Amnesty Report Asien und Pazifik 18. Mai 2012

Asien und Pazifik 2012

 

"Es ist an der Zeit, Chinesen! Es ist an der Zeit. China gehört euch allen. Es ist an der Zeit, dass ihr selbst über die Zukunft Chinas entscheidet." (Zhu Yufu, chinesischer Dissident)

Als der Wind des Wandels, der in der arabischen Welt wehte, auch in den Ländern Asiens spürbar wurde, verstärkten einige Regierungen ihre Maßnahmen zum Machterhalt, indem sie Forderungen nach Menschenrechten und Menschenwürde unterdrückten. Gleichzeitig spornten die ersten Erfolge der Aufstände in Tunesien und Ägypten Menschenrechtsverteidiger, Aktivisten und Journalisten in Asien an, gleichfalls ihre Stimme gegen Verletzungen ihrer Rechte zu erheben. Dabei nutzten sie sowohl neue Technologien als auch traditionelle Formen politischen Protests.

Zhu Yufu, der Autor des oben zitierten Gedichts, wurde im März 2011 von den chinesischen Behörden inhaftiert. Der Staatsanwalt führte dieses Gedicht als wichtigstes Beweismittel an, um seine Anklage wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu begründen. Zhu Yufu, der aufgrund seines Einsatzes für mehr politische Freiheiten in den vergangenen 13 Jahren fast neun Jahre im Gefängnis verbracht hat, war nur einer von zahlreichen Kritikern, politisch engagierten Bürgern und Dissidenten, die von den chinesischen Behörden inhaftiert und schikaniert wurden.

Das Land erlebte ab Februar eine der schlimmsten Repressionswellen seit den Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989. Auf der langen Liste derer, die inhaftiert, widerrechtlich unter Hausarrest gestellt oder Opfer des Verschwindenlassens wurden, befanden sich außer Zhu Yufu auch die Frau des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo, Liu Xia, der Rechtsanwalt Gao Zhisheng, der weltbekannte Künstler Ai Weiwei und viele mehr. In einigen Fällen folterten die chinesischen Behörden die Inhaftierten, um von ihnen "Geständnisse" zu erpressen oder die Zusage zu erzwingen, dass sie künftig keine sozialen Netzwerke mehr nutzen und nicht mit Journalisten oder anderen Personen über die erlittenen Misshandlungen sprechen würden.

Die Härte der Repression war ein Zeichen dafür, wie beunruhigt die chinesische Regierung war, als im Februar 2011 im Internet anonyme Aufrufe zu "Jasminprotesten" auftauchten. Darin wurden chinesische Bürger, die Korruption, schlechte Regierungsführung und politische Repression nicht länger ertragen wollten, aufgefordert, sich zu friedlichen gemeinsamen Spaziergängen in bestimmten Gegenden ausgewählter Städte zusammenzufinden. Trotz der Harmlosigkeit dieser Aufrufe reagierte die chinesische Regierung darauf, indem sie mehrfach im Jahresverlauf Internetrecherchen zu Stichwörtern wie "Jasmin" oder "Ägypten" unterband. Dennoch fanden zehntausende Demonstrationen im ganzen Land statt, bei denen die chinesischen Protestierenden den Schutz ihrer bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte einforderten.

Die Dynamik, mit der sich die chinesischen Bürger für ihre Rechte einsetzten, stand im Gegensatz zur Situation im benachbarten Nordkorea. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass sich die verheerende Menschenrechtslage in dem Land verbessern würde, nachdem der Endzwanziger Kim Jong-un am 17. Dezember die Nachfolge seines Vaters als absoluter Herrscher des Landes antrat. Im Gegenteil deutete Einiges darauf hin, dass die Behörden im Vorfeld zahlreiche Staatsbedienstete inhaftiert hatten, die verdächtigt wurden, einem reibungslosen Führungswechsel möglicherweise im Weg zu stehen oder diesen infrage zu stellen. Es wurde befürchtet, dass man die Inhaftierten in die zahlreichen politischen Straflager des Landes schicken würde, in denen bereits Hunderttausende unter willkürlicher Inhaftierung, Zwangsarbeit, Folter und anderen Misshandlungen litten, oder sie öffentlich hinrichten würde.

Unterdrückung Andersdenkender

So brutal wie das nordkoreanische Regime ging zwar kaum eine andere Regierung im asiatisch-pazifischen Raum vor, um die eigene Bevölkerung zum Schweigen zu bringen, doch wurden die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit weiterhin in vielen Ländern verletzt. Einige Regierungen unterdrückten abweichende Meinungen vorsätzlich und mit aller Schärfe. In Nordkorea drohte jenen, die von der offiziellen Ideologie abwichen, das Schicksal, in einem trostlosen und entlegenen politischen Gefangenenlager zu enden. Sowohl in Vietnam als auch in Myanmar galten kritische Meinungsäußerungen als Straftat, und beide Länder verfügten über Geheimdienste, deren Aufgabe es war, Kritiker einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

Auch andere Staaten machten Kritiker mundtot, wenngleich sie sich dabei auf Methoden verließen, die weniger gewaltsam daherkamen. Singapur inhaftierte den 76-jährigen britischen Buchautor Alan Shadrake am 1. Juni 2011 für kurze Zeit und klagte ihn wegen Missachtung des Gerichts an, nachdem er die Justiz dafür kritisiert hatte, Todesurteile zu fällen. Singapur beanspruchte damit weiterhin eine Sonderstellung für sich, was die internationalen Standards zum Schutz der Meinungsfreiheit anging.

In Indien, das sich einer stolzen Geschichte der Meinungsfreiheit und einer vielfältigen Medienlandschaft rühmt, versuchte die Regierung, neue Beschränkungen gegen soziale Netzwerke zu verhängen, so z.B. gegen Instant Messaging Services. In Malaysia standen Internetmedien ebenfalls unter Druck. Allerdings wurden dem Internet weniger Fesseln angelegt als den Printmedien und dem Rundfunk, die einer strengen Zensur unterlagen.

In Thailand setzte die neu gewählte Regierung unter Yingluck Shinawatra, der Schwester des ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, die rigorose Anwendung des höchst problematischen Gesetzes über Majestätsbeleidigung fort, das jegliche Kritik an der königlichen Familie verbot. Von denjenigen, die auf Grundlage dieses Gesetzes strafrechtlich verfolgt wurden, hatten viele Informationen ins Internet gestellt, die von den Staatsanwälten beanstandet wurden. Der 61-jährige Ampon Tangnoppakul wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er SMS-Mitteilungen verschickt haben soll, die als Beleidigung der königlichen Familie aufgefasst wurden.

Die Behörden in Südkorea beriefen sich zunehmend auf das Nationale Sicherheitsgesetz, um diejenigen zu schikanieren, die man als Gegner der Regierungspolitik gegenüber Nordkorea betrachtete. Dies führte in einigen Fällen zu absurden Anwendungen des Gesetzes, wie im Fall von Park Jeonggeun. Er wurde inhaftiert und strafrechtlich verfolgt, weil er in satirischer Form Auszüge nordkoreanischer Propagandaparolen über das Internet verbreitet hatte.

In anderen Ländern des asiatisch-pazifischen Raums lösten Kritiker, die die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde einforderten, noch schärfere Gegenreaktionen aus.

In einigen Fällen bezahlten sie die Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung mit ihrem Leben. Den pakistanischen Journalisten gelang es, eine lebhafte und zum Teil streitbare Medienlandschaft in ihrem Land aufrechtzuerhalten, obwohl sie gewaltsame Angriffe seitens der Regierung und der politischen Parteien sowie von Rebellengruppen wie den pakistanischen Taliban befürchten mussten. Mindestens neun Journalisten wurden im Laufe des Jahres in Pakistan getötet. Einer von ihnen war Saleem Shahzad. Der Journalist hatte offen das mächtige Militär und die Geheimdienste kritisiert. Andere Journalisten berichteten Amnesty International, dass sie von den mächtigen und undurchsichtigen Geheimdiensten sowie von Sicherheitskräften, politischen Parteien oder militanten Gruppen ernsthaft bedroht worden seien.

Journalisten waren aber nicht die Einzigen, die in Pakistan wegen ihrer Meinungsäußerungen Angriffen ausgesetzt waren. Zwei hochrangige Politiker wurden ermordet, weil sie die äußerst problematischen Blasphemie-Gesetze in Frage gestellt hatten: der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, der aus seinen Überzeugungen keinen Hehl gemacht hatte, sowie der Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti, der auch das einzige christliche Kabinettsmitglied war.

Minderheiten

Wie in vielen anderen Ländern des asiatisch-pazifischen Raums waren auch in Pakistan religiöse und ethnische Minderheiten weiterhin schwerwiegender Diskriminierung ausgesetzt. Angehörige von Minderheiten wurden häufig ausgegrenzt und waren immer wieder Opfer direkter staatlicher Drangsalierung. In zahlreichen Fällen kamen die Regierungen ihrer Verantwortung nicht nach, die Rechte der Angehörigen von Minderheiten zu schützen. Dies hatte zur Folge, dass sich die Diskriminierung verfestigte, die Armut verschärfte und der Entwicklungsprozess verlangsamte. In einigen Ländern wurde dadurch auch Gewalt geschürt.

In der rohstoffreichen Provinz Belutschistan in Pakistan waren sowohl Sicherheitskräfte als auch einige aufständische Gruppen für Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen verantwortlich. Trotz zahlreicher anderslautender Versprechen ging die Regierung nicht auf die von den Belutschen seit langem erhobene Forderung ein, sie bei der Verteilung der Einnahmen aus den wichtigsten Bergbau- und Infrastrukturprojekten angemessen zu berücksichtigen.

In Belutschistan kam es im Jahr 2011 auch zu mehreren brutalen Angriffen auf Schiiten. Betroffen waren insbesondere schiitische Hazara, von denen die meisten in der Provinzhauptstadt Quetta leben und afghanischer Herkunft sind. Militante religiöse Gruppen, die offen zur Gewalt gegen Schiiten aufriefen, konnten sich ungehindert betätigen und verübten Gewalttaten, wie z.B. am 20. September, als 26 schiitische Pilger regelrecht hingerichtet wurden. Militante pakistanische Gruppen bekannten sich auch zu zwei Bombenanschlägen auf Schiiten in Afghanistan, bei denen im Dezember ungefähr 70 Menschen, die in Kabul und Mazar-e Sharif an religiösen Feierlichkeiten anlässlich des Aschura-Fests teilgenommen hatten, getötet wurden.

Die Gemeinschaft der Ahmadiyya, eine vor allem in Asien beheimatete religiöse Gruppe, die sich selbst als islamisch betrachtet, wurde in Pakistan und Indonesien systematisch diskriminiert. In Pakistan, wo es den Ahmadiyya gesetzlich untersagt ist, sich als Muslime zu bezeichnen, war die Ahmadiyya-Gemeinschaft permanenten Schikanen durch Staatsbedienstete ausgesetzt. Da die Gemeinschaft weder ausreichenden Schutz noch Unterstützung erhielt, war sie ein leichtes Ziel für militante religiöse Gruppen. In Indonesien gab es Kritik an der Polizei, weil sie nichts unternahm, um eine aufgebrachte Menschenmenge von 1500 Personen daran zu hindern, im westjavanischen Cikeusik die Gemeinschaft der Ahmadiyya anzugreifen.

Bei dem Angriff im Februar wurden drei Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Doch duldete die indonesische Regierung weiterhin lokale Regelungen, die die Religionsausübung von Ahmadiyya einschränkten. Auch in anderen mehrheitlich muslimischen Ländern, wie Bangladesch oder Malaysia, wurde die Ahmadiyya-Gemeinschaft wegen ihres religiösen Bekenntnisses diskriminiert. So wurden ihre Kinder von einigen Schulen abgewiesen, und ihr Recht auf freie Religionsausübung wurde stark beschnitten.

In China waren es Sunniten, die diskriminiert wurden: Die Uiguren, eine mehrheitlich muslimische ethnische Gruppe, waren in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang weiterhin Repression und Diskriminierung ausgesetzt. Die chinesische Regierung führte nebulöse Bedrohungen durch Terrorismus und Aufstände an, um die bürgerlichen und politischen Rechte der Uiguren zu unterdrücken und sie an ihrer Religionsausübung zu hindern. Gleichzeitig führten der Zustrom han-chinesischer Migranten und deren positive Diskriminierung dazu, dass die Uiguren in kultureller, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu Bürgern zweiter Klasse wurden.

Andere ethnische Minderheiten Chinas litten ebenfalls unter Unterdrückung. Mindestens zehn tibetische Mönche bzw. ehemalige Mönche und zwei Nonnen zündeten sich selbst an. Sechs von ihnen starben dem Vernehmen nach an den Folgen. Mit den Selbstverbrennungen protestierten sie gegen Maßnahmen, durch die sie an der Ausübung ihrer religiösen und kulturellen Bräuche gehindert wurden. Die Einschränkungen führten dazu, dass sich das Gefühl der Entfremdung der Tibeter noch verstärkte und ihr Leid vertieft wurde. Auch in der Autonomen Region Innere Mongolei gab es erhebliche Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppierungen. Die Ermordung eines mongolischen Hirten, für die ein Han-Chinese verantwortlich gemacht wurde, löste in der gesamten Region massive Proteste aus.

Bewaffnete Konflikte und Aufstände

Ethnische und religiöse Diskriminierung und die daraus erwachsenden politischen und wirtschaftlichen Missstände konnten als Ursache für viele der bewaffneten Konflikte und jahrelangen Aufstände gelten, unter denen Hunderttausende von Menschen im asiatisch-pazifischen Raum litten.

In Myanmar flammten die jahrzehntelangen Konflikte zwischen der Regierung und verschiedenen bewaffneten Gruppen ethnischer Minderheiten erneut auf. Im Zuge der Bekämpfung aufständischer Karen, Shan und Kachin vertrieb die Armee Zehntausende von Zivilpersonen und beging Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gleichkamen.

Die Taliban und andere aufständische Gruppen in Afghanistan verübten weiterhin zahlreiche systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Nach UN-Angaben waren sie für 77% der zivilen Opfer in diesem Konflikt verantwortlich. Amnesty International forderte den Internationalen Strafgerichtshof erneut auf, die Situation zu untersuchen, wenngleich die zur Unterstützung der afghanischen Regierung eingesetzten internationalen Truppen damit begannen, die Verantwortung für die Sicherheit im Land an die afghanische Regierung zu übergeben. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen, insbesondere Frauengruppen, äußerten sich besorgt, weil sie von den Verhandlungen mit den aufständischen Gruppen ausgeschlossen waren, obwohl die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats eine angemessene Vertretung und eine stärkere Beteiligung von Frauen an Friedensgesprächen verlangt.

Auf der philippinischen Insel Mindanao und in Südthailand dauerten die schwelenden Konflikte weiter an – in beiden Fällen handelte es sich um Regionen, in denen muslimische Minderheiten lange Zeit benachteiligt wurden und sich mit einer geringen wirtschaftlichen Entwicklung zufriedengeben mussten. Auf den Philippinen schienen sich die Konfliktparteien um einen Friedensschluss zu bemühen, was trotz eines erneuten Gewaltausbruchs Anlass zu Hoffnung gab. In Südthailand war die Situation hingegen völlig verfahren, da die Aufständischen weiterhin gezielt Zivilpersonen angriffen, um die Bevölkerung einzuschüchtern und Buddhisten und andere zu vertreiben, die sie als loyale Verbündete der Zentralregierung betrachteten. Die thailändische Regierung kam weder ihrer Verpflich-tung nach, von Sicherheitskräften verübte Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen, noch fand sie überzeugende Antworten auf die Forderungen nach einer stärkeren politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Südthailand.

Die schwierige wirtschaftliche Lage, in der sich insbesondere die indigenen Gemeinschaften der Adivasi befanden, und schlechte Regierungsführung führten in mehreren Bundesstaaten Zentral- und Ostindiens zu Protesten. Bei Zusammenstößen zwischen bewaffneten Maoisten und Sicherheitskräften kamen etwa 250 Personen ums Leben. Die Aufständischen waren für Geiselnahmen und wahllose Angriffe verantwortlich, während die Regierungstruppen routinemäßig die Rechte der lokalen Bevölkerung verletzten, die sie angeblich schützten. Die Regierungsstrategie, zur Aufstandsbekämpfung auch paramilitärische Gruppen einzusetzen, wurde vom Obersten Gerichtshof Indiens für problematisch erachtet. Das Gericht ordnete die Auflösung der im Bundesstaat Chhattisgarh operierenden staatlich geförderten Milizen an, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein sollen. Das Indische Oberste Gericht entschied auch, den gewaltlosen politischen Gefangenen Dr. Binayak Sen gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen, bis sein Rechtsmittelverfahren abgeschlossen ist. Er war im Jahr 2010 von einem Bezirksgericht im Bundesstaat Chhattisgarh wegen Aufwiegelung und Zusammenarbeit mit den bewaffneten Maoisten zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Die indischen Streitkräfte im Bundesstaat Jammu und Kaschmir gerieten im Berichtsjahr erneut wegen Menschenrechtsverletzungen in die Kritik. Amnesty International veröffentlichte im März 2011 einen Bericht, der auf den Missbrauch der Verwaltungshaft ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren auf Grundlage des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit hinwies. Die Behörden des Bundesstaats sagten daraufhin zu, das Gesetz zu reformieren. Im September machte die Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir mehr als 2700 nicht gekennzeichnete Gräber aus und identifizierte 574 Leichen als die sterblichen Überreste "verschwundener" lokaler Einwohner. Sie widerlegte damit die Behauptung der Sicherheitskräfte, dass es sich um "Militante" gehandelt habe. Die Forderung der Menschenrechtskommission, die Behörden des Bundesstaats sollten moderne forensische Untersuchungsmethoden einsetzen, um auch die übrigen Leichen zu identifizieren, fand keine Beachtung.

Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit

In vielen asiatischen Staaten war Straffreiheit für in der Vergangenheit verübte Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Dies traf vor allem auf die Länder zu, die mit dem Erbe zurückliegender Konflikte zu kämpfen hatten. Mangelnde Gerechtigkeit erschwerte die Versöhnungsbemühungen und ließ ein Muster aus Ungerechtigkeit und mangelnder Rechenschaftspflicht in Fällen von Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte entstehen.

Sri Lankas jahrzehntelange Bilanz gescheiterter Sonderkommissionen zur Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverletzungen wurde mit einer Untersuchungskommission zur Auswertung gewonnener Erkenntnisse und zur Versöhnung fortgesetzt. Sie legte zum Abschluss ihrer Arbeit einen Bericht vor, der einige sinnvolle Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Land enthielt. Doch scheiterte die Kommission an ihrer Aufgabe, die Rolle der Regierungstruppen angemessen zu untersuchen, die in der Schlussphase des bewaffneten Konflikts mit den Befreiungstigern von Tamil Eelam Tausende von Zivilpersonen angegriffen hatten.

Die diesbezüglichen Erkenntnisse der Kommission ließen auf einen äußerst mangelhaften Untersuchungsprozess schließen und standen im Gegensatz zu den Ergebnissen des vom UN-Generalsekretär eingesetzten Expertengremiums über die Rechenschaftslegung in Sri Lanka. Nach Einschätzung dieses Gremiums gab es glaubhafte Hinweise darauf, dass beide Konfliktparteien Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten. Das Expertengremium empfahl, eine unabhängige Untersuchung der mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen, die von den Konfliktparteien begangen wurden, sowie eine Überprüfung der UN-Aktionen während des Konflikts in Sri Lanka.

Die mangelnde Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit trug dazu bei, ein Klima der Straflosigkeit entstehen zu lassen. Vor diesem Hintergrund kam es zu neuen Fällen von Verschwindenlassen im Norden und Osten der Insel sowie zu Drohungen und Angriffen auf Journalisten, Regierungskritiker und Aktivisten. Obwohl die Regierung den Ausnahmezustand aufhob, behielt sie das repressive Antiterrorgesetz bei und erließ sogar neue Verordnungen, die es ermöglichten, Verdächtige ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft zu halten.

In Kambodscha wurde die Aufarbeitung der Verbrechen, die unter der Herrschaft der Roten Khmer begangen wurden, durch Einmischung der Regierung beeinträchtigt. So wurde ein Ermittlungsverfahren abgeschlossen, obwohl noch keine vollständige Untersuchung vorgenommen worden war, und ein weiteres Verfahren kam zum Stillstand. In Afghanistan bekleideten Personen, gegen die glaubhafte Vorwürfe erhoben worden waren, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, weiterhin hohe Regierungsämter.

Während diejenigen, die beschuldigt wurden, Menschenrechtsverletzungen verübt zu haben, sich ihrer Bestrafung entzogen, setzten viele Länder die Prügelstrafe gegen mutmaßliche Rechtsbrecher ein – in Verletzung des internationalen Verbots grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Strafen. Singapur und Malaysia ahndeten weiterhin eine Reihe von Delikten mit der Prügelstrafe, darunter Verstöße gegen die Einwanderungsgesetze. In der indonesischen Provinz Aceh wurde die Prügelstrafe in steigendem Ausmaß zur Bestrafung verschiedener Gesetzesverstöße angeordnet, dazu zählten Genuss von Alkohol, Glücksspiel und das Zusammensein von zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts, die nicht miteinander verheiratet oder verwandt sind. Auf den Malediven führte der Druck durch die politische Opposition dazu, dass die Regierung die Prügelstrafe beibehielt.

Migranten und Flüchtlinge

Unsicherheit, Naturkatastrophen, Armut und mangelnde Perspektiven trieben Hunderttausende von Menschen dazu, anderswo ein besseres Leben zu suchen – sowohl innerhalb als auch außerhalb des asiatisch-pazifischen Raums. Obwohl viele Regierungen auf die Arbeitskraft von Migranten angewiesen waren, um die Wirtschaft in Gang zu halten, unternahmen sie 2011 immer noch zu wenig, um die Rechte derjenigen zu schützen, die in ihren Ländern Arbeit und Schutz suchten.

Mindestens 300000 Nepalesen emigrierten ins Ausland, um der Armut und den Nachwehen des jahrelangen Konflikts in ihrem Land zu entkommen. Viele von ihnen waren im Vorfeld getäuscht worden, was ihre künftigen Arbeitsbedingungen anging, und arbeiteten unter Umständen, die Zwangsarbeit gleichkamen. Obwohl Nepal einige Gesetze und Kontrollmaßnahmen einführte, um die Arbeitsmigranten zu schützen, zeigten die Recherchen von Amnesty International, dass diese nicht wirksam waren, da es an öffentlichem Bewusstsein mangelte, die Überwachung unzulänglich war und Verstöße nur selten geahndet wurden.

Malaysia war eines der Hauptaufnahmeländer für Migranten aus asiatischen Ländern und eine Zwischenstation für Asylsuchende auf ihrem Weg nach Australien. Migranten ohne gültige Ausweispapiere wurden häufig festgenommen, interniert oder ausgepeitscht. Schlechte Haftbedingungen führten im April im Internierungslager Lenggeng bei Kuala Lumpur zu einem Aufstand inhaftierter Migranten. Australiens Oberster Gerichtshof erklärte ein zwischen Australien und Malaysia abgeschlossenes Abkommen für ungültig, das vorsah, 800 Asylsuchende, die auf dem Seeweg nach Australien gekommen waren, gegen 4000 hauptsächlich aus Myanmar stammende Flüchtlinge auszutauschen, die in Malaysia auf ihre Neuansiedlung warteten. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass Malaysia Flüchtlingen keinen ausreichenden rechtlichen Schutz biete.

Fortschritte

Trotz enormer Hindernisse gelang es vielen Menschenrechtsverteidigern und Aktivisten im asiatisch-pazifischen Raum, ihrem Ziel näher zu kommen und ihren Rechten mehr Anerkennung zu verschaffen. Dabei konnten Erfolge, die in einem Land erzielt wurden, wiederum Menschen in anderen Ländern inspirieren und ermutigen.

In Indien errangen die Adivasi-Gemeinschaften von Orissa im Juli 2011 einen Sieg in ihrem Kampf für den Erhalt ihrer Lebensweise. Das Obere Gericht von Orissa lehnte die vom Konzern Vedanta Resources geplante Erweiterung einer Aluminiumraffinerie ab. Nach Ansicht der Richter verletzte die Raffinerie die Rechte der in ihrem Umkreis lebenden Gemeinschaften auf Wasser, Gesundheit und eine gesunde Umwelt, und ihre Erweiterung würde zu weiteren Verstößen gegen die Adivasi-Gemeinschaften führen.

Der malaysische Ministerpräsident kündigte im September an, er beabsichtige, das Gesetz zur Inneren Sicherheit aufzuheben, das u.a. eine unbefristete Inhaftierung ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren erlaubt, und es durch neue Sicherheitsgesetze zu ersetzen. Dieser Schritt war zumindest teilweise eine Reaktion auf die Bersih-Bewegung (Bersih: Malaysisch für sauber), die im Juli in Kuala Lumpur eine friedliche Demonstration veranstaltete, an der Tausende von Menschen teilnahmen. Die Polizei schlug auf die Demonstrierenden ein, feuerte Tränengasgranaten direkt in die Menschenmenge und nahm mehr als 1600 Personen fest.

Im März verkündete Malaysia, dass es das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnet habe und beabsichtige, das Abkommen zu ratifizieren. Die Philippinen ratifizierten das Römische Statut im November.

Der bedeutendste Fortschritt im Hinblick auf die Menschenrechte im asiatisch-pazifischen Raum war im Jahr 2011 aber vermutlich die Entscheidung der myanmarischen Behörden, im Laufe des Jahres mehr als 300 politische Häftlinge freizulassen und Aung San Suu Kyi zu gestatten, bei den Parlamentswahlen anzutreten. Gleichzeitig wurden einige Dissidenten und Vertreter der Opposition von den Behörden weiterhin schikaniert und inhaftiert. Dies gab Anlass zu der Befürchtung, Myanmar könnte vor allem an einer Lockerung der gegen das Land verhängten Sanktionen interessiert sein und weniger an einem echten Wandel. Die erzielten Fortschritte mögen bescheiden anmuten. Doch haben die Ereignisse in Myanmar und anderen Ländern gezeigt, dass bereits kleine demokratische Öffnungen die Chance bieten, dass politische Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger ihre Stimme erheben können und über ihre Zukunft entscheiden.

Weitere Artikel