Blog 30. November 2015

Nach dem Tod von Tahir Elçi: "Das Gefühl des Verlustes wiegt schwer"

Tahir Elçi war eines der Gründungsmitglieder von Amnesty International in der Türkei.

Der kurdische Anwalt Tahir Elçi wurde am 28. November 2015 in der türkischen Stadt Diyarbakır von bislang unbekannten Tätern erschossen. In dieser persönlichen Stellungnahme nimmt Andrew Gardner, Türkei-Experte im internationalen Amnesty-Sekretariat in London, Abschied von dem mutigen und engagierten Verteidiger der Menschenrechte.

Etwa 100.000 Menschen nahmen am 29. November an der Beerdigungsfeier des getöteten Menschenrechtsanwalts Tahir Elçi teil. Der kalte und graue Morgen in Diyarbakır untermalte die traurige Atmosphäre während des langen Weges, auf dem der Sarg vom Leichenschauhaus bis zum Yeniköy-Friedhof getragen wurde.

Tahir Elçi war ein prinzipientreuer und eloquenter Verfechter des Friedens und der Menschenrechte und er war bereit, für seine Ansichten einzustehen, egal was es ihn kostete oder gegen welche Interessen er damit agierte.

Er wird schmerzlich vermisst werden.

Tahir Elçi hat in seinem Leben Bemerkenswertes erreicht. In den 1990er Jahren, als es kaum Möglichkeiten dazu gab, verteidigte er als Anwalt in Cizre, einer der unruhigsten Ecken im Südosten der Türkei, die Rechte der Inhaftierten, Folteropfer und "Verschwundenen" und riskierte dabei sein eigenes Leben. Als er gezwungen war, Cizre zu verlassen, setzte er seine Arbeit in Diyarbakır fort.

Als hervorragender Anwalt brachte er Fälle vor nationale Gerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und arbeitete dabei mit nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammen. Später wurde er Vorsitzender der Anwaltskammer von Diyarbakır und leitete Untersuchungsmissionen im Südosten der Türkei. Als eines der Gründungsmitglieder von Amnesty International in der Türkei ist er stets ein Freund gewesen und wird immer ein Vorbild für uns bleiben.

Nicht jeder hat seine Ansichten geteilt. Im Oktober dieses Jahres, als er Kritik an der Rolle der Regierung bei der Niederschlagung von friedlichen Protesten übte, sagte er: "Die PKK ist keine terroristische Gruppierung, sie ist eine bewaffnete politische Bewegung mit erheblicher Unterstützung". Dies führte zu einer Welle von Einschüchterungsversuchen und Drangsalierungen gegen ihn. Man inhaftierte ihn und klagte ihn wegen "Propaganda für eine terroristische Organisation" an, was mit siebeneinhalb Jahren Haft geahndet werden kann. Es war eine lächerliche Anschuldigung gegen einen Mann, der selbst ein unerschrockener Kritiker der Menschenrechtsverletzungen der PKK war. Während dieser Zeit erhielt er telefonisch und über soziale Medien Morddrohungen.

Sein Tod am Samstag kam plötzlich, in Form einer einzigen Kugel, die ihn in den Kopf traf.Zuvor hatte er an einem geschichtsträchtigen Ort in Diyarbakır, an dem noch immer die Spuren der Zusammenstöße zwischen der Jugendbewegung der PKK und den Sicherheitskräften zu sehen sind, eine Rede vor der Presse gehalten. Seine letzten dokumentierten Worte waren: "Wir wollen keine Waffen, Zusammenstöße oder [Polizei]-Operationen hier". Die Umstände seines Todes sind mehr als unklar. Viele haben sofort den staatlichen Stellen die Schuld gegeben, die Regierung selbst kam den Ermittlungen zuvor und beschuldigte die PKK.

Das Leben von Tahir Elçi war der Wahrheitsfindung gewidmet. Die Ermittlungen zu seinem Tod riechen hingegen schon jetzt nach Vertuschung. Anwälte, die den Staatsanwalt am Samstag bei einer Untersuchung des Tatorts begleiteten, berichteten, dass sofort Schüsse zu hören waren, als sie an dem abgesperrten Bereich ankamen. Nachdem in der Folge die Spurensicherung am Tatort abgebrochen und die Kugel, die Tahir Elçi tötete, noch immer nicht gefunden wurde, scheint es nahezu unmöglich, den Tathergang und den oder die Täter ausfindig zu machen.

Als die Trauergäste sich darauf vorbereiteten, Tahir Elçi zu beerdigen, waren Schüsse zu hören. Zum Ende der Beerdigung hin verbreiteten sich Berichte darüber, dass eine Frau in dem Stadtviertel durch Schüsse schwer verletzt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein Polizist bereits eine Twitter-Nachricht mit dem Text "Du bist die nächste" an Türkan Elçi, die Ehefrau von Tahir Elçi, geschickt. In diesen dunklen Tagen für die Menschenrechte in der Türkei hinterlässt der Tod von Tahir Elçi eine Lücke, die nicht gefüllt werden kann.

Er wird schon jetzt schmerzlich vermisst.

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