Blog 22. Juni 2015

"Lesben erhalten in Kamerun nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen"

Das Logo von AVAF - "Association pour la Valorisation de le Femme" in Kamerun

Anlässlich der Konferenz "First Mile" in Berlin hat Amnesty International mit Raymond Bykoukous gesprochen. Raymond ist Präsident der kamerunischen "Association pour la Valorisation de le Femme" – kurz: AVAF. Die NGO wurde im Dezember 2014 gegründet und ist die erste Organisation, die sich in Kamerun spezifisch mit der Situation und den Rechten von Lesben befasst.

Amnesty Internationa: AVAF bezeichnet sich selbst als Organisation für Lesben, von Lesben. Dabei siehst Du recht männlich aus, Raymond…



Raymond Bykoukous: Diese Bemerkung hatte ich bereits erwartet, und Du hast natürlich völlig Recht. Mir wäre es auch lieber gewesen, hätte unsere Exekutivdirektorin Sandrine die Reise nach Berlin antreten und mit Dir sprechen können. Ich arbeite AVAF beim Projektmanagement und bei der Vernetzung von meinem Wohnort Paris aus zu. Sandrine und ihre Kolleginnen aber leiten die Organisation und haben einen viel unmittelbareren Blick auf die Herausforderungen, denen sich Lesben in Kamerun tagtäglich gegenübersehen. Leider war aber eine solche Anreise aus logistischen Gründen nicht möglich. Beim nächsten Mal!



Amnesty: Gemessen an den Gefahren, denen die LGBTI-Gemeinschaft in Kamerun aussetzt ist, zählt das Land beeindruckend viele Organisationen in diesem Bereich. Wie kam es zu der Entscheidung, einen weiteren Verband zu gründen?



Raymond: Es stimmt, dass bereits einige LGBTI-Organisationen in Kamerun aktiv sind. Dennoch erhalten Lesben nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Sie werden beleidigt, geschlagen, vergewaltigt. Da reicht es bereits, dass ein junges Mädchen in den Augen der Mehrheit zu "maskulin" daherkommt oder viel Zeit mit anderen Mädchen verbringt. Gleichzeitig fehlt ihnen ein eigener Rückzugsort, an dem sie Schutz finden und ganz spezifisch über ihre Probleme reden können. Die LGBTI-Organisationen geben ihr Bestes, keine Frage. Wir möchten ihnen auch keine Konkurrenz machen. Doch die derzeitige Situation ist für Lesben alles andere als ideal. Allein die Tatsache, dass die meisten Mitglieder der LGBTI-Verbände Männer sind, stellt ein Problem dar.



AVAF hat sich deshalb vorgenommen, gesondert auf die Situation von Lesben in Kamerun einzugehen und ganz gezielt für ihre Menschenrechte einzutreten. Wir wollen den Lesben in unserem Land zu einer Wertschätzung verhelfen, ihnen Selbstvertrauen und Hoffnung auf eine bessere Zukunft schenken – indem wir möglichst viele Lesben zusammenbringen, die bislang in den Gender-Abteilungen der LGBTI-Organisationen getrennt voneinander ihre Arbeit gemacht haben.



Übrigens erscheint mir diese Aufgabe umso entscheidender, als Lesben in einer Gesellschaft, in der die Rechte und die Rolle der Frau auch weiterhin nicht ausreichend wertgeschätzt werden, gleich doppelter Diskriminierung ausgesetzt sind.

Raymond Bykoukous, Präsident von AVAF, setzt sich für die Rechte von Lesben ein.

Amnesty: AVAF wurde erst vor wenigen Monaten gegründet. Wie sieht eure aktuelle Arbeit aus? Kommt ihr voran?



Raymond: AVAF steckt noch in den Kinderschuhen. Derzeit hat deshalb auch die Bekanntmachung unserer Organisation – innerhalb der Community, gegenüber potentiellen Partnern – absolute Priorität. Dazu gehört auch, Gelder zusammenzutragen, um beispielsweise einen sicheren Verbandssitz anmieten zu können. Bislang finden die Versammlungen und Workshops in abgelegenen Orten der Hauptstadt statt. Eine Gruppe junger Lesben irgendwo in Jaunde: Ich brauche vermutlich nicht zu erwähnen, welche Gefahren eine solche Situation birgt…



Amnesty: Und wie lauten die langfristigen Ziele von AVAF? Wofür wollt ihr euch einsetzen?



Raymond: Wir wollen auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Zunächst planen wir eine direkte Unterstützung von Lesben in Kamerun. Ich denke da besonders an psychologische Hilfe. Eine junge lesbische Frau, die Schwierigkeiten hat, ihre eigene sexuelle Orientierung zu akzeptieren, oder die physische bzw. verbale Gewalt erfahren hat, wird sich kaum ihrem Bruder oder Cousin anvertrauen. Deshalb brauchen wir eine professionelle Psychologin, die mit den Mädchen und Frauen – individuell und in der Gruppe – anonym arbeiten und ihnen dabei helfen kann, sich selbst schätzen zu lernen.



Zudem wollen wir unsere Mitglieder weiterbilden. Alle sind sehr motiviert. Doch das allein reicht nicht aus. Workshops organisieren, Lobbyarbeit betreiben, in Krisensituationen entsprechend reagieren … all das erfordert ein hohes Maß an Know-How und Erfahrung, das wir gern vermitteln würden.



Schließlich möchten wir uns für eine Autonomisierung lesbischer Frauen stark machen. Die meisten afrikanischen Frauen sind finanziell abhängig von ihren Männern, Brüdern oder Onkeln. Das ist schlimm genug, aber was sollen Lesben sagen? Wie wollen sie ein selbstbestimmtes Leben führen in einer Gesellschaft, in der die Vorurteile allgegenwärtig und die Arbeitslosigkeit sehr hoch sind? Dass unsere Mitglieder zu einem autonomen Leben und zu guter Arbeit in der Lage sind, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Damit das aber möglich wird, müssen wir unsere Kontakte beispielsweise zu bestimmen Unternehmen ausbauen und einige Türen aufstoßen.



Amnesty: All diese Ziele beziehen sich auf die individuelle Fallarbeit, auf die konkrete Situation vor Ort. Plant ihr auch eigene Berichte und politisch ausgerichtete Lobbyarbeit?



Raymond: Absolut! Die kamerunische LGBTI-Gemeinschaft ist auf diesem Gebiet bereits vergleichsweise gut aufgestellt, doch fehlt es auch hier an einer Datenerhebung mit spezifischem Blick auf das "L" im Kürzel "LGBTI". Wir wollen deshalb die bereits unternommenen Anstrengungen verstärken und Umfragen durchführen, Statistiken zusammentragen oder Berichte verfassen, die gezielt auf die Situation von Lesben in Kamerun ausgerichtet sind. Gemeinsam mit den anderen Verbänden werden wir so in einigen Jahren in der Lage sein, gegenüber den Parlamenten und den UN-Institutionen sowie afrikanischen Strukturen ein genaueres Bild der bedrohlichen Situation der LGBTI in Kamerun zu zeichnen.



Bei alledem sollten wir das eigentliche Ziel stets vor Augen haben: Eines Tages in einer Gesellschaft leben zu dürfen, in der Homosexualität nicht mehr kriminalisiert und als unnatürlich oder "westlich" verschrien wird. Die Liebe, in all ihren Formen, ist das edelste Gefühl, zu dem ein Mensch in der Lage ist. Dieser Gedanke sollte unsere Arbeit stets leiten.

Gespräch und Übersetzung: Raphael Kreusch

Schlagworte

Kamerun Blog LGBTI

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