren.

Interner bewaffneter Konflikt

Im April 2015 führten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der politischen Gruppe Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance im Bezirk Oussouye nach Medienangaben zu Opfern auf beiden Seiten. Im Juli 2015 entführte eine unbekannte bewaffnete Gruppe in der Region Sédhiou zwölf Männer, die vier Tage später nach der Zahlung von Lösegeld wieder freigelassen wurden.

Die Zivilbevölkerung litt nach wie vor unter den Folgen des anhaltenden Konflikts. Mindestens ein Mann wurde in der Nähe des Nationalparks Basse-Casamance durch eine Landmine getötet.

Straflosigkeit

Die Behörden erklärten zwar, sie würden wegen Tötungen von Demonstrierenden, Folter und anderen Misshandlungen durch Ordnungskräfte ermitteln, tatsächlich wurden jedoch nur wenige Untersuchungen abgeschlossen und mutmaßliche Täter nur selten vor Gericht gestellt. Nur sechs der 27 Fälle von Folter, die Amnesty International seit 2007 dokumentiert hatte, führten zu strafrechtlicher Verfolgung und Schuldsprüchen, in allen Fällen ergingen milde Urteile. In Bezug auf die sieben Personen, die von Ordnungskräften bei Demonstrationen getötet worden waren, kam es in keinem einzigen Fall zu einer wirksamen strafrechtlichen Verfolgung.

Im Zusammenhang mit dem Tod von Dominique Lopy, der 2007 in Gewahrsam gestorben war, sprach das Bezirksgericht von Kolda im Januar 2015 zwei Polizeibeamte schuldig. Das Gericht verurteilte die beiden Männer wegen Anwendung von Gewalt und tätlichen Angriffen zu einer Haftstrafe von je sechs Monaten und zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 100 000 CFA-Francs (rund 150 Euro) an die Familie des Opfers.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen

2015 wurden mindestens 22 Personen, darunter drei Frauen, wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung festgenommen. Im August 2015 verurteilte ein Gericht in Dakar sieben Männer wegen "widernatürlicher Handlungen" zu sechs Monaten Haft und einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten. Die Männer waren im Juli festgenommen worden, nachdem die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl in eine Wohnung eingedrungen war. Einige Zeitungen enthüllten die Namen der Männer und veröffentlichten homophobe und diffamierende Kommentare. Sechs der Männer kamen in ein Gefängnis in Diourbel, das weit entfernt lag von ihren Familien und Freundeskreisen, die sie mit Lebensmitteln und Medizin versorgten.

In einem weiteren Verfahren verurteilte ein Gericht im Juli 2015 einen Mann ebenfalls wegen "widernatürlicher Handlungen" zu sechs Monaten Gefängnis. Am 25. November 2015 wurden drei Frauen in Grand Yoff festgenommen.

Am 24. Dezember 2015 nahm die Polizei elf Männer in Kaolack fest. Sie mussten fünf Tage in Haft verbringen und wurden misshandelt, u. a. durch Beleidigungen und Schläge, bevor man sie wieder freiließ.

Internationale Rechtsprechung

Im Juli 2015 begann vor den Außerordentlichen Afrikanischen Kammern in Dakar der Prozess gegen den früheren tschadischen Präsidenten Hissène Habré, dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter und Kriegsverbrechen während seiner Amtszeit (1982–90) zur Last gelegt wurden. Es war das erste Mal, dass in einem afrikanischen Land ein ehemaliger Staatschef eines anderen Landes vor Gericht stand (siehe Länderbericht Tschad).

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